Trotz beispielloser Herausforderungen angesichts der Corona-Pandemie liessen sich 18 Länder auch im Jahr 2020 nicht von der Vollstreckung von Todesurteilen abbringen. Dies erklärte Amnesty International heute in ihrem jährlichen Bericht über die Anwendung der Todesstrafe. Während weltweit die Zahl der Hinrichtungen weiter zurückging, wurden in einigen Ländern stetig oder sogar zunehmend Todesurteile vollstreckt.

In Ägypten wurden 2020 dreimal so viele Hinrichtungen vollzogen wie noch im Vorjahr. Und in China wurde mindestens ein Mann zum Tode verurteilt und hingerichtet, nachdem die Behörden angekündigt hatten, scharf gegen Straftaten vorgehen zu wollen, die Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 beeinträchtigen. Gleichzeitig begann die US-Regierung unter Präsident Trump im Juli 2020 damit, wieder Hinrichtungen auf Bundesebene zu vollziehen, nachdem diese zuvor 17 Jahre lang ausgesetzt worden waren. In einem Zeitraum von nur sechs Monaten wurden zehn Männer exekutiert. Indien, Oman, Katar und Taiwan führten ebenfalls wieder Hinrichtungen durch. Das geht aus dem aktuellen Amnesty-Bericht zur Todesstrafe hervor.

Covid-19: Erschwerter Zugang zu Rechtsbeistand

«Vergangenes Jahr konzentrierte sich die Welt darauf, Menschen vor Covid-19 zu schützen. Gleichzeitig wendeten mehrere Regierungen mit schockierender Entschlossenheit die Todesstrafe an und richteten ungeachtet aller Umstände Menschen hin», so Patrick Walder, Leiter Campaigning & Advocacy und verantwortlich für das Dossier Todesstrafe bei der Schweizer Sektion von Amnesty International.

«Die Todesstrafe ist eine abscheuliche Form der Bestrafung, und der Vollzug von Hinrichtungen in Pandemiezeiten unterstreicht ihren grausamen Charakter noch zusätzlich. Es ist normalerweise schon schwer genug, gegen eine Hinrichtung anzukämpfen. Doch aufgrund der Pandemie hatten Menschen im Todestrakt plötzlich keine Möglichkeit, sich persönlich mit Rechtsbeiständen zu treffen. Rechtsbeistände, die Unterstützung bereitstellen wollten, mussten sich erheblichen – und absolut vermeidbaren – Gesundheitsrisiken aussetzen. Unter solchen Umständen ist die Anwendung der Todesstrafe ein besonders ungeheuerlicher Angriff auf die Menschenrechte.»

Die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie hatten in einigen Ländern besorgniserregende Folgen für den Zugang zu rechtlicher Vertretung und das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. So zum Beispiel in den USA, wo Verteidiger*innen davon berichteten, dass sie wichtige Recherchearbeiten nicht durchführen oder sich persönlich mit ihren Mandant*innen treffen konnten.

Fünf Länder mit höchster Hinrichtungsrate

China setzte zur Durchsetzung der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung auch auf die Todesstrafe: Die Hinrichtung eines mutmasslichen Mörders wurde von allen Instanzen im Schnellverfahren bewilligt; die Vollstreckung des Urteils erfolgte um Juli. Dem Verurteilten wurde der Mord an zwei Angestellten der Gesundheitsdienste zur Last gelegt, die mit der Durchsetzung der rigorosen Ausgangsbeschränkungen betraut waren. Im Anschluss daran liessen Regierungsstellen öffentlich verlauten, dass Verstösse gegen die Coronamassnahmen hart geahndet würden – einschliesslich der Todesstrafe, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet sowie ein Tatbestand gegeben ist, für den die Todesstrafe gesetzlich möglich ist. In China wird die Zahl der Hinrichtungen und Todesurteile als Staatsgeheimnis behandelt. Jegliche unabhängige Überprüfung wird somit verhindert. Aus diesem Grund sind Hinrichtungen in China nicht in den Zahlen von Amnesty International enthalten. Man geht allerdings davon aus, dass in China pro Jahr Tausende Todesurteile vollstreckt werden, womit das Land die höchste Zahl an Hinrichtungen aufweist, gefolgt von Iran (mindestens 246 Hinrichtungen), Ägypten (min. 107), Irak (min 45) und Saudi-Arabien (27). Iran, Ägypten, Irak und Saudi-Arabien waren 2020 für 88 Prozent aller bekannten Exekutionen weltweit verantwortlich.

Ägypten verdreifachte seine jährliche Hinrichtungszahl und lag somit im Jahr 2020 auf Platz drei der Länder mit den meisten Exekutionen. Mindestens 23 Menschen waren im Zusammenhang mit politischer Gewalt zum Tode verurteilt worden – in Gerichtsverfahren, die bei Weitem nicht den internationalen Standards für faire Verfahren entsprachen, erzwungene «Geständnisse» einsetzten und von weiteren schweren Menschenrechtsverletzungen einschliesslich Folter und Verschwindenlassen gekennzeichnet waren. Besonders viele Menschen wurden im Oktober und November hingerichtet, als die ägyptischen Behörden die Todesurteile von mindestens 57 Menschen – 53 Männern und vier Frauen – vollstrecken liessen.

Obwohl im Iran weniger Hinrichtungen verzeichnet wurden als in den Vorjahren, setzte das Land die Todesstrafe zunehmend als Instrument politischer Repression gegen Andersdenkende, Protestierende und Angehörige ethnischer Minderheiten ein. Dieses Vorgehen verstösst gegen das Völkerrecht.

