Berlin treibt die Fokussierung der EU-Militärpolitik und die Verzahnung europäischer Streitkräfte im NATO-Rahmen voran.

Mit einer klareren Fokussierung der EU-Militärpolitik und einem Ausbau der europäischen Streitkräftekooperation im NATO-Rahmen will die Bundesregierung die militärische Schlagkraft Europas stärken. Zum einen soll die EU noch während der deutschen Ratspräsidentschaft einen „strategischen Kompass“ erhalten, der die teilweise weit divergierenden geostrategischen Interessen innerhalb der Union bündeln soll. Als Grundlage ist eine gemeinsame Bedrohungsanalyse vorgesehen, die zur Zeit von den Geheimdiensten der EU-Mitgliedstaaten vorbereitet wird. Zugleich treibt Berlin die Kooperation innerhalb des Framework Nations Concept (FNC) der NATO voran; dabei werden Truppen verschiedener Staaten mit Blick auf gemeinsame Operationen zusammengeführt und insbesondere Einheiten kleinerer Mitgliedstaaten dem Kommando großer NATO-Länder, nicht zuletzt Deutschlands, unterstellt. Parallel zum Ausbau der kontinentalen Militärkooperation setzt Berlin auf die „E3“: einen lockeren Zusammenschluss mit Frankreich und Großbritannien, der das britische Militärpotenzial nach dem Brexit für die EU verfügbar halten soll.

Gemeinsame Bedrohungsanalyse

Eine wichtige Rolle in den deutschen Planungen zur weiteren Militarisierung der EU nimmt nach wie vor der „strategische Kompass“ ein, auf den sich die EU nach dem Willen Berlins bis zum Jahr 2022 einigen soll. Das Ziel ist, alle einschlägigen Projekte der Union von den Battlegroups bis zu PESCO (Permanent Structured Cooperation) in einen einheitlichen Rahmen zu integrieren, um den Militarisierungsbestrebungen eine größere Schlagkraft zu verleihen. Als erster Schritt ist die Erstellung einer gemeinsamen Bedrohungsanalyse geplant – ein Novum für die EU. Dazu werden die Geheimdienste der Mitgliedstaaten bis Ende September Erkenntnisse zusammentragen, die daran anschließend gewichtet werden: „Wir müssen darüber hinauskommen, Bedrohungen nur aufzuzählen“, erklärt Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.[1] Im November sollen sich die EU-Mitgliedstaaten dann endgültig auf die Bedrohungsanalyse einigen. Damit stünde der Kern des „strategischen Kompasses“ am Ende der deutschen Ratspräsidentschaft fest.[2]

Der „360-Grad-Blick“

Als besondere Schwierigkeit gilt dabei, die stark divergierenden geostrategischen Interessen der EU-Mitgliedstaaten in einem tragfähigen Konzept zusammenzubinden. So sei, konstatiert Torben Schütz, ein Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), bei den östlichen und nordöstlichen EU-Mitgliedstaaten „eine sehr traditionelle Bedrohungswahrnehmung“ anzutreffen; sie wendeten sich klar gegen Russland.[3] Demgegenüber richteten die südlichen EU-Staaten „ihren Fokus eher auf die Instabilität“ im Mittelmeergebiet, in Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten. Beides „unter einen Hut zu bekommen“ sei „nicht so einfach“, konstatiert Schütz: Unterschiedliche Bedrohungsszenarien beeinflussten, wie man „Fähigkeiten plane“, wie man „Streitkräfte strukturiere … und Ähnliches“. Als vorläufige Kompromissformel bietet das Bundesverteidigungsministerium einen „360-Grad-Blick“ an.[4] Was dies genau bedeuten soll, ist allerdings unklar. Die Widersprüche waren erst kürzlich beim jüngsten Treffen der Außenminister deutlich zutage getreten, als Griechenland und Zypern drohten, die geplanten Sanktionen gegen Belarus zu verhindern, sollte sich die EU ihren Forderungen zur Türkeipolitik verweigern.

