Die eskalierenden US-Maßnahmen gegen den chinesischen Telekommunikationskonzern Huawei drängen Berlin zur Entscheidung über die künftige Kooperation mit dem Unternehmen. Bisher haben die zuständigen deutschen Stellen für den Aufbau des wichtigen Mobilfunkstandards 5G die Zusammenarbeit mit Huawei im Blick: Der chinesische Konzern gilt als erfahren genug, das deutsche Netz in vergleichsweise kurzer Zeit zuverlässig und zu günstigen Preisen zu errichten.

Die deutsche Wirtschaft legt höchsten Wert darauf, um bei der Entwicklung modernster Zukunftstechnologien nicht noch stärker in Rückstand zu geraten. Washington dringt allerdings auf den Ausschluss des chinesischen Konzerns, dem die Trump-Administration Staats- und Geheimdienstnähe vorwirft. Belege liegen laut Auskunft von Experten nicht vor. In der Tat sucht Washington Huawei, den größten Netzwerkausrüster und den zweitgrößten Smartphonehersteller der Welt, schwer zu schädigen, um Chinas Aufstieg zu stoppen. Berlin steht vor der Entscheidung, sich an der Schlacht gegen Huawei im Wirtschaftskrieg gegen Beijing zu beteiligen.

Die US-Boykottkampagne (I)

US-amerikanische Maßnahmen, die dem chinesischen Konzern Huawei schaden sollen, sind alles andere als neu. Bereits im Oktober 2012 hatte der Geheimdienstausschuss des US-Repräsentantenhauses Huawei und einen zweiten chinesischen Konzern, ZTE, als „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ der Vereinigten Staaten eingestuft und ausdrücklich vor der Nutzung von Huawei-Produkten gewarnt.[1] Dieser Warnung haben sich mittlerweile CIA und FBI offiziell angeschlossen; demnach sollen auch private Konsumenten möglichst umfassend auf Huawei-Smartphones verzichten. Washington übt außerdem Druck auf Privatunternehmen aus, keinerlei Geschäfte mit dem chinesischen Konzern abzuschließen; Konzerne wie AT&T und Verizon haben auf Drängen Washingtons entschieden, auf den Vertrieb von Huawei-Geräten in den USA zu verzichten. Darüber hinaus ist Washington dazu übergegangen, enge Verbündete zum Boykott des chinesischen Konzerns zu drängen. So hat Australien die Nutzung von Huawei-Technologie beim Aufbau des neuen Mobilfunkstandards 5G untersagt. In Neuseeland hat, wie erst vor kurzem bekannt wurde, der Geheimdienst ein entsprechendes Verbot erteilt. In Kanada werden identische Forderungen laut. British Telecom hat angekündigt, Huawei-Produkte zumindest vom Kern des aufzubauenden 5G-Netzes auszuschließen. Japan hat sich am gestrigen Montag angeschlossen: Es hat den Streitkräften und sämtlichen Regierungsstellen die Nutzung der Produkte von Huawei und anderen chinesischen Konzernen untersagt.

Verdacht statt Fakten

Der anschwellende Huawei-Boykott ist auch deshalb bemerkenswert, weil er durchweg mit nicht belegten Verdachtsbehauptungen aus anonymen Geheimdienstquellen durchgesetzt wird. Demnach schaffe der chinesische Konzern offene Einfallstore für chinesische Geheimdienste oder gar für chinesische Cyberattacken. „Belege für eine Verquickung der Firma mit Staats- und Parteiapparat gibt es … nicht“, räumte kürzlich ein Fachredakteur einer führenden deutschen Tageszeitung ein.[2] Tatsächlich loben Experten Huawei sogar für eine in der Branche sonst nicht übliche Offenheit. So urteilte der Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI), Arne Schönbohm, Mitte November über das soeben eröffnete „Security Innovation Lab“ des Konzerns in Bonn, es ermögliche „einen weiteren und tieferen technischen Austausch zwischen Huawei und dem BSI“, der es erlaube, die „zukünftigen Herausforderungen der Cybersicherheit“ anzugehen.[3] Dass wichtige politische und zunehmend auch ökonomische Entscheidungen nicht auf der Basis von Fakten, sondern auf der Grundlage raunenden Geheimdienstverdachts begründet werden, wird mittlerweile zum Standard der westlichen Mächte in zentralen Fragen der internationalen Politik.

„Eine Art Kidnapping“

Den Druck auf Huawei hat Washington nun mit der Durchsetzung des Haftbefehls gegen Meng Wanzhou, die Finanzchefin des Konzerns, verstärkt. Der Vorgang zeigt allgemein, dass die Trump-Administration dazu übergeht, nicht nur von allen Staaten weltweit die Einhaltung ihrer nationalen Sanktionen zu verlangen, sondern zur Durchsetzung dieser Rechtsauffassung auch die Justiz verbündeter Staaten heranzuziehen. Gelingt dies, dann muss künftig jeder, der trotz der dieses Jahr in Kraft gesetzten US-Sanktionen weiterhin Geschäfte mit Iran macht, mit einer Anklage in den Vereinigten Staaten und mit einem Auslieferungsantrag der US-Justiz rechnen. Zudem zeigt der Vorgang, dass Washington im Kampf gegen Huawei auch vor direkten Angriffen auf dessen Führungspersonal nicht zurückschreckt. „Es fängt an, sich wie eine Art Kidnapping anzufühlen, bei der jemand für ein Lösegeld festgehalten wird“, urteilt Mark Natkin, Gründer des IT-Forschungsunternehmens Marbridge Consulting aus Beijing.[4] In China tätigen US-Konzernen ist die sehr weit reichende Bedeutung von Mengs Festnahme unmittelbar klar geworden. Offenkundig annehmend, Beijing sei womöglich gewillt, mit gleichen Mitteln zurückzuschlagen, hat der US-Konzern Cisco schon am Freitag „alle nicht unumgänglichen Reisen“ seiner Angestellten in die Volksrepublik gestoppt. Eine Reihe weiterer Unternehmen, darunter Google, Facebook und PayPal, ziehen es in Betracht, sich dem Schritt anzuschließen.[5]

