Die Academy of Science von Südafrika hat in Zusammenarbeit mit der National Academy of Science von Uganda einen Bericht veröffenlicht, der den derzeitigen Forschungsstand über die Diversität sexueller Neigungen von Menschen zusammenträgt. Dieser Bericht ist in zweierlei Aspekten einzigartig: Es ist der erste Bericht, der einen umfassenden wissenschaftlichen Standpunkt bezüglich Homo-, Bi- Trans- und Intersexualität darlegt, und er ist ausserdem in Afrika und von Afrikanischen Institutionen verfasst worden. Das ist insbesondere wichtig, da von vielen Afrikanern die Meinung vertreten wird, Homosexualität sei ein Produkt der Propaganda westlicher Länder.

Die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Analyse ist offensichtlich und wird in der Einleitung des Berichtes ausführlich erläutert. Die Angst vor gleichgeschlechtlicher Liebe ist in Afrikanischen Ländern extrem hoch und es herrschen viele wirre Ansichten, die zur Stigmatisierung und teilweise lebensbedrohlicher Gefährdung von LGBTI Personen führen. Die Gesetzgebungen, die in 38 der 53 Afrikanischen Ländern Homosexualität ohnehin bereits unter Strafe stellen, werden momentan in mehreren Ländern verschärft oder sollen verschärft werden, und das nicht nur in Afrika, sondern auch in Russland und Indien. Unter anderem der Ugandische Präsident Museveni stützte sich in seiner Begründung der Unterzeichnung eines neuen Gesetzes auf sogenannte wissenschaftliche Ratgeber bzw. darauf, dass zu vieles wissenschaftlich bisher nicht geklärt sei, wie zum Beispiel, ob Homosexualität angeboren oder anerzogen sei.

Diesen Auftrag nahm die wissenschaftliche Komission nun wahr und bezog sich daher insbesondere auf die heiß diskutierten Fragestellungen wie: welche Faktoren führen zu einer nicht-heterosexuellen Orientierung? Kann diese eventuell erlernt werden bzw. ist eine Heilung möglich? Und inwieweit können andere als heterosexuelle Praktiken Schaden für die Individuen oder die Gemeinschaft hervorrufen?

Der Bericht gibt sich große Mühe, die Begrifflichkeiten der sexuellen Orientierung und der Geschlechteridentität klar zu definieren. Er stellt fest, dass, so weit aus Aufzeichnungen bekannt, in der menschlichen Gesellschaft schon immer die heterosexuelle Orientierung nicht die einzige natürliche Festlegung war, sondern eine große Bandbreite an sexuellen Orientierungen und Identitäten herrschte.

Nach der derzeitig anerkannten Neurohormon-Theorie wird die sexuelle Identität sowie Orientierung eines Menschen in den ersten sechs Monaten im Mutterleib durch den Einfluss von Sexualhormonen festgelegt. Diese beeinflussen unter anderem die Entwicklung des limbischen Systems und andere primitive Regionen des Gehirns, die Emotionen und grundlegendes Verhalten steuern. Dies stimmt mit der Beschreibung von Menschen aller sexuellen Orientierungen überein, die ihre sexuelle Neigung als nicht gewählt, sondern angeboren und nicht veränderbar empfinden. Neuere Untersuchungen zeigen, dass bereits im präpubertären Alter von zehn Jahren die meisten Mädchen und Jungen die erste sexuelle Attraktion verspüren, ob sie nun hetero- oder homosexuell ist. In dieses Alter fällt für die meisten auch die erste Wahrnehmung einer homosexuellen Neigung.

Besonders wichtig, um herauszufinden, ob erbliche Faktoren oder Umwelteinflüsse bei der sexuellen Orientierung eine Rolle spielen, sind Familien- und Zwillingsforschungen. Sie belegen, dass es eine starke vererbbare Komponente gibt, aber dies nicht die einzige Determinante ist. Die meisten Forschungen beschäftigen sich dabei mit der Homosexualität von Männern, die Sexualität von Frauen ist wie meist ein Stiefkind der Forschung. Studien zeigen, dass von mehreren Brüdern eher die jüngeren zu einer homosexuellen Orientierung neigen, womit einige Wissenchaftler eine Erklärung des biologischen Nutzens von Homosexualität herleiten. Denn auf diese Weise kann gesichert werden, dass die Kinderzahl in einer menschlichen Population begrenzt wird, dafür die Zahl der erwachsenen Versorger hoch bleibt. Das macht Sinn, denn menschlicher Nachwuchs braucht extrem viel Fürsorge, um zu überlebens- und fortpflanzungsfähigen Erwachsenen heranzureifen. Der homosexuelle Mann stellt so zwar nicht das Überleben seiner individuellen Gene sicher, dafür durch die Mithilfe bei der Sorge um die Kinder das der Gene seiner Familie.

Groß angelegte Bevölkerungsstudien zeigen auch statistisch signifikant, dass Frauen mit homosexuellen Brüdern durchschnittlich mehr Kinder haben, was eine Lösung des Paradoxons ist, dass Homosexualität eigentlich aussterben müsste, wenn sie genetisch verankert wäre.

