Die seit 1910 in Mexiko tobende Revolution neigte sich ihrem Ende zu. Die drei schlecht ausgerüsteten Bauernarmeen unter Fransisco (Pancho) Villa, Emiliano Zapata und Fransisco Madero waren seit langem erschöpft und zerstritten. Auf allen Seiten war die Zahl der Opfer außerordentlich hoch.

Ende Januar 1919 ritt ein mexikanischer Bote nach New Orleans. Sein Auftrag: Einen Brief von Zapata an Lenin zum nächsten nach Europa abgehenden Schiff zu bringen. Die mexikanische Häfen Veracruz und Tampico wurden zu dieser Zeit noch nicht von regelmäßigen Fracht-Postschiffen angelaufen.

Anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestages der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Mexiko und der UdSSR wurde die Geschichte des Briefes der Öffentlichkeit in einem Bulletin der sowjetischen Botschaft in Mexiko D.F., mit Bezug auf die „Mexikanischen Tagebücher“ von Alexandra Kollontai vorgestellt. Sie war die erste Botschafterin in Mexiko.

Der Hintergrund des gewichtigen Briefes waren Anliegen von gleichgearteten Gegebenheiten.

Emiliano Zapata

In Russland und in Mexiko bestimmten seit Generationen ähnliche miserable Zustände das Leben der Kleinbauern und der Landarbeiter. Sie wollten in beiden Ländern mit bewaffneten Aktionen ihre Lage verändern. Opferreich zogen sich die Kämpfe über viele Jahre. Ein Ende musste gefunden werden, aber wie? Lenins Dekret „Über den Frieden“ ging um die Welt. Sicher ging es im Brief um Alternativen, wie Hunger, niedrige Einkommen, die mangelnde Gesundheitsbetreuung überwunden werden könnten. Vor allem aber um Voraussetzungen, wie das Lebens der Kleinbauern und der Landarbeiter aus eigener Kraft und dauerhaft zu verbessern sei. Zapata sah sie in der Ausweitung der Landverteilung im Rahmen des bestehenden Ejidosystems und im Ausbau der Bewässerungssysteme und Lenin in der Einrichtung von Genossenschaften (Kolchosen) als Lösungsweg. Beide wollten den Bauern Landeigentum zu kommen lassen. Ein Meinungsaustausch schien für Zapata nützlich. Ob der Brief eine Antwort erhielt ist nicht bekannt. Zapata hätte auch keinen Nutzen gehabt. Er wurde im April 1919 auf der Hacienda Chinameca von einem seiner politischen Gegner erschossen (John Reed, „Mexiko in Aufruhr“, Dietzverlag Berlin).

Lenin hat mit seiner Revolution das Leben der Bauern und der abhängigen Arbeiter dauerhaft verbessert. Die extreme Armut wurde aus Russland verbannt und der Hunger eingedämmt. Die kostenlose Bildung und Gesundheitsbetreuung erhielten Einzug in das ganze Land. Die Kultur erreichte dauerhaft einen hohen Stellenwert. Blutige konterrevolutionäre Aktionen der inneren und äußeren Reaktion haben den sozial- alternativen Prozess nicht aufhalten können, wohl aber die Rätedemokratie durch diktatorische Maßnahmen dauerhaft überschattet. Positive, wie auch negative Erfahrungen hat die globale Welt mit der Revolution in Russland sammeln können.

Die Revolution in Mexiko hat gleichfalls positive Entwicklungen eingeleitet. Präsident Carranza ließ 3 Mio. Hektar Land an die Bauern verteilen. Über 300 Millionen verblieben den alten Besitzern der Haciendas. Weltweit beispielshaft bis zur Gegenwart war die mexikanische Verfassung von 1917. Der heftig umstrittene Art. 27 legt beispielsweise fest, dass der Boden Eigentum des Volkes ist. Privateigentum daran kann eingeschränkt werden, das Ausland hat kein Recht am Boden und seiner Schätze. Wichtige Bereiche (Erdöl, Energie u.a.) bleiben dem nationalen Kapital vorbehalten. Eine 51% Klausel sichert weitere Wirtschaftsbereiche. Sie bleiben der mexikanischen Nation vorbehalten. Die letztere Bestimmungen wurden in den letzten Jahrzehnten und werden gegenwärtig vom Auslandskapital der USA und der EU mit vielfältigen Methoden angegriffen. Der Art. 123 fordert Rechte der Gewerkschaft, den 8 Stundentag, Mindestlöhne, die Versicherungsbetreuung und die Abschaffung feudaler Schuldverhältnisse.

