Der Einladung von Katrin Rohnstock zu einer Diskussionsrunde am 23.5.2019 folgten viele ehemalige Verantwortliche aus DDR Kombinaten, sowie staatlichen und wissenschaftlichen Einrichtungen, bemerkenswerterweise auch von TV und Radiosendern Deutschlands, der Schweiz und Japans. Der Konferenzsaal bei Rohnstock war übervoll.
Zwei Themen standen zur Diskussion: „War die DDR 1989 Pleite“ und „Der Schürerbericht an das Politbüro der SED vom 30.10.1989 zur ökonomischen der Lage der DDR mit Schlussfolgerungen“.
Die sogenannte Pleite entpuppte sich in der Diskussion schnell – politisch von den westlichen Eliten gewünscht – als Medienente, modern FAKE-NEWS. Angesichts der Wahltermine zur Volkskammer der DDR und zum Bundestag der BRD im Jahr 1990 wurden Negativberichte gebraucht. Eine Revision der Deutschen Bank zur Zahlungsbilanz der DDR (1975-1989) von Mitte 1990 stellte klar, dass von dieser Seite die Überlebensfähigkeit der DDR nicht gefährdet war. Die Diskussionsteilnehmer verwiesen auch auf die aktuelle Staatverschuldung Deutschlands, die mit annähernd 2 Billionen Euro (rund 4 Billionen DM) astronomisch höher liegt, ohne mediale Bankrottdiskussionen auszulösen.
Den Schürerbericht kommentierte Walter Siegert, ex Staatssekretär und Stellvertreter des Finanzministers der Modrow-Regierung als Ausgangspunkt zur Debatte bei Rohnstock. Sein Kommentar: Der Bericht war eine schonungslose Darstellung der realen Situation mit allen Mängeln und Risiken für die DDR Wirtschaft. Der Schlussfolgerungsteil war getragen von konkreten Vorschlägen, wie über Reformen und Veränderungen normale Entwicklungsgrößen in der Wirtschaft wieder zu erreichen wären. Zum Beispiel durch Umverteilung der knappen Investitionsmittel, der Arbeitskräfte auf produktive Zweige, durch eine punktuell veränderte Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Subventionsmittel sollten andere Prioritäten erhalten, allerdings mit sozialen Auswirkungen. Der Bericht enthielt Warnzeichen für die Volkswirtschaft der DDR aber keine Dramatik für einen Zusammenbruch. W. Siegert informierte zu den Zahlen zur äußeren Verschuldung: Minus 19,9 Milliarden Valutamark (Verbindlichkeiten) für den kapitalistischen Teil und Plus 23,3 Milliarden (Forderungen) im RGW Bereich der Zahlungsbilanz. Das entsprach der Einschätzung der Deutschen Bank. Schalk-Golokowski hatte Zahlen nach Abgabe des Berichtes an das Politbüro korrigiert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die DDR alle fällig werden Kredite pünktlich bedient.
Die Wortmeldungen der Teilnehmer hoben folgende Aspekte hervor:
- Die DDR Wirtschaft hatte in den 60ziger Jahren komplizierte Wirtschaftssituationen mit Reformanstrengungen erfolgreich überwinden können. 1990 war das nicht möglich. Die internationale Situation war völlig verändert. Gorbatschow hat sich als Verlierer des Kalten Krieges gesehen und die DDR und andere sozialistische Länder aufgegeben. Allein war sie im Umfeld der beherrschenden Marktwirtschaft nicht lebensfähig.
- Mehrere Teilnehmer kritisierten, dass der Schürerbericht mit seinen Schlussfolgerungen nicht den Kombinaten und den Parteien noch 1989 zur Beratung übergeben wurde. Sinnvoll wäre auch die Einbeziehung der Bevölkerung gewesen.
- Nostalgische Übungen sind 30 Jahre nach den Ereignissen fehl am Platze. Dennoch ist es wichtig, alle Erfahrungen und Leistungen der DDR, die der Marktwirtschaft überlegen waren, zusammenzutragen. Die DDR wird so wie sie war, nicht wiederkommen, aber neue soziale Ordnungen.
- Die gesellschaftlichen Zustände in Deutschland und in der Welt (Trump) zeigen, dass soziale und naturbeachtende Logiken als Alternativen dringend gebraucht werden.
- Es wäre gegenwärtig erforderlich, dass die bestimmenden Parteien und die Regierung Deutschlands besonders in Wahlzeiten ebenfalls schonungslose Analysen über die wahren Ursachen des Auseinandertriftens der Gesellschaft und der Gefährdung des Friedens und der Natur der Öffentlichkeit vorlegen.
- Beklagt wurde von mehreren Teilnehmern eine mangelnde Wirtschaftskompetenz und subjektive Verhaltensweisen einiger Mitglieder des Politbüros der SED.
- Die Märzwahl 1990 leitete einen juristischen Tsunami ein, den die DDR Wirtschaft nicht überstehen konnte. 4 Gesetze waren maßgebend:
Ersten: das nach der Märzwahl 1990 veränderte Treuhandgesetz (Privatisierung vor Sanierung)
Zweitens: die Währungsunion mit dem Gesetz zur DM-Eröffnungsbilanz und dem Umrechnungssatz 2:1. Das westdeutsche Banken- und Kreditsystem etablierte sich in der DDR. (Unternehmungskalkulationen gerieten ins Minus)
Drittens: Aufkündigung des RGW
Viertens: Das Gesetz über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik.
Die 4 Gesetzeswerke wirkten wie Brandbeschleuniger zum Untergang der DDR Wirtschaft.
- Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung (BHO) wurde keine Abschlussbilanz zum Vermögensübergang der DDR an die BRD angefertigt und vom Bundestag bestätigt. Das heisst, neben der wirtschaftlichen Werte über den Verbleib der Vermögenswerte der Wissenschaftsbereiche der DDR (materielle und geistige Werte der Forschungseinrichtungen, der Universitäten, Akademien). Werte der Gesundheitseinrichtungen, der Kultur (Museen, Theater ü-ä.), Werte der Städte und Gemeinden, Werte des Verteidigungs- und Sicherheitsapparates, Werte der Verkehrsinfrastruktur (Reichsbahn, Häfen, Flugzeuge), Werte der Staatsforsten, Wasserstraßen, Seen, Werte der Bodenschätze (Kali, Kohle, seltene Erzvorkommen), Immobilienwerte der DDR Botschaften im Ausland und vieler anderer Werte.
- In seiner Biografie „Gewagt und verloren“ schrieb Schürer, dass die DDR von 1972 bis 1989 moderne Anlagen und Geräte im Wert von mehr als 50 Mrd. Valutamark aus den westlichen Ländern (z.B. Japan, Österreich, BRD) importiert hatte, einen Teil als Kompensationsgeschäfte. Das volkswirtschaftliche Wachstum erreichte rund 3% jährlich und war damit höher als das der BRD, wenn auch die Planzahlen nicht erreicht wurden. Marode Volkswirtschaften bringen solche Entwicklungen nicht zustande.
Die westdeutsche Politik brauchte 1990, negative Schlagzeilen und die Versprechen kommender blühender Landschaften, um die Märzwahl zur Volkskammer und Dezemberwahl zum Bundestag erfolgreich zu gestalten.