Dass hohe Politiker gerne in gutbezahlte Positionen in der Industrie wechseln, ist nicht unbekannt. Als Paradebeispiel sei nur Gerhard Schröder genannt. Und es funktioniert natürlich auch umgekehrt, Mario Draghi, derzeitiger Chef der EZB, war vorher bei Goldman Sachs angestellt.

So verwundert es nicht allzu sehr, dass nun auch José Manuel Barroso 20 Monate nach seiner Amtsniederlegung als Präsident der EU-Kommission sicher auf seinem Stuhl als neuer Chairman bei Goldman Sachs in London angekommen ist, der US-Investmentbank, die uns allen voran die Krise von 2008 beschert hat.

Was in diesem Fall aber ungewöhnlich, ja sogar äußerst bemerkenswert ist: Angestellte der EU in Brüssel, also Menschen, die unter Barroso gearbeitet haben und die auch die genauen Konditionen kennen, unter denen solche Wechsel vollzogen werden, sind so dermaßen empört darüber, dass sie nun eine Petition dagegen gestartet.

Es handelt sich um eine “spontan zusammengefundene Gruppe von Mitarbeitern der europäischen Institutionen”, die anonym bleiben wollen und die andere Angestellte von EU-Institutionen dazu aufrufen, sich zu melden, wenn sie deren Bedenken teilen, um gemeinsam “neue Aktionen zu organisieren, die danach ausgerichtet sind, die EU und ihre Bürger zu versöhnen.“

Wir geben im Folgenden den gesamten Text der Petition wieder, die auf deutsch, englisch und französisch existiert, und die sich an alle EU-Bürger richtet. Ende September wird sie an die Europäische Kommission, den Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament übergeben:

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Maßnahmen gegen JM Barroso und seine Position im Vorstand bei Goldman Sachs

Diese Petition richtet sich an alle europäischen Bürger/innen: Wir müssen gemeinsam starke Maßnahmen gegen José Manuel Barroso fordern, da sich dieser mit seinem Verhalten gegen die europäische Idee, die Europäische Union und den europäischen öffentlichen Dienst stellt.

Wir sagen: NICHT IN UNSEREM NAMEN!

Wir sind eine Gruppe von Angestellten der Europäischen Institutionen, verbunden durch unser Pflichtgefühl der Vertraulichkeit und professioneller Diskretion. Wir sind beunruhigt, da sich die Wahrnehmung vom „Projekt Europa“ in den Augen unserer Familien, Freund/innen und Nachbar/innen sowie vieler Bürger/innen in ganz Europa immer weiter verschlechtert.

Am Freitag, den 8. Juli 2016, nur ein paar Tage nachdem Großbritannien für den Brexit gestimmt hatte, erfuhren wir, dass der ehemalige Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, bald eine Position im Vorstand bei der Investment Bank Goldman Sachs im Londoner Hauptsitz aufnehmen wird, um dabei zu helfen die negativen Effekte des Brexit zu limitieren.

Goldman Sachs war eine der Banken, die am stärksten in die Hypothekenkrise verwickelt war, die wiederum zur Finanzkrise in 2007-2008 geführt hat – eine der schlimmsten seit der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren. Des Weiteren war Goldman Sachs in die griechische Schuldenkrise involviert: Die Bank half, das Defizit zu verschleiern, bevor sie 2009-2010 mit vollem Wissen über die Untragbarkeit der Schulden dagegen spekuliert haben. Die Entscheidung, für solch eine Bank zu arbeiten ist ein weiteres Beispiel der unverantwortbaren „Drehtür“-Praktiken, die nicht nur der EU Institutionen schaden, sondern trotz Legalität auch moralisch verwerflich sind.

Es ist unverantwortlich, denn es nährt die euroskeptische Bewegung, die sich immer mehr in eine europhobische verwandelt. Bestimmte Vertreter im Europäischen Parlament fangen an die Existenz der Europäischen Kommission und der Gemeinschaftsmethode in Frage zu stellen, obwohl diese seit dem Vertrag von Rom und insbesondere in früheren Krisenzeiten dabei geholfen haben die Europäische Union zu errichten.

Es ist schädlich für die europäischen Institutionen in der aktuellen Situation, in der es sich nicht nur um ein Problem dreht, sondern sich die Krisen nur so stapeln – die Flüchtlingskrise, die Brexit-Krise, die anhaltende Finanzkrise und die Krise der Entscheidung, was für eine EU wir wollen. Es ist ein verheerendes Symbol für die Union im ungünstigsten Moment und ein gefundenes Fressen für alle Euroskeptiker, dass ein ehemaliger Präsident der Kommission mit den unkontrollierten und unmoralischen Werten von Goldman Sachs in Verbindung gebracht wird.

Es ist moralisch verwerflich, da es sich gegen Ehre und Rechtschaffenheit des europäischen öffentlichen Dienstes wendet, der die generellen europäischen Interessen vertreten soll. Alle ehemaligen Mitglieder sind aufgerufen, die Pflicht ihrer Integrität und Diskretion unter dem Artikel 245 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu respektieren – selbst nach Ablauf der 18 Monate nach Ausscheiden aus dem Amt. Dies gilt vor allem im Fall von José Manuel Barroso, der zweimal von den Staats- und Regierungschefs und vom Europäischen Parlament eingesetzt wurde.

Aus all diesen Gründen richten wir uns mit dieser Petition an alle europäischen Bürger. Wir wollen erreichen, dass die zwei höchsten Instanzen der europäischen Gemeinschaft, nämlich der Rat der Europäischen Union und das Kollegium der Europäischen Kommission, mit der Vollmacht des Artikels 245 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die Angelegenheit dem Europäischen Gerichtshof vortragen:

  • Überprüfen Sie nicht nur, ob Herr Barroso vor mehr als 18 Monaten aus dem Amt geschieden ist.
  • Untersuchen Sie im Detail und transparent ob Herr Barroso all seine Pflichten der Integrität und Diskretion gegenüber der Europäischen Union respektiert hat.
  • Leiten Sie aufgrund der dargestellten Situation angemessen starke und exemplarische Maßnahmen gegen José Manuel Barroso ein. Wie zum Beispiel:
    • 1. Die Suspendierung seiner Pension als ehemaliger Präsident der Europäischen Kommission während und nach der Zeit, die er bei Goldman Sachs angestellt ist.
    • 2. Die Suspendierung aller Ehrentitel die mit den europäischen Institutionen verknüpft sind.
  • Stärken Sie die Regelungen, die solche „Drehtür“-Praktiken bekämpfen. Die Maßnahmen, insbesondere gegenüber den ehemaligen Präsidenten und Vizepräsidenten, müssen im richtigen Verhältnis zum möglichen Schaden stehen, der dem europäischen öffentlichen Dienst und der Union zugefügt werden kann.

Diese Change.org Petition wird den Präsidenten der drei europäischen Institutionen übergeben: der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union sowie den Vertretern der Angestellten der europäischen Institutionen.

Neben unserem Aufruf an alle europäischen Bürger diese Petition zu unterschreiben und zu teilen, rufen wir außerdem die Mitarbeiter der europäischen Institutionen dazu auf, uns mitzuteilen, dass sie diese Petition unterstützen oder unserer Gruppe beitreten, wenn sie unsere Bedenken teilen (die Identität der Mitarbeiter bleibt strengstens anonym). Bitte kontaktieren Sie uns über EUemployees@gmail.com, um neue Aktionen zu organisieren, die danach ausgerichtet sind die EU und ihre Bürger zu versöhnen.

Brüssel, 11. Juli 2016

Eine spontan zusammengefundene Gruppe von Mitarbeitern der europäischen Institutionen

Diese Petition wird Ende September 2016 an folgende Entscheidungsträger übergeben:  

Europäische Kommission
Präsident Jean-Claude Juncker

Rat der Europäischen Union
Präsident Donald Tusk

Europäisches Parlament
Präsident Martin Schulz