Vor fünf Jahren wurde die damals 18-jährige Paula Martínez auf einer Party unter Drogen gesetzt und von mindestens acht Männern vergewaltigt. Nach der Vergewaltigung musste Martínez nicht nur mit den emotionalen und psychologischen Auswirkungen, den Flashbacks und der brüchigen Erinnerung fertig werden. Die Verwandten der Täter ließen keine Gelegenheit aus, um sie psychisch fertig zu machen; unter anderem versammelten sich einige der Angehörigen jeden Morgen um 5 Uhr vor ihrem Haus, um sie anzuschreien und zu beleidigen.

„Sie haben sie schrittweise umgebracht“

Als Martínez auf der Polizeiwache Anzeige erstatten wollte, traf sie dort zu ihrer Überraschung fünf der Täter. Was sie zu dem Zeitpunkt nicht wusste: Einer von ihnen war Polizeibeamter des örtlichen Kommissariats. Von diesem Moment an hatte Martínez keine Chance mehr, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. In den folgenden fünf Jahren erstattete die zweifache Mutter mehr als 30 Anzeigen wegen Belästigung und Morddrohungen gegen sie, ihre beiden Kinder und weitere Familienangehörige. Vier der Täter, die Martínez identifizieren konnte, befinden sich derzeit im Gefängnis; einer ist auf freiem Fuß. Der Prozessbeginn gegen die Beschuldigten wird für Anfang März erwartet. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie immer wieder Gerechtigkeit gefordert für alles, was ihr im Zusammenhang mit der Tat widerfahren war, angefangen mit der retraumatisierenden Befragung auf dem Kommissariat. Dort musste sie ihre Geschichte zehnmal hintereinander berichten und sich Skepsis und Einschüchterungsversuche seitens des Beamten gefallen lassen, weil angeblich keine Polizistin zur Verfügung stand, die ihre Anzeige hätte aufnehmen können. Im Laufe der quälend langen Jahre bis zum Prozess unternahm Martínez mehrere Selbstmordversuche. Am 2. Weihnachtstag wurde die inzwischen 23-Jährige tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Das Ergebnis der Autopsie steht noch aus. „Sie haben sie schrittweise umgebracht. Sie sind Mörder, so wie alle Vergewaltiger, und jetzt haben sie sie endgültig getötet“, so die Mutter von Paula Martínez in einem Fernsehinterview.

Femizidaler Selbstmord als Tatbestand – seit 1996 in der Diskussion

Die Bezeichnung Femizidaler Selbstmord wurde erstmals 1996 öffentlich aufgebracht. Die südafrikanische feministische Aktivistin Diana Russell bezog sich damit auf Frauen, die geschlechtsspezifische Gewalt (Vergewaltigung, Belästigung, häusliche Gewalt usw.) erlebt haben und sich dazu entschließen, ihr Leben zu beenden. Gesellschaftliches Versagen im Umgang mit Gewalt gegen Frauen* (Straflosigkeit, Reviktimisierung, Nachlässigkeit beim Schutz der Betroffenen usw.) tragen das Ihrige dazu bei, um die Situation zuzuspitzen. Seither hat sich der Begriff „femizidaler Selbstmord“ (Suicidio femicida) im Diskurs über patriarchale Gewalt zur Bezeichnung einer weiteren Eskalationsstufe in mehreren Ländern etabliert, wird bisher jedoch nur in El Salvador und Chile als eigener Tatbestand betrachtet. Dank der Hartnäckigkeit der Frauen*bewegung ist El Salvador der erste lateinamerikanische Staat, der femizidalen Selbstmord als Straftat anerkennt. Die Gesetzesänderung erfolgte 2018. Im Oktober 2020 zog der mexikanische Bundesstaat Jalisco nach. Falls ein Zusammenhang zu vorangegangener sexualisierter Gewalt nachgewiesen werden kann, sieht die Staatsanwaltschaft von Jalisco ein mehrjähriges Strafmaß vor.

In Deutschland wurde femizidaler Selbstmord als Folge von Cybermobbing unter anderem im Zusammenhang mit dem Suizid der Berlinerin Kasia Lenhardt diskutiert.

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