Angesichts der sich verschlimmernden Weltlage scheint sich in Deutschland die Bevölkerung zu spalten in diejenigen, die Willkommensbündnisse gründen, Deutschunterricht geben und mit Flüchtlingskindern spielen, und in diejenigen, die sich bedroht fühlen und zunehmend gewalttätig reagieren. Abgesehen von dem mutigen Einsatz vieler Bürger_innen die sich rechten Demonstrierenden vor Wohnheimen in den Weg stellen, muss jetzt auch die Politik ein klares und deutliches Signal geben, dass wir Hilfe und Schutz geben müssen und uns nicht verschliessen können gegen das Elend außerhalb unserer Grenzen.

Knapp 160 000 Erstanträge auf Asyl wurden bisher im Jahr 2015 in Deutschland gestellt, das sind weit über doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum (137%). Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, aber auch viele aus den Kriegsgebieten Afghanistan und Irak. Diese haben eine 40 (Afghanistan) bis 90%ige (Syrien) Chance auf einen offiziellen Asylstatus. Flüchtlinge aus Regionen mit extrem schlechter Menschenrechtssituation wie Eritrea, Nigeria und Pakistan, können sich ebenfalls Hoffnungen auf Anerkennung machen, Eritreer statistisch gesehen zu 73% und Nigerianer nur noch zu 5,6%. Auch aus Kosovo, Albanien und Serbien kommen viele Erstanträge, haben aber seit der Asylrechtsänderung kaum noch eine Chance auf Anerkennung.

Die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland stiegen gleichzeitig rasant an. Im ersten Halbjahr 2015 gab es 150 Angriffe auf Flüchtlingsheime, alle mit rechtsextremen Hintergrund. Im gesamten Jahr 2014 gab es insgesamt „nur“ 203 Angriffe. Wir sind damit jetzt bei einem Flüchtlingsheim pro Tag angekommen. Alarmiernde Zahlen, aber sie zeigen nur die gewalttätigen Eisbergspitzen eines Hasses gegen Zuwanderer, der in der deutschen Bevölkerung angesichts der ansteigenden Flüchtlingszahlen offensichtlich um sich greift. Wie können wir dieser Hilfeverweigerungshaltung vieler Menschen in Deutschland begegnen?

Das Problem dieser Haltung fängt auf politischer Ebene an, wo man andere Lieblings-Feindbilder, wie das des Islamismus oder der Linksradikalen pflegt, und sich grundsätzlich nicht auseinandersetzen möchte mit verfehlter Außenpolitik und ihren Folgen in Form von Flüchtlingen. Jürgen Todenhöfer, der bekannte Islamismusexpert und Journalist, beklagt, dass manche Politiker offenbar auf dem rechten Auge blind seien. Das Bundesinnenminsterium hatte nach der NSU Mordserie eine Neubewertung aller Mordfälle seit der Wiedervereingung angeordnet. Insgesamt sind danach 75 Menschen mit rechtsradikaler Motivation umgebracht worden. Das sind 15 mehr als bisher in diese Kategorie eingeordnet. 142 Menschen wurden bei 170 Mordversuchen teilweise schwer verletzt. Todenhöfer: „Linksextreme töteten im gleichen Zeitraum laut Bundeskriminalamt drei Menschen. Kein einziger Deutscher starb in Deutschland durch sogenannte Islamisten. Trotzdem geben unsere Innenpolitiker alle drei Monate „islamistischen Terror-Alarm“.“ „Rechtsradikalen-Alarm“ habe es hingegen noch nie gegeben, fügt er hinzu.

Alle Flüchtlinge, die hier ankommen, haben bereits eine lange und gefährliche Reise hinter sich, denn Europa erlaubt Anträge auf Asyl erst innerhalb seiner Grenzen, welche es gleichzeitig immer effektiver verschliesst: de facto ist das bereits ein Verstoss gegen die Verpflichtung der Länder zum Schutz von Flüchtlingen. Außereuropäische Länder sind um einiges großzügiger. So nahm die Türkei mehr Flüchtlinge auf als ganz Europa zusammen, nämlich 1,59 Millionen. Im Libanon sind es 1,15 Millionen, was einem Fünftel der dortigen Bevölkerungszahl entspricht.

Aus rechtskonservativen Kreisen in Deutschland sind zunehmend flüchtlingsfeindliche Statements zu vernehmen, die wohl Wählerstimmen im rechten Sumpf fischen wollen. Statt sich um ihre Wahlkreise zu kümmern, sollten Politiker in Deutschland sich jedoch vielmehr vor einem Abgleiten in dunkle Zeiten von Rassismus, Intoleranz und Menschenfeindlichkeit sorgen und sich jetzt mit deutlichen Worten für Toleranz und Hilfsbereitschaft positionieren, um den rechten Gewalttätern die stillschweigende Legitimation zu entziehen.

Konstantin Wecker gibt in einem Post ein wenig Hoffnung. Nachdem er sich entsetzt zeigt über den Angriff auf ein frisch entstandenes Flüchtlingszeltlager in Dresden durch „gefühllose Dummköpfe“, die einem die „Schamesröte ins Gesicht treiben“, erzählt er eine Geschichte, die uns vielleicht den Schlüssel zu einer Veränderung aufweist:

„Als ich 1996 mit einem schwarzafrikanischen Chor aus Kamerun auf Tour war, wurden wir in einer Stadt in Ostdeutschland, gefragt ob wir in einem Jugendzentrum, dessen „Schützlinge“ rechtsradikalem Gedankengut nahe standen, einen Besuch abstatten wollten. Ich fand das sehr interessant und fragte meine Freunde aus Kamerun, ob sie mitkommen wollten. Wir waren geschützt und Gewalt war nicht zu erwarten. Zwei der Sänger begleiteten mich dann. Sie kamen in Kameruner Tracht und wir standen einem feindseligen Haufen junger Leute gegenüber, die uns spöttisch angrinsten. Nach ein paar einleitenden Worten des Leiters des Zentrums und einigen belanglosen Wortgefechten, fragte ich einen der Wortführer, ob er denn bereit wäre, einen meiner Sänger in den Arm zu nehmen. Er schüttelte sich demonstrativ angeekelt und sagte unter beifälligem Gemurmel der anderen, zum Großteil sehr jungen Leute:“Nie. Nie nehm ich einen Schwarzen in den Arm“ Darauf rief mir einer zu:“Du würdest einen von uns auch nicht in den Arm nehmen.“ Gelächter allerseits. Daraufhin trat ich auf den jungen Mann zu, spontan und ohne mir etwaige Konsequenzen überlegt zu haben, und nahm ihn in den Arm und drückte ihn an mich. Es war eine atemlose Stille im Raum für einen fast endlosen Augenblick. Dann sagte er zu mir den Satz den ich niemals in meinem Leben vergessen werde:“ Das hat in meinem ganzen Leben noch nie jemand mit mir gemacht.“