Juan Rojas-Vásquez ist Deutsch-Chilene und wuchs in der Nähe der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile auf. Sein Vater Miguel Rojas Rojas und sein älterer Bruder Gilberto Rojas Vásquez sind 1973 mutmaßlich in der Colonia Dignidad verschwunden. Seit Jahrzehnten wohnt Rojas-Vásquez nun in Stuttgart und setzt sich für die Aufklärung der Fälle ein. In einem Brief an die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock vom 14. März 2022 fordert er Unterstützung der Bundesregierung bei der Aufklärung ihres Schicksals. Poonal übernimmt eine leicht bearbeitete Fassung des Briefs, die zuerst in der ila erschienen ist.

Sehr geehrte Frau Außenministerin Baerbock,

ich heiße Juan E. Rojas-Vásquez, bin deutscher Staatsbürger, Vater von vier deutschen Kindern und Opa von sieben Enkelkindern. Ich bin am 15.10.1958 geboren und aufgewachsen in einem Dorf namens Parral in Chile, in der Nähe der Colonia Dignidad, zusammen mit meinen Eltern und sechs Geschwistern. Ich verfolge mit großer Besorgnis die Lage in der deutschen Kolonie, der ehemaligen Colonia Dignidad in Chile.

Ich bitte Sie dringend, sich gegen die Menschenrechtsverletzungen an der deutschen und chilenischen Bevölkerung einzusetzen. Ich bin auf der Suche nach meinem Vater und Bruder, die in Chile festgenommen wurden und spurlos verschwanden. Mein Vater heißt Miguel Rojas Rojas und mein Bruder Gilberto Rojas Vásquez.

Am 13. Oktober 1973, etwa um fünf Uhr morgens, stürmten Polizisten und Militärangehörige unser Haus. Sie waren bewaffnet. Sie nahmen meinen Vater fest. Da sie meinen größeren Bruder Gilberto suchten, kamen sie deshalb auch ins Schlafzimmer, wo ich im Bett lag, zusammen mit drei Geschwistern. Ich sah sie, bekam einen Schock und begann zu weinen. Dann richteten diese Männer ihre Pistolen ohne Worte auf uns. Damals war ich ein Junge von 14 Jahren. Ich dachte, dass sie uns erschießen würden. Ich hatte Todesangst. Ich bekam mit, wie sie meinen Vater mit lauter und brutaler Stimme anschrien. Ich konnte außerdem hören, dass sie meinen Vater schlugen. Später erzählte mir meine Mutter, dass mein Vater in Unterhosen abgeschleppt wurde.

Am nächsten Vormittag kam meine Schwägerin weinend zu uns und erzählte uns, dass in derselben Nacht ihr Mann, mein Bruder Gilberto, abgeholt worden war, von den gleichen Männern, die meinen Vater festgenommen hatten. Der Vorgesetzte dieser Männer kannte meinen Vater persönlich, er hieß Diógenes Toledo Pérez (er ist schon verstorben). Seit dieser Nacht habe ich meinen Vater und Bruder nie wiedergesehen. Ich vermute, dass mein Vater und mein Bruder Gilberto nach der Verhaftung am 13. Oktober 1973 in die deutsche Kolonie (Colonia Dignidad) verschleppt wurden.

Auf der Suche nach meinem Vater und Bruder besuchte ich in den 70er-Jahren mehrere Male die Colonia Dignidad, in der Hoffnung, sie dort zu finden. Jedoch ohne Erfolg. Auch ihr Grab habe ich nicht gefunden, denn die Colonia Dignidad schweigt darüber bis heute. Inzwischen bin ich sicher, dass mein Vater und auch mein Bruder in der deutschen Kolonie umgebracht wurden und dort auf dem Gelände unter der Erde verscharrt wurden.

Es ist geplant, dass Flugzeuge mit geomagnetischen Sensoren über die ehemalige Colonia Dignidad fliegen, um Leichen aufzuspüren. Diese Untersuchung wurde in Chile von der Ministerin Paola Plaza angeordnet. Darüber möchte ich genau informiert werden.

Eine Gedenkstätte für die Opfer von sexuellem Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen der ehemaligen deutsche Kolonie wird hiermit befürwortet.

Für meine Recherchen über den Verbleib meiner Verwandten habe ich einen persönlichen Preis bezahlt. Massive Schläge der chilenischen Polizei auf meinen Kopf haben zu einem Gehörverlust geführt. Unter diesen Umständen musste ich Chile als 20-Jähriger verlassen. (…)

Dr. Hartmut Wilhelm Hopp war der Arzt der auslandsdeutschen Sekte beziehungsweise der totalitären religiösen Gemeinschaft Colonia Dignidad in Chile und die rechte Hand ihres Anführers Paul Schäfer. Hopp wurde wegen Beihilfe zum von Paul Schäfer begangenen Kindesmissbrauch von einem chilenischen Gericht zu fünf Jahren Haft verurteilt. In Deutschland läuft er frei herum. Reinhard Döring ist ein deutscher Staatsbürger, der zum engen Kreis von Paul Schäfer und zur Führungsmannschaft der deutschen Sektenkolonie Colonia Dignidad in Chile gehörte. Gegen den mittlerweile in Deutschland lebenden Döring besteht ein internationaler Haftbefehl der chilenischen Behörden. Da die Bundesrepublik Deutschland eigene Staatsangehörige nicht an Drittländer ausliefert, suche ich hier nach der Möglichkeit, diese Herren zur Rechenschaft ziehen zu lassen und durch die deutsche Gerichtsbarkeit zu verurteilen. Dafür ist die Unterstützung der Politik in Deutschland notwendig.

Meine Hoffnung, die Gräber von meinem Vater und Bruder zu finden, ist für mich der einzige Weg, um mein Leben in Ruhe fortzuführen und den Traumata und Belastungen ein Ende zu setzen. Um Ihnen meine persönliche Situation vorzustellen, möchte ich ein persönliches Gespräch mit Ihnen führen. Mit der Hoffnung, dass Sie mich und die juristische Aufarbeitung der von deutschen Staatsbürgern begangenen Menschenrechtsverletzung unterstützen, verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen
Juan E. Rojas-Vásquez

Hier gibt es ein Radiofeature über den Fall vom SWR.

Seine Erinnerungen schildert Rojas-Vásquez auch im Buch „Juan zwischen zwei Welten“, das im Jahr 2019 über Books on Demand erschienen ist.

Der Originalartikel kann hier besucht werden