Das Unwort des Jahres muss dazu führen, dass gewaltsame Zurückweisungen von Schutzsuchenden an Europas Grenzen ein Ende haben. Die neue Bundesregierung muss sich auch auf EU-Ebene vehement dafür einsetzen, diese illegale Praxis zu sanktionieren und zu beenden. 

Mit dem am 12. Januar bekannt gegebenen Unwort des Jahres wirft die gleichnamige Organisation neben der Sprachkritik auch ein Schlaglicht auf die unmenschliche Praxis des gewaltsamen Zurückdrängens von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen. „Das Unwort des Jahres – „Pushback“ – darf nicht zum Unwort des Jahrzehnts werden“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. „Aber wir dürfen jetzt nicht bei der Sprachkritik stehenbleiben“, fordert er. Die EU-Staaten Griechenland, Kroatien, Polen, Ungarn und andere brechen in eklatanter Weise systematisch und fortdauernd europäisches Recht. „Diese Praxis muss aufhören!“, sagt Burkhardt. Ein Flüchtling darf an der EU-Grenze nicht ohne Prüfung der Schutzbedürftigkeit zurückgewiesen werden. Doch gewaltsame Zurückweisungen vollziehen sich in der EU tausendfach, ohne dass die Europäische Kommission und Staaten wie Deutschland diesem illegalen Treiben wirkungsvoll Einhalt gebieten. PRO ASYL appelliert an die Bundesregierung und die EU-Kommission, diese Praxis zu sanktionieren. „Wer so handelt, darf keine EU-Mittel mehr erhalten“, fordert Günter Burkhardt.

Sprache muss wieder das abbilden, was tagtäglich geschieht. Anstatt abstrakt von „Pushbacks“ zu reden, sollte geschildert werden, was passiert: Dass hilfesuchende Frauen, Männer und Kinder gewaltsam daran gehindert werden, ein EU-Land zu betreten und hier um Schutz zu bitten. Das geschieht durch meterhohe Stahlteile, Wachtürme, Nato-Draht und Wärmebildkameras an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei oder durch Grenzsoldaten, die an der kroatisch-bosnischen Grenze Menschen misshandeln und an der polnisch-belarussischen Grenze Männer und Frauen zurückprügeln.

Griechische Küstenwache zerstört Motoren von Flüchtlingsbooten

PRO ASYL macht seit vielen Jahren darauf aufmerksam, welche Formen das annimmt: So zerstört etwa die griechische Küstenwache die Motoren von Flüchtlingsbooten oder treibt diese Boote in türkische Gewässer zurück. Auch Schutzsuchende, die bereits eine griechische Insel erreicht haben, können häufig keinen Asylantrag stellen, sondern müssen fürchten, auf aufblasbaren, manövrierunfähigen Rettungsinseln wieder in der Ägäis ausgesetzt zu werden.

Gewaltsame Zurückweisungen in Griechenland sind nichts Neues , doch seit März 2020, nachdem das Erdogan-Regime den EU-Türkei-Deal einseitig aufgekündigt hatte, führt die griechische Küstenwache diese in einer bisher ungekannten Systematik durch – unter den Augen und mit Hilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Inwiefern die in die illegalen Zurückweisungen verwickelt ist, hat im vergangenen Jahr der Bericht eines Untersuchungsausschusses im EU-Parlament offenbart. Doch die Täter werden kaum zur Verantwortung gezogen.

Erst vor wenigen Wochen urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der Tod eines sechsjährigen Mädchens, das mit ihrer Familie auf der Flucht war, die traurige Folge einer illegalen Zurückweisung durch Kroatien ist. Das Gericht bestätigte damit, dass die kroatische Grenzpolizei Menschenrechte verletzt. „Die EU und Deutschland müssen Konsequenzen ziehen und die Unterstützung des kroatischen Grenzschutzes beenden“, fordert Burkhardt.

Ein weiteres Unwort ist die Rede von „illegalen Grenzübertritten“. Dies verschleiert, dass Schutzsuchende kaum noch die Möglichkeit haben, legal einzureisen, weil die EU-Staaten systematisch alle Grenzen schließen. „Das Unwort des Jahres muss aufrütteln, damit diese Praxis aufhört“, sagt Burkhardt.

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