Die US-Boykottkampagne (II)

Dabei hat Washington bereits die nächste Eskalationsrunde im Wirtschaftskrieg gegen Huawei eingeleitet. So untersagt der im Sommer dieses Jahres verabschiedete Fiscal 2019 National Defense Authorization Act sämtlichen staatlichen US-Stellen nicht nur den Kauf von Geräten, die Huawei, ZTE oder drei weitere chinesische IT-Firmen hergestellt haben [6]; auch der Erwerb von Produkten anderer Hersteller, die lediglich Einzelteile der erwähnten chinesischen Firmen enthalten, ist nicht mehr erlaubt. Das Gesetz wird auch weitere chinesische Unternehmen treffen; deren Namen sind allerdings noch nicht bekannt.[7] Ab dem 13. August 2020 dürfen US-Regierungsbehörden zudem keine Geräte mehr beschaffen, deren Hersteller auch nur irgendwo in ihren Räumlichkeiten Produkte der erwähnten chinesischen Konzerne nutzen.[8] Stellte sich heraus, dass auch nur ein Angestellter eines US-Staatslieferanten dienstlich etwa ein Huawei-Smartphone benutzt, dann wäre dies illegal; der Firmenchef könnte eventuell in den USA vor Gericht gestellt und umgehend per Auslieferungsantrag in die Vereinigten Staaten abgeführt werden.

Der Preis des Boykotts

Für die deutsche Wirtschaft zeichnen sich gravierende Folgen ab. Bislang setzt die Deutsche Telekom auf Huawei-Technologie; der chinesische Konzern gilt auch bei der Entscheidung, wem hierzulande der Ausbau des 5G-Netzes übertragen wird, als ein Favorit. Beobachter weisen darauf hin, dass Huawei über die größte Erfahrung verfügt und die günstigsten Preise anbieten kann. Ließen sich höhere Preise ohne weiteres auf die Konsumenten abwälzen, so wäre für die deutsche Wirtschaft jede durch Erfahrungsmangel bedingte Verzögerung beim Netzausbau ein kostspieliger Verlust. Beim aktuellen LTE-Standard liege die Bundesrepublik im europäischen Vergleich auf Platz 32 von 36 – „gleich hinter Albanien“, heißt es in einer Studie.[9] Geschehe dies auch bei 5G, dann drohe man bei der modernsten Technologie den Anschluss zu verpassen. Hinzu kommt, dass deutsche Unternehmen selbstverständlich auch anderweitig Produkte von Huawei und weiteren chinesischen Herstellern nutzen. Die Umstellung auf nichtchinesische Geräte, die nötig wäre, um sich weiterhin um US-Staatsaufträge zu bewerben, käme deutsche Firmen teuer zu stehen.

Vor der Entscheidung

Allerdings drohen bei offener Opposition gegen US-Forderungen Nachteile im US-Geschäft, das bisher für eine hohe Zahl im Ausland tätiger deutscher Unternehmen unersetzlich ist.[10] Experten weisen darauf hin, dass Washington offenbar begonnen hat, die westliche High-Tech-Industrie von China abzukoppeln, um die aufstrebende Volksrepublik niederringen zu können. Will Berlin mit Blick auf die Profite aus dem US-Geschäft und die Vorteile der militärischen Kooperation in der NATO das Bündnis mit den USA bewahren, dann steht der Bundesrepublik die Entscheidung über eine Beteiligung an der Abkopplung bevor – inklusive milliardenschwerer Verluste aus dem bisher noch boomenden Chinageschäft.[11]

[1] Michael S. Schmidt, Keith Bradsher, Christine Hauser: U.S. Panel Cites Risks in Chinese Equipment. nytimes.com 08.10.2012.
[2] Carsten Knop: China handelt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.12.2018.
[3] Friederike Böge, Reiner Burger, Majid Sattar: Von Entspannung keine Spur. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.12.2018.
[4], [5] Charlie Campbell: It’s Hard to Overstate How Big a Deal the Huawei CFO’s Arrest Could Be. time.com 10.12.2018.
[6] Neben Huawei und ZTE betrifft das Gesetz Hangzhou Hikvision Digital Technology, Dahua Technology und Hytera Communications.
[7], [8] Shunsuke Tabeta, Takeshi Kawanami: US strikes at heart of ‚Made in China‘ with Huawei arrest. asia.nikkei.com 07.12.2018.
[9] Frank Sieren: Sierens China: Das Netz ist ausgeworfen. dw.com 05.09.2018.
[10] S. dazu Im nationalen Interesse.
[11] S. dazu Deutsche Autobosse in Washington.

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