Molekularbiologische Studien, insbesondere die neuen Möglichkeiten, ganze Genome Tausender Menschen zu sequenzieren, finden spezifische Regionen auf dem X-Chromosom aber auch in anderen DNA Regionen, die einen Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung aufweisen. Es gibt also kein “Homo-Gen“, sondern die Regulation auf Genebene ist sehr komplex und erst in den Anfängen ihrer Erforschung.

Es gibt starke Hinweise, dass es häufig die mütterliche Linie ist, die Homosexualität weitergibt. Einmal durch die Erkenntnis, dass das X-Chromosom eine wichtige Rolle spielt, aber auch epigenetische Faktoren konnten gefunden werden, die eine Korrelation zwischen Mutter und homosexuellem Sohn zeigen. Epigenetik ist ein relativ neues Feld der Vererbungslehre, das eine Versöhnung zwischen Darwin und Lamarck‘scher Theorie darstellt. Modifikationen der DNA, deren Sequenz dabei dieselbe bleibt, können während des individuellen Lebens passieren und bestimmte Genregionen an- oder abschalten. Diese Modifikationen werden normalerweise wieder gelöscht bei Weitergabe der Erbinformation zur nächsten Generation, aber nicht immer. Auf diese Weise können Umweltfaktoren, die auf die Eltern- oder Großelterngeneration gewirkt haben, an die Kinder und Enkel weitergegeben werden.

Als mögliche Umweltfaktoren werden im Bericht Chemikalien und Weichmacher in Plastik genannt, bei denen in Tierversuchen gezeigt wurde, dass sie einen Einfluss auf den Hormonhaushalt und die Entwicklung der Sexualität haben. Weitere Faktoren können sozial bedingt sein, insbesondere die Lebensverhältnisse – Stress, Ernährungssituation – der Mutter könnten eine Rolle spielen. All diese Faktoren können den Hormonhaushalt in der Gebärmutter in eine Richtung verändern, die die sexuelle Neigung des Fötus determinieren. Jedoch ist die Erforschung dieses Bereiches noch sehr wenig fortgeschritten. Wichtig ist zu verstehen, dass es sich hierbei ausschliesslich um Faktoren handelt, die die Entwicklung des Fötus beeinflussen, nicht um spätere Einflüsse, zum Beispiel die Erziehung.

Der Bericht geht in weiteren Kapiteln auf die Möglichkeit der „Rekrutierung“ zur Homosexualität oder Faktoren während des Heranwachsens, die eine Homosexualität fördern könnten, ein. So sollen zum Beispiel eine schlechte Vater-Sohn Beziehung, Mißbrauch in der Kindheit oder falsche Vorbildfunktion verantwortlich sein. In einer immensen Zahl von Untersuchungen seit den 50er Jahren konnte nie eine Korrelation dieser Faktoren zur Homosexualität nachgewiesen werden, mit Ausnahme der schlechten Vater-Sohn Beziehung, welche allerdings statt der Ursache, genauso gut die Auswirkung des abweichenden sexuellen Verhaltens des Sohnes sein kann.

Es gibt auch keine wissenschaftliche Basis für den Vorwurf, Homosexualität sei ein kolonialer Import des Westens nach Afrika, und sei grundsätzlich „un-Afrikanisch“. Im Gegenteil belegen sehr viele Quellen, dass in prä-kolonialen Zeiten viele nicht-heterosexuelle Neigungen in Afrika gelebt wurden, die auf unterschiedliche Weise in den Normen der Gemeinschaften akzeptiert oder kontrolliert wurden. Die Kolonialmächte brachten erstmals eine strenge Definition und stärkere gesetzliche Reglementierung sexuell von europäischer Norm abweichenden Verhaltens mit, wozu zum Beispiel auch Polygamie oder außerehelicher Geschlechtsverkehr zählte. So gesehen haben die Kolonialmächte eher das Verbot nicht-heterosexueller Beziehungen nach Afrika gebracht statt der Homosexualität.

In Forschungen von Historikern, Soziologen und Anthropologen wurde festgestellt, dass zu allen Zeiten und in allen Populationen ungefähr die gleiche Prozentzahl von Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung existierte, auch wenn es starke Limitierungen bei der Erhebung solcher Daten gibt, da die kulturellen Hintergründe, Tabus und unterschiedlichen Definitionen von Beziehungen berücksichtigen werden müssen. Jedoch ist ersichtlich, dass selbst unter gefährlichsten Bedingungen eine spezifische Anzahl gelebter romantischer und sexueller Beziehungen zu gleichgeschlechtlichen Partnern existiert. Auch aus Afrikanischen Ländern sind umfassende aktuelle Daten bekannt, die vor allem im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung von LGBTI Menschen durch Nichtregierungsorganisationen erhoben werden konnten, und sie bestätigen, dass die prozentuale Anzahl ähnlich wie in anderen Ländern der Erde ist. Über die Weltbevölkerung gerechnet kann man von ungefähr 5% nicht heterosexuell orientierten Menschen ausgehen, darin sind gleichgeschlechtliche Männer mit etwa 1,5% enthalten.

Eine Hauptsorge der Länder, die strengere Gesetze erwägen, ist, dass durch die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Beziehungen mehr junge Menschen ermutigt werden könnten, sich dahingehend zu entwickeln. Der wissenