Das neue Bundeskabinett lässt im Koalitions- bzw. Regierungsvertrag Beobachtern zufolge eine klare Positionierung bei der Außenpolitik vermissen und setzt in diesem Ressort erwartungsgemäß auf Pragmatismus und deeskalierende Strategie. Angesichts der enormen Herausforderungen in den internationalen Beziehungen, wie beispielsweise der Ostukraine-Krise und dem Energieprojekt „Nord Stream 2“, wird aber vor allem die Einheit der deutschen Führung von nöten sein, was aufgrund der unterschiedlichen politischen Ansichten der Kabinettsmitglieder äußerst fraglich erscheint.

Der Kopf der neuen Bundesregierung, Olaf Scholz, war am 8. Dezember offiziell als neuer Kanzler vom Bundestag gewählt worden. Davor bereits, am 24. November, hatten die Spitzenvertreter der Ampel-Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP den Koalitionsvertrag vorgestellt, der die Grundlage unter anderem der Außenpolitik bildet.

In diesem 177-seitigen Dokument ist festgelegt, dass Deutschland sich sowohl weiterhin der Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union und der NATO verpflichtet als auch für und die Stärkung der Rolle der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Entwicklung einer „neuen Ostpolitik“ auf EU-Ebene eintritt.

Dabei sind Fragen der Ost- bzw. Russlandpolitik wie etwa die Spannungen im Donezbecken und die Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2  die Aspekte, wegen denen es zum Streit innerhalb der Ampel-Koalition kommen und warum die außenpolitische Strategie Berlins letztendlich scheitern könnte. Kanzler Scholz muss daher die Haltung der neuen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock von den Grünen berücksichtigen, die sich zum Teil deutlich von der Position des deutschen Regierungschefs und seiner SPD unterscheidet.

Regelung des Donbass-Konflikts

Das betrifft zum Beispiel eine dauerhafte Konfliktregelung in der Ostukraine. Um diese zu erreichen, bekennt sich die neue Berliner Regierung laut Koalitionsvertrag ersteinmal grundsätzlich zu der vollständigen Umsetzung der 2015 verabschiedeten und von den Vereinten Nationen bestätigten „Minsker Friedensvereinbarung“.

In diesem Sinne spricht sich Scholz eindeutig gegen Waffenlieferungen in die Ukraine aus und weist darauf hin, dass „alle Möglichkeiten zur Deeskalation der aktuellen Situation im Donbass“ genutzt werden müssten. Dazu gehört das „Normandie-Format“, bestehend aus Deutschland, Frankreich und Russland, das weiter als „Verhandlungsinstrument“ genutzt werden soll.

Zur Erinnerung: Berlin, Paris und Moskau treten als Garanten des Minsker Friedensplans auf, das nicht nur eine Waffenruhe, den Abzug von Kriegsgerät, eine Amnestie, den Dialog und die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Kiew und den abtrünnigen Regionen Donezk und Lugansk vorsieht, sondern auch eine entscheidende Verfassungsreform in der gesamten Ukraine vorschreibt.

Außenamtschefin Baerbock jedoch scheint dem Abkommen von Minsk skeptisch gegenüberzustehen. Zumindest hat sie sich als Politikerin bislang nicht eindeutig dazu bekannt, ob sie den in der weißrussischen Hauptstadt vereinbarten Vertrag einhalten oder gar respektieren wird.

Ähnlich positionieren sich zu den besagten Friedensbemühungen einige ihrer Parteikollegen, die  deutsche Waffenlieferungen in die ehemalige Sowjetrepublik fordern. „Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung, Defensivwaffen, kann man meiner Ansicht nach der Ukraine schwer verwehren“, erklärte im vergangenen Mai der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck, der im jetzigen Kabinett als Wirtschaftsminister und zugleich Vizekanzler fungiert.

