In diesem Artikel soll das Buch des jüdisch-türkischen Autors Naim Avigdor Güleryüz mit dem Titel „The Turkish Jews, 700 Years of Togetherness“ vorstellen, das auf die positiven und friedlichen Aspekte des Zusammenlebens zwischen Juden und Muslimen im Osmanischen Reich und dann in der Türkischen Republik fokussiert.

Toleranz und Frieden, Respekt und Diversität sind die grundlegenden Pfeiler des gelungenen interkulturellen und interreligiösen Zusammenlebens ohne Assimilation und ohne Integrationszwang.

cover1492 wurden die Juden mit dem Edikt von Isabella, der Königin von Kastilien und Fernando, dem König von Aragon aus Spanien ausgewiesen, falls sie nicht bereit waren, sich zwangschristianisieren zu lassen. Das Osmanische Reich hieß diese heimatlosen Menschen Willkommen. Sultan Bayazid II nahm die Juden aus Spanien, die sogenannten Sephariden auf. Der Begriff Sephariden stammt vom hebräischen Begriff für die geographische, iberische Halbinsel.

Das Leben der Juden im Osmanischen Reich war, wie uns Güleryüz bestätigt, sicher und reich an Kultur und Entwicklung. Auch nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches erfuhren die Juden in der Türkischen Republik dieselbe Sicherheit und dieselbe Toleranz. Die monotheistischen Gläubigen lebten über Jahrhunderte in Frieden zusammen.

Aber 1492 war nicht das erste Jahr, in dem die Juden aus der iberischen Halbinsel ins Osmanische Reich kamen, sondern das Jahr ihrer Ausweisung aus der spanischen Halbinsel und ihrer darauffolgenden Aufnahme im Osmanischen Reich als tolerierte, religiöse Minderheit.

Jüdische Synagogen und Gemeinden gab es immer schon, seit die Eroberung Anatoliens vorangetrieben worden war. Als die Osmanen 1326 Bursa eroberten, fanden sie dort eine jüdische Gemeinde vor, die vom Byzantinischen Reich unterdrückt war. Im 14. Jahrhundert gelangten Juden aus Ungarn, Frankreich und Sizilien als Flüchtlinge ins Osmanische Reich. 1420 flohen die Juden aus Thessaloniki, während sich die Stadt unter venezianischer Kontrolle befand, nach Edirne.

Im 15. Jahrhundert war das Osmanische Reich so viel toleranter als das Byzantinische Reich, dass es die Migration der Juden geradezu förderte. Die Juden suchten im Osmanischen Reich Reichtum und Sicherheit und flohen von den Verfolgungen durch die europäischen Staaten.
Sultan Mehmet wurde 1453 nach der Eroberung Konstantinopels von der jüdischen Gemeinde warmherzig willkommen geheißen. Auch die Juden, die 1470 unter Ludwig X. aus Bayern ausgewiesen wurden, fanden Zuflucht im Osmanischen Reich.

In einem Brief des Rabbiners Yitshak Sarfati von 1454 hieß es, wie sehr das Leben unter Muslimen für die Juden dem Leben unter den Christen zu bevorzugen wäre. Er fordert die in Europa lebenden Juden auf, ins Osmanische Reich zu kommen, um in Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu leben.

Sultan Bayazid II forderte 1492 die im Osmanischen Reich lebenden Bürger auf, die Juden mit offenen Armen aufzunehmen und ihnen keine Schwierigkeiten zu machen. Die Juden werden nicht nur toleriert, sondern aktiv aufgenommen und aufgefordert, ins Osmanische Reich zu kommen.

Auch im 16. Jahrhundert folgten zahlreiche Juden aus ganz Europa dem Aufruf der Sultane und fanden im Osmanischen Reich einen Hafen des Friedens und der Ruhe.

Im 19. Jahrhundert gelangen viele russische Juden ins Osmanische Reich. Dasselbe geschah auch nach der Bolschewikischen Revolution 1917.

Schon im fernen Jahr 1477 erreichten die Juden in Istanbul einen Prozentsatz von 11 % der Bevölkerung.
In Edirne wurde eine Talmud-Akademie gegründet, in der sich zahlreiche sepharidische Philosophen, Denker und Gelehrte zusammenfanden, die Studenten aus ganz Europa unterrichteten. Die Sephariden brachten ihre gesamten Kenntnisse, die sie auf zahlreichen Gebieten im Goldenen Zeitalter von Andalus erworben hatten, ins Osmanische Reich und unterstützten dessen Entwicklung.

Sultan Bayazid äußerte sich über diesen positiven Wissenstransfer wie folgt:

„Wie kann man denn behaupten, Fernando sei ein intelligenter und weiser Herrscher? Er lässt doch sein eigenes Land verarmen und bereichert meines.“

1493 gründeten die beiden jüdischen Brüder David und Samuel ibn Nahmias aus Andalus in Istanbul den ersten Verlag. Bekannte Physiker, Diplomaten und Literaten des Osmanischen Reiches waren Juden. Wichtig ist dabei hervorzuheben, wie sich die Juden im Osmanischen Reich zu Hause fühlten und zu dessen Entwicklung beitragen wollten. Das Osmanische Reich ermöglichte auch den religiösen Minderheiten die autonome Organisation ihrer Strukturen und Institutionen, was auch zur Förderung ihres Fortschritts beitrug.

Ein wichtiges Ereignis in der jüdisch-osmanischen Geschichte betraf das Schisma von Sabetay Sevi, dem Pseudo-Messiah aus Izmir, der sich später mit seinen Anhängern zum Islam konvertierte.

Ein weiterer Aspekt, der von großem Belang ist, und die Toleranz der Osmanischen Sultane beweist, ist die Frage rund um die sogenannte Blutanklage, die in Europa so weit verbreitet war. Juden wurden nämlich angeklagt, das Blut christlicher Kinder zu verwenden, um ihr Matzoth-Brot zu backen. Diese Mythen wurden im Osmanischen Reich von den Sultanen unterbunden. So ordnete Sultan Suleyman an, diese ungerechten Anschuldigungen zu verbieten.

Es wurden verschiedene Firmane gegen die Blutanklage erlassen, so auch von Sultan Abdulmecid im Jahre 1841, um ein Beispiel zu nennen. In seinem Firman schützte der Sultan die Juden gegen diese falsche Verleumdung.

In der türkischen Republik erhielten die Juden wiederum ihre Rechte als Minderheit und konnten ihre Religion und ihre Kultur frei ausleben. Während des 2. Weltkriegs blieb die Türkische Republik neutral. Zahlreiche Juden, die von den Nazis verfolgt wurden, fanden Zuflucht in der Türkischen Republik. Die Türkei war weiterhin ein sicherer Hafen für Verfolgte und Flüchtlinge, die vom rassistischen Europa flohen.

2009 lebten in der Türkei 20.000 Juden, wovon 18.000 in Istanbul und 1.500 in Izmir.

Die Juden werden vom Hahambasi, dem Hauptrabbiner, vertreten. Die Juden besitzen ihre kulturellen und pädagogischen Institutionen und ihre Presseorgane.

In Anatolien finden sich verschiedene jüdische Synagogen. Die Anwesenheit der Juden in Anatolien gilt ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. als bewiesen. Die Synagoge von Milet geht z.B. auf das 4.-3. Jahrhundert v. Chr. zurück. Auch in Istanbul gibt es bis heute verschiedene Synagogen.

Ein Kapitel widmet der Autor auch den Ashkenazy-Juden, die seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts einwanderten. Aufgrund der Konflikte mit den Sephariden, strukturierten sich die Ashkenazy dann als getrennte jüdische Gemeinde. Es gibt in Istanbul bis heute auch eine unabhängige jüdische Gemeinde der Karaiten.

Ein wichtiges Museum, um sich ein Bild der Geschichte des jüdischen Lebens in der Türkei zu machen, ist das Jüdische Museum der Türkei in Istanbul-Karaköy in der Nähe des Goldenen Horns. Es befindet sich in einer ehemaligen Synagoge, der Zulfaris Synagoge, die auf das 17. Jahrhundert zurückgeht.

Anbei finden Sie die Fotos unseres Kollegen Aygun Uzunlar, der das Museum für ProMosaik e.V. besucht hat: Eindrücke aus dem jüdischen Museum von Istanbul

Der Autor beendet sein Buch über die Geschichte des jüdischen Lebens in der heutigen Türkei mit der Hoffnung, dass das humanitäre Modell des Osmanischen Reiches heute als erfolgreiches Beispiel in der Flüchtlingspolitik aller Länder umgesetzt werden kann. Die heutige Türkei ist nämlich ein Symbol des interreligiösen und interkulturellen Zusammenlebens in Frieden, Toleranz und Respekt der Würde des Anderen.