„Truppenkörper zusammenführen“

Parallel dazu treibt die Bundesregierung die Kooperation der europäischen NATO-Staaten voran. Den Rahmen bildet das „Framework Nations Concept“ (FNC), das 2013 von Deutschland initiiert wurde. Es sieht vor, wie das Verteidigungsministerium schreibt, dass „bestehende Truppenteile und Fähigkeiten der nationalen Armeen schrittweise zusammengeführt werden“; Ziel sei der „Aufbau einsatzbereiter und interoperabler größerer Truppenkörper“.[5] Als „Rahmennation“ tritt dabei neben Großbritannien und Italien auch die Bundesrepublik auf. Der deutschen FNC-Gruppierung gehören mittlerweile 21 Staaten an, darunter neben 16 Staaten – einschließlich Deutschland -, die sowohl NATO- als auch EU-Mitglied sind, das NATO-Mitglied Norwegen, die militärisch offiziell neutralen EU-Mitglieder Österreich, Finnland und Schweden sowie die offiziell gänzlich neutrale Schweiz. Faktisch dient das FNC unter anderem dazu, Verbände kleinerer europäischer NATO-Staaten dem Kommando der großen Mitgliedstaaten zu unterstellen; so binden, wie es beim Bundesverteidigungsministerium heißt, „beispielsweise die Tschechische Republik und Rumänien im Rahmen des FNC große Teile ihrer Heerestruppen in die deutschen Landstreitkräfte ein“.

Europäische Konsolidierung

Zudem dient das FNC dazu, ähnliche Kapazitäten von NATO und EU im europäischen Rahmen zusammenzuführen und damit die Effizienz zu steigern. Als Beispiel gilt die Verknüpfung des EU-Projekts European Medical Command (EMC) mit dem Multinational Medical Coordination Center (MMCC) der NATO. Mit dem EMC, einem von Berlin initiierten PESCO-Vorhaben, wird ein einheitliches Koordinierungselement für die Sanitätsdienste der zehn beteiligten Staaten aufgebaut. Das MMCC wiederum, ein Projekt innerhalb der von Deutschland geführten FNC-Gruppierung, leistet Ähnliches im europäischen NATO-Rahmen.[6] Im September 2019 ist es gelungen, EMC und MMCC zusammenzuführen; Aufgabe der neuen Struktur ist es, „die sanitätsdienstlichen Fähigkeiten der 18 beteiligten Nationen zu koordinieren“. Für Ende November kündigt das neue MMCC/EMC eine militärische Planübung an („Resilient Response 2020“), mit der eine gemeinsame Reaktion der beteiligten Staaten auf eine Pandemie geprobt werden soll – bei zugleich auftretenden „andere[n] Bedrohungen“, etwa Angriffen auf die Infrastruktur. In die Übung werden „Beobachtungen und Erfahrungen aus der ersten Pandemiewelle von COVID-19“ integriert.[7]

Das E3-Format

Ergänzend zur Fokussierung der EU mit Hilfe des „strategischen Kompasses“ und zur Verknüpfung der europäischen Streitkräfte im NATO-Rahmen arbeitet Berlin an der Konsolidierung der außen- und militärpolitischen Kooperation mit Großbritannien. Dies gilt – mit Blick auf den globalen Einfluss und die militärische Stärke des Vereinigten Königreichs – als unabdingbar, soll trotz des britischen Austritts aus der EU ein weltpolitisch handlungsfähiger europäischer Machtpol entstehen. Rahmen für die Kooperation ist das „E3-Format“, ein loser Zusammenschluss Deutschlands und Frankreichs mit Großbritannien. Die „E3“ operieren gemeinsam, seit sie sich 2003 zusammentaten, um in den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm einen zweiten westlichen Pol neben den Vereinigten Staaten zu bilden. Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hat am 20. und 21. August ihre Amtskollegen aus Frankreich, Florence Parly, und aus Großbritannien, Ben Wallace, zum ersten formalen Treffen der E3-Verteidigungsminister empfangen; die Kooperation soll weiter aufrechterhalten werden: „Für Deutschland und Frankreich“, erklärte Kramp-Karrenbauer, werde „die Zusammenarbeit mit Großbritannien trotz des Brexit in der Sicherheitspolitik weiter eine sehr hohe Bedeutung haben“.[8]

[1] Donata Riedel: Treffen der Verteidigungsminister: Diese Probleme hat Europa mit einer eigenen Militärstrategie. handelsblatt.com 26.08.2020.

[2] S. dazu Der strategische Kompass der EU.

[3] Unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen. deutschlandfunk.de 27.08.2020.

[4] EU-Verteidigungsminister in Berlin: Das Treffen im Resümee. bmvg.de 27.08.2020.

[5], [6] Framework Nations Concept: Militärkooperation in Europa weiter stärken.bmvg.de 28.08.2020.

[7] MMCC/EMC weiter auf Erfolgskurs. bundeswehr.de.

[8] E3-Verteidigungsminister treffen sich im Saarland. bmvg.de 24.08.2020.

Der Originalartikel kann hier besucht werden