Dafür gab es heftige Kritik von Seiten der SPD, die das Auftreten der Grünen-Politiker damals als „wenig regierungsfähig und unaufrichtig“ bezeichnete und ihnen zudem vorwarf, den Konflikt im Donbass zu verkennen. Scholz hingegen hatte seine Absage an die Waffenlieferungen in den Krisenstaat damit begründet, dass man durch Waffenexporte die Rolle der Bundesrepublik als Mitglied der Normandie-Gruppe diskreditieren würde.

Differenzen um Nord Stream 2

Weitere Meinungsunterschiede unter den Kabinettsmitgliedern gibt in der Frage der deutsch-russische Ostseegasleitung Nord Stream 2. Diese wird im Regierungsvertrag zwar nicht ausdrücklich erwähnt, aber die Parteien äußern darin den Wunsch, die Versorgungswege für Energieträger nach Deutschland künftig zu diversifizieren. Auch das Fehlen einer entsprechenden Absage der neuen Regierung signalisiert, dass der bisherige Kurs wohl weiterhin gilt.

Scholz unterstützt Nord Stream 2 und bezeichnet es ähnlich wie Ex-Kanzlerin Angela Merkel als „privatwirtschaftliches Vorhaben“. Zugleich kritisiert er US-Sanktionen gegen mehrere Unternehmen als eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Deutschlands und Europas“ und lehnt eine Verknüpfung zwischen dem Energieprojekt und der Ukraine-Krise ab.

Baerbock hingegen hält nichts von Nord Stream 2 und hofft offenbar, gegen die Freigabe der Pipeline vorgehen zu können. Damit handelt sie entsprechend der Parteilinie der Grünen, die das Vorhaben immer wieder als Versuch Moskaus, Kiew beim Gastransport auszuschalten, kritisiert und einen Baustopp gefordert haben.

Die Gasleitung ist inzwischen fertiggestellt, darf aber vorerst nicht in Betrieb genommen werden, weil vorerst laut dem europäischen Energierecht die erforderliche Trennung des Betriebs der Leitung vom Gasvertrieb gewährleistet sein muss. Dies hat auch Baerbock wenige Tage nach ihrem Amtsantritt bekräftigt und hinzugefügt, dass „noch Sicherheitsfragen im Raum stünden“.

Vizekanzler Habeck ging noch weiter und bezeichnete Nord Stream 2 in einem Zeitungsinterview als “geopolitischen Fehler“ der Bundesrepublik. Das Schicksal der Gaspipeline hängt demnach von der Ukraine-Politik Russlands und der Zertifizierung des Projekts ab. Habeck betonte, dass die Entscheidung über die Inbetriebnahme im Einklang mit dem europäischen und nationalen Recht gefällt werden sollte.

Insofern war die Zertifizierung bereits im November von der Bundesnetzagentur in Deutschland ausgesetzt worden und die Entscheidung darüber wird von Experten frühestens im Sommer 2022 erwartet. Darüber hinaus muss auch die EU-Kommission überprüfen, ob das EU-Recht im Fall von Nord Stream 2 erfüllt ist.

Fazit

In Anbetracht der bisherigen Entwicklungen werden Scholz und die SPD vermutlich versuchen, den außenpolitischen Kurs Merkels der vergangenen 16 Jahre weiterzuverfolgen. Bislang hat der neue Kanzler jedoch noch nicht die Autorität Merkels und muss zu allem Übel auch noch mit Koalitionspartnern umgehen, die offenbar einen komplett anderen außenpolitischen Weg einschlagen wollen.

Das sind ganz klar Baerbock, Habeck und andere Grünen-Politiker, die an der merkelschen Kontinuität der bisherigen Außenpolitik rütteln – wohl ohne dabei große Rücksicht auf deutsche Interessen zu nehmen. Das zeigt sowohl ihre Forderung nach dem Aus für Nord Stream 2 als auch die Verkennung der Lage im Spannungsgebiet Donbass.

Solche Differenzen könnten für Scholz zumindest bei der Ostpolitik zum Problem werden, da der Koalitionsvertrag so manche außenpolitischen Fragen nicht eindeutig regelt.

Text von Alexander Männer

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