Émile Durkheim, Soziologe und Ethnologe, geboren im Jahre 1858, schrieb 1897 sein Buch ‚Le suicide’. In diesem erarbeitete er Arten des Selbstmordes und beschreibt und erklärt die Entwicklung der Selbstmordrate in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen seiner Zeit.

Suizidrate bei den Konfessionen

So nennt Durkheim als Ursache für die im Vergleich zu Katholiken höhere Selbstmordrate bei Protestanten deren schlechtere soziale Integration. Das ist dadurch begründet, dass der Protestantismus den Menschen wesentlich weniger Restriktionen auferlegt, nicht mit dem Fegefeuer droht und zudem weniger auf die Familie gepolt ist. Dadurch verbleiben jedoch auch eine Sinn- und Pflichtengebung, sowie ein festes soziales Umfeld. Eben diese Dinge sind jedoch notwendig für die Integration eines Menschen.

Neben der altruistischen, egoistischen und fatalistischen Selbsttötung ist die anomische, das heißt die aus fehlenden Normen und fehlender Bindung, die zur Zeit interessanteste, da mangelnde Integration eines der akutesten Probleme unserer Zeit ist und das nicht nur in der Flüchtlingspolitik. Mangelnde Integration ist keine Phrase, keine Randerscheinung, kein Phänomen einzelner Gruppen, mangelnde Integration ist allgegenwärtig, wenngleich wir sie oft nur unterbewusst wahrnehmen.

So lässt etwa die Einbindung in die Familie und die Rolle der Familie als Rückgrat des Individuums nach. Das untersuchte übrigens auch Durkheim und führte es als die Begründung der höheren Selbstmordrate bei Protestanten an. Aufgrund der Dynamik der Gesellschaft fehlt bei vielen Menschen oft ein stabiles soziales Umfeld, ein dauerhaftes, kein vorübergehendes. Die Mobilität und wirtschaftlichen Interessen führen nicht selten dazu, dass Menschen eine feste Bleibe, eine Heimat, fehlt. Und auch der Atheismus wächst: Heute macht er mit einem Drittel der deutschen Bevölkerung die größte Gruppe aus. Religion ist längst nicht mehr der Kitt der Gesellschaft und kein zuverlässiger Faktor der Integration. Auch die sinngebende Wirkung der Religion nimmt immer weiter ab.

Aus diesen Gründen glaubte Durkheim, obwohl er überzeugter Atheist war, an die integrierende Kraft der Religion. Noch heute ist sie zu beobachten, jedoch nicht ausschließlich in guter Absicht. Der Islamismus nämlich erstarkte erst deshalb, weil er orientierungslosen, jungen Menschen eine Heimat bot.

Krisen der Nicht-Integration

2003  ging aus dem Irakkrieg eine zerstörte Gesellschaft hervor, Vakuum und Chaos entstanden und viele Menschen waren perspektivlos. Deshalb liefen manche im Laufe der letzten Jahre zum im selben Jahr gegründeten Islamischen Staat über. Dieser bot ein soziales Umfeld, Anerkennung und stärkte das Selbstwertgefühl, Dinge die den Menschen dort offensichtlich fehlten. Ähnlich trägt es sich mit deutschen Salafisten zu, oft Geflüchteten, die in Deutschland weder ihre Heimat noch ein soziales Umfeld finden. Dem  Abhilfe zu schaffen täuschen Salafisten vor und führen junge Menschen in die Abgründe zu eigenem Vorteil interpretierter islamischer Religion.

Es lassen sich hierbei Parallelen zur deutschen Geschichte herstellen, genauer in die Zeit der Weimarer Republik. Diese Epoche war geprägt von Anomie durch vom Krieg zerrissene Familien, soziale Unruhen, infolge der Weltwirtschaftskrise verstärkt Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie Zwietracht innerhalb der Gesellschaft. Die gegensätzlichsten und radikalsten Parteien förderten diese Wurzellosigkeit der Gesellschaft noch, versuchten gleichzeitig aber oft eine kollektive Ideologie durchzusetzen.

Besonders hervor tat sich in diesem Streben die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, die Partei Adolf Hitlers, des vermeintlichen Führers. Ihre Ideologie, die von Rassendarwinismus und Militarismus geprägt war, führte noch ein zusätzliches und in den Grundtiefen verschieden zu den Kommunisten interpretiertes Attribut, das Attribut “sozialistisch”. Sozial war an der NSDAP herzlich wenig, aber sie war bestrebt allen reinen, gesunden, kräftigen und insbesondere den “nordischen” und “arischen” Deutschen eine Gemeinschaft zu geben, in der sie einen Platz fanden, eine Gemeinschaft in der ihr Leben Sinn und Zweck hatte und in der sie respektiert wurden, beugten sie sich nur dem Willen von Partei und Führer. Diese Gemeinschaft war die sogenannte “Volksgemeinschaft”, die Solidarität und Unterordnung aller sie konstituierenden Individuen verlangte.

Integration als Säule

So lässt sich feststellen, dass Situationen in der Geschichte wie in der Gegenwart in denen Integration in großem Maße fehlte, stets genutzt und ausgenutzt wurden, um Menschen in ihrer psychisch labilen Lage zu missbrauchen. Gerade im Falle der fehlenden Integration, die wie von Durkheim beschrieben, bei einigen Menschen eine anomische Selbsttötung verursachen kann, ist der Missbrauch der psychischen Lage geradezu einladend. Es bedarf nicht mehr als einem sozialen Umfeld, Werten und einem Lebenssinn und binnen kürzester Zeit verfällt ein Mensch einer Ideologie, an die zu glauben, er nicht geträumt hätte.

Um diesen Missbrauch zu verhindern und insbesondere um Menschen einen Lebenssinn zu geben, sollte man es nie zu solch einer Lage kommen lassen. Gerade Flüchtlinge müssen prioritär sozial integriert werden. Weiterhin brauchen wir wieder eine stabilere Gesellschaft, in der Menschen ihren Platz haben, zudem ein festes soziales Umfeld und Werte und Normen, die einem jeden das Gefühl von Wertigkeit geben, ebenso ein Verhalten, das diese umsetzt.

Das gilt keineswegs nur für Flüchtlinge. Viele Menschen sind in Deutschland zu schwach sozial integriert. Nur wenn wir all unseren Mitmenschen eine Heimat und einen Lebenssinn zu geben vermögen, wird unsere Gesellschaft nachhaltig sein und auch langfristig erfolgreich bestehen können.

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