Zahlreiche Länder in der Asien-Pazifik-Region setzten sich weiterhin über das Völkerrecht und internationale Standards hinweg, indem sie die Todesstrafe auf Straftaten anwendeten, die nicht mit vorsätzlicher Tötung in Verbindung standen. So wurden zum Beispiel in China, Indonesien, Laos, Malaysia, Singapur, Sri Lanka, Thailand und Vietnam Drogendelikte mit der Todesstrafe geahndet. In China und Vietnam konnte man ausserdem für Korruption zum Tode verurteilt werden, und in Pakistan für Blasphemie. In Bangladesch und Pakistan wurden Todesurteile von Gerichten verhängt, die mittels Sondergesetzen eingerichtet worden waren und in der Regel nicht den Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit folgen. Auf den Malediven befanden sich nach wie vor fünf Personen im Todestrakt, die zum Zeitpunkt der mutmasslichen Straftat unter 18 Jahre alt waren.

Die USA waren das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, in dem Todesurteile vollstreckt wurden. Im Juli 2020 liess die Trump-Regierung die ersten Hinrichtungen auf Bundesebene seit 17 Jahren durchführen.

Niedrigste Zahl an Hinrichtungen seit zehn Jahren

 Weltweit liegt die Zahl der erfassten Hinrichtungen für 2020 bei mindestens 483. Nicht enthalten sind Zahlen aus Ländern, in denen Informationen über vollstreckte Todesurteile als Staatsgeheimnis gelten, oder die nur eingeschränkte Daten zur Verfügung stellen – dies gilt für China, Nordkorea, Syrien und Vietnam. Diese Zahl ist zwar erschreckend, ist aber gleichzeitig die niedrigste von Amnesty International erhobene Hinrichtungsrate seit mindestens zehn Jahren. Sie repräsentiert einen Rückgang um 26 Prozent verglichen mit 2019 und eine Reduzierung um 70 Prozent im Vergleich zum Jahr 2015, das mit 1‘634 bekannten Hinrichtungen ein trauriges Rekordjahr darstellte.

Aus dem Amnesty-Bericht geht hervor, dass der Rückgang der Anzahl Hinrichtungen an niedrigeren Vollstreckungsraten in manchen der Länder, die nach wie vor auf die Todesstrafe zurückgreifen, liegt. In geringerem Ausmass beruht der Rückgang auch auf der pandemiebedingten Aussetzung von Exekutionen in einigen Ländern.

Die erfasste Zahl der Hinrichtungen in Saudi-Arabien ging um 85 Prozent zurück – waren es 2019 noch 184, fiel die Zahl im Jahr 2020 auf 27. Im Irak halbierte sich die Zahl der Exekutionen von 100 im Jahr 2019 auf 45 im Jahr 2020. In Bahrain, Belarus, Japan, Pakistan, Singapur und im Sudan waren 2020 im Gegensatz zu 2019 keine Hinrichtungen zu verzeichnen.

Auch die Anzahl der weltweit verhängten Todesurteile (mindestens 1‘477) ist im Vergleich zu 2019 um 36 Prozent zurückgegangen. Amnesty International stellte in 30 von 54 Ländern, in denen bekanntermassen Todesurteile verhängt wurden, einen Rückgang fest. Allem Anschein nach hat dies in mehreren Fällen mit Verzögerungen und vertagten Verfahren aufgrund der Pandemie zu tun.

Erwähnenswerte Ausnahmen stellen Indonesien und Sambia dar. In Indonesien lag die Zahl der erfassten Todesurteile für 2020 bei 117, was verglichen mit 2019 (80) einen Anstieg um 46 Prozent darstellt. Sambia verhängte 119 Todesurteile, das sind 18 mehr als noch 2019 und ist die höchste erfasste Zahl im Afrika südlich der Sahara.

 Zeit für die Abschaffung der Todesstrafe

Im Jahr 2020 wurde die Todesstrafe im Tschad und im US-Bundesstaat Colorado abgeschafft. Kasachstan verpflichtete sich völkerrechtlich zur Abschaffung der Todesstrafe, und Barbados setzte Reformen zur Aufhebung der verpflichtenden Anwendung der Todesstrafe um. Mit Stand vom April 2021 haben 108 Länder die Todesstrafe für alle Straftaten abgeschafft. 144 Länder haben die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft – ein Trend, der nicht umgekehrt werden darf.

«Zwar gab es 2020 einige Länder, die an der Todesstrafe festhielten, doch das Gesamtbild war positiv. Im Tschad und im US-Bundesstaat Colorado wurde die Todesstrafe abgeschafft, und die Zahl der erfassten Hinrichtungen ging weiter zurück – was bedeutet, dass die Welt immer weiter von der grausamsten, unmenschlichsten und erniedrigendsten aller Strafen abrückt», so Patrick Walder.

Mittlerweile unterstützen 123 Staaten die Forderung der UN-Generalversammlung nach einem Hinrichtungsmoratorium – das sind mehr Staaten als jemals zuvor. Damit wächst der Druck auf die übrigen Länder, sich dem ebenfalls anzuschliessen. Vor Kurzem schaffte Virginia als erster Südstaat der USA die Todesstrafe ab; gleichzeitig sind vor dem US-Kongress mehrere Gesetzentwürfe zur Abschaffung der Todesstrafe auf Bundesebene anhängig. Amnesty International fordert den US-Kongress auf, sich hinter die gesetzliche Abschaffung der Todesstrafe zu stellen. Weltweit geht der Trend zur Abkehr von der Todesstrafe weiter.

«Wir appellieren an die Staats- und Regierungschefs aller Länder, die diese Form der Bestrafung noch nicht aufgehoben haben, sich im Jahr 2021 endgültig von der Todesstrafe zu verabschieden. Wir werden unsere Kampagne so lange weiterführen, bis die Todesstrafe überall ein für alle Mal abgeschafft wird», sagt Patrick Walder.

Der Originalartikel kann hier besucht werden