Eine aktuelle Studie zur Klimapolitik stellt den G20-Staaten, darunter auch Deutschland, ein vernichtendes Zeugnis aus.

BERLIN (Eigener Bericht) – Eine aktuelle Studie stellt wenige Wochen vor dem Klimagipfel in Glasgow der Klimapolitik der G20-Staaten, darunter auch Deutschlands, ein vernichtendes Zeugnis aus. Die Treibhausgasemissionen der G20 überstiegen bereits jetzt das Niveau vor dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie, heißt es im aktuellen Climate Transparency Report, der als umfassendste jährliche Analyse der Klimaschutzmaßnahmen der G20 gilt. Die Vorhaben der Bundesrepublik seien „unzureichend“, um zur Einhaltung der globalen Erwärmungsgrenze von 1,5 Grad beizutragen; andere Industrieländer wie Italien und Frankreich hätten sich weitaus ambitioniertere Klimaziele als Deutschland gesetzt. Berlin nehme – anders als öffentlich suggeriert – „in fast keinem Bereich“ eine Vorreiterrolle ein. Bezüglich des Ausstiegs aus dem Verbrennungsmotor bekam die Bundesrepublik gar „gemeinsam mit Australien und Russland die schlechteste Bewertung“. Einzig Großbritannien erhielt unter den G20 mit Blick auf das Erreichen der aktuellen Klimaziele die Bewertung „fast ausreichend“; auch Deutschland fällt dahinter zurück.

Erderwärmung von 2,4 Grad

Im Vorfeld des Klimagipfels in Glasgow stellt eine unabhängig verfasste Studie [1] der Klimapolitik der G20-Industrie- und Schwellenländer ein vernichtendes Zeugnis aus [2]. Die Bundesrepublik sei von einer Vorreiterrolle beim Klimaschutz „weit entfernt“, heißt es unter Bezug auf die Studie.[3] Demnach reichten die Bemühungen der G20-Staaten bei weitem nicht aus, um die Erderwärmung innerhalb der Grenze von 1,5 Grad Celsius zu halten, auf die sich die Staatenwelt im Pariser Klimaabkommen verständigte. Die Treibhausgasemissionen stiegen derzeit überdies bei allen Industriestaaten an, da die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Pandemie mit vermehrter Verbrennung fossiler Energieträger einhergehe. Die Studie, die Daten der Weltbank, der OECD und der Internationalen Energieagentur auswertete, prognostiziert eine Erderwärmung von 2,4 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Klima, sollten die G20-Länder ihre Klimaziele nicht ambitionierter gestalten. Als besonders problematisch wird die Zunahme der Emissionen in Russland und Saudi-Arabien eingestuft, wobei auch die Schwellenländer Indonesien, Argentinien, Indien und China laut der Studie weit entfernt von einer nachhaltigen Klimapolitik sind, da auch sie inzwischen mehr Treibhausgase emittieren als vor dem Ausbruch der Pandemie. Problematisch ist laut der Studie überdies der Umstand, dass nur ein geringer Anteil der Konjunkturmaßnahmen, die in Reaktion auf die Pandemie aufgelegt wurden, tatsächlich zum Klimaschutz beitrage – nur „300 Milliarden von 1,8 Billionen US-Dollar“, heißt es.

Deutschland unzureichend

Zwar bilde Deutschland diesbezüglich eine der wenigen „positiven Ausnahmen“, da sich „knapp 50 Prozent der Konjunkturhilfen“ Berlins als Investitionen interpretieren ließen, die „helfen können, Emissionen zügiger zu senken“. Dennoch werden die klimapolitischen Bemühungen der Bundesrepublik als „unzureichend“ eingestuft, um zur Einhaltung der globalen Erwärmungsgrenze von 1,5 Grad beizutragen. Die Bundesrepublik müsse demnach ihre CO2-Emissionen bis 2030 um 72 Prozent reduzieren; geplant seien aber nur 65 Prozent. Andere Industrieländer wie Italien, Frankreich und Großbritannien hätten sich weitaus ambitionierte Klimaziele wie den kompletten Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2030 gesetzt, monierte die Nichtregierungsorganisation (NGO) Germanwatch anlässlich der Veröffentlichung des Klimaberichts. Auch beim Ausbau regenerativer Energien sei die Bundesrepublik zuletzt zurückgefallen. Berlin müsse folglich weitere umfassende Schritte zum Klimaschutz einleiten, vor allem im „Verkehrs-, Gebäude-, Industrie- und Agrarbereich“. Die Bundesrepublik nehme bislang „in fast keinem Bereich“ eine Vorreiterrolle ein und schaffe es „kein einziges Mal“ in die höchste Bewertungskategorie der komparativen Studie, klagt Germanwatch. Bezüglich des Ausstiegs aus dem Verbrennungsmotor erhielt Deutschland gar „gemeinsam mit Australien und Russland die schlechteste Bewertung“. Einzig Großbritannien erhalte unter den G20-Staaten bei der Bewertung der aktuellen Klimaziele die Note „fast ausreichend“; die Bundesrepublik und die EU fielen dahinter zurück.

Global steigender Kohle- und Gasverbrauch

Die an der Ausarbeitung des Klimaberichts beteiligte NGO Germanwatch weist darauf hin, dass der Ausstoß von Treibhausgasen nach dem Abflauen der Corona-Pandemie die „Werte von 2019“ weltweit zu übertreffen droht. Demnach fällt dieser „Rebound-Effekt“ bei den G20-Staaten, die für rund „75 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich“ seien, „besonders groß“ aus. Zwar nehme der Anteil regenerativer Energien wie Solar- und Windenergie an der Gesamtversorgung der G20 zu und werde Ende dieses Jahres rund 30 Prozent des G20-Energieverbrauchs erreichen, doch wachse auch der Verbrauch fossiler Brennstoffe wie Kohle und Gas. Allein 2021 werde der globale Kohleverbrauch um rund fünf Prozent ansteigen; der weltweite Gaskonsum sei bereits zwischen 2015 und 2020 um rund 15 Prozent in die Höhe geschnellt. Laut Germanwatch handelt es sich bei der als Climate Transparency Report bezeichneten Untersuchung um die weltweit umfassendste jährliche „Analyse der Klimaschutzmaßnahmen der G20 und ihrer Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität“.

Kein Tempolimit, viel Streit

Germanwatch fordert anlässlich der Veröffentlichung des Reports von der künftigen Bundesregierung ein klimapolitisches „Sofortprogramm“, das „zu einer wirklichen und schnellen Wende der Emissionsentwicklung“ führe. Indessen scheinen die Sondierungsgespräche zwischen SPD, FDP und Grünen kaum greifbare Ergebnisse beim Klimaschutz gebracht zu haben. Von hoher Symbolwirkung ist vor allem der Verzicht der Grünen auf ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen, das vor allem von der deutschen Autolobby und der FDP verbissen bekämpft wurde.[4] Die Bundesrepublik bleibt somit das einzige europäische Land ohne eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung. Berichten zufolge stellt die Klimapolitik das größte Streitthema bei den Koalitionsverhandlungen, da diesbezüglich die Differenzen zwischen SPD, FDP und Grünen besonders groß seien.[5] Es krisele etwa mit Blick auf den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor und der Kohleverstromung, aber auch bei der Festlegung von CO2-Preisen, die Produzenten und Konsumenten zum Klimaschutz motivieren sollen. Die Grünen wünschen, dass die CO2-Preise politisch festgelegt werden und schnell ansteigen, während die FDP hier den Marktmechanismus walten lassen will. Weil auf eine stärkere Besteuerung von Vermögenden und Konzernen verzichtet wird, ist auch nicht klar, wie die Infrastrukturinvestitionen und der soziale Ausgleich für die steigenden Energiepreise finanziert werden sollen, die ebenfalls Gegenstand der Sondierungen waren: Die FDP spricht sich nicht nur gegen höhere Steuern, sondern auch gegen eine stärkere Staatsverschuldung aus. Zwar konnten die Grünen die Einrichtung eines Klimaministeriums durchsetzen; seine Machtbefugnisse sind aber derzeit völlig unklar.[6]

„Keine konkreten Maßnahmen“

Klimaaktivisten aus dem Umfeld der Grünen haben denn auch deutliche Kritik an den Ergebnissen der Sondierungsgespräche geübt. Kritisiert wurden unter anderem das Fehlen eines verbindlichen und raschen Ausstiegs aus Kohleverstromung sowie die Weigerung der potenziellen Koalitionsparteien, einen „realistischen, gerechten“ CO2-Preis zu diskutieren. In dem Sondierungpapier fänden sich keine „konkreten Maßnahmen“ zum Klimaschutz, urteilen die Aktivisten, die der Grünen Jugend angehören.[7] Parteifunktionäre wie Jürgen Trittin verteidigten indessen das Sondierungsergebnis; immerhin gebe es laut Trittin keine Steuererleichterungen für Topverdiener – „ein ordentlicher Kompromiss“.[8] Einen zentralen Streitpunkt der nun anstehenden Koalitionsgespräche wird voraussichtlich die Besetzung des Finanzministeriums bilden; der FDP-Vorsitzende Christian Lindner erhebt Anspruch auf diesen Posten.[9] Da die FDP eine strikt neoliberale Haushaltspolitik favorisiert und sich für die Rückkehr zur Schuldenbremse ausspricht, könnte Berlin mit einem rechtsliberalen Finanzminister womöglich sogar die EU-Konjunktur- und Transferprogramme wieder infrage stellen, auf die sich die EU im Sommer 2020 verständigt hatte. Ein kreditfinanziertes EU-Klimaprogramm rückt damit in noch weitere Ferne.

 

Mehr zum Thema: Klimapolitische Worthülsen und Klimabremser unter Wasser.

Der Originalartikel kann hier besucht werden