Dennoch harrt in Mexiko noch ein ganzes Paket sozialer und ökologischer Probleme auf Lösungen. Vor allem in den ländlichen Besitzverhältnissen. Die Verfassung braucht noch konkrete Einzelgesetze, deren Einhaltung von der Bevölkerung eingefordert werden können.

Der Aufstand der Bauern und Abhängigen in Chiapas 1994 war für die Politiker des Landes von der PRI und den anderen ein neuer Paukenschlag. Bewusst haben sich die Aufständischen den Ehrennamen „Zapatistas“ gegeben. Eine ihrer ersten Taten war die Verbrennung der Grundbücher, die die Eigentumstitel am Landbesitz bestimmen. Spanien hatte sie diktatorisch und in fremder Sprache eingeführt. Vorher waren Land, Wiesen, Seen, Wälder, Erzvorkommen Gemeineigentum der Maya, Chamula, Tzeltales, Lacandones u.a. Gemeinschaften in Chiapas. Das zeigt, dass ein Schwerpunkt der Probleme im Bereich der Rechte auf Land und Nutzung natürlicher Vorkommen als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung in Mexikos liegt. Fragen der gleichberechtigten Bildung und die Gesundheitversorgung offenbaren Defizite in ihrer Gesellschaft, in der Geld alles bestimmt. Die herrschende Politik ist scheinbar nicht in der Lage oder gewillt, die Probleme des Drogenmarktes als ein zweites Großproblem zu lösen, vor allem wohl, weil der Drogenmarkt auch in Mexiko mit der herrschenden Profitlogik des Kapitals zusammenhängt. Der Drogenkonsum unterliegt anderen schwer lösbaren Zwängen. Netzwerke in Wirtschaft, Politik und Justizapparat hindern die wirksame Bekämpfung der Korruption.

Subcomandante Marcos (mit brauner Mütze) (Bild von tj scenes / cesar bojorquez (flickr) | CC BY 2.0[

Bemerkenswert sind die nicht nachlassenden Aktionen der Verteidiger der sozialen Menschenrechte und des Schutzes der Natur in Mexiko. Mit Spannung kann der Ausgang der Präsidentschaftswahlen 2018 erwartet werden. Die Vereinigungen der Indigenaverbände haben eine eigene Kandidatin aufgestellt.

2 Dekrete, 2 Welten

Der allgemeine Frieden in Mexiko ist ein hohes Gut. Es entspricht der Philosophie der Lateinamerikaner, die den Vertrag von Tlatelolco ermöglicht hat und der die Zustimmung aller Länder Lateinamerikas und der UNO fand. Umso bedrohlicher ist der Ausbau der Mauer an der Grenze zu den USA auf Kosten Mexikos und das erste Dekret von Donald Trump, dass Mexikanern u.a. die Einreise erschwert und Jugendliche des Landes verweist. Der US-Präsident scheint vergessen zu haben, dass die südlichen Bundesländer der USA bis 1848 mexikanische Staatsgebiete waren. Ein Krieg hatte Mexiko um etwa 46 % verkleinert.

Karte des umstrittenen Gebietes. Die heutigen Grenzen der US-Staaten sind in Weiß angedeutet. (Bild von Wpdms_republic_of_texas.svg: Ch1902derivative work: | CC BY-SA 3.0)

Das erste Dekret von Lenin vor 100 Jahren leitete die Beendigung des I. Weltkrieges ein. Der Menschenwert des Friedens hatte lange Tradition in der Geschichte. Humanisten und Sozialisten warnten vor den Folgen des I. Weltkrieges. Sie wurden auch während des Krieges nicht müde. So ging Lenins Dekret auch auf die Zimmerwalder Konferenz von 5. September 1915 zurück, wo Sozialisten aus aller Welt Grundlinien zur Haltung zum Krieg beschlossen, darunter eine Gruppe aus den USA.

Neben Arbeitslosigkeit und Umweltkatastrophen gehört der Krieg auch gegenwärtig zu den Hauptursachen von Fluchtbewegungen in unserer einheitlichen Welt.


Der Autor hat 6 Jahre in Mexiko gelebt und gearbeitet. Aus seiner Feder stammt das Buch „Attaché in Mexiko“ (ISBN 3-89793-099-4, Verlag am Park) und das Zukunftssachbuch „November 2032“ ( ISBN 78-3-95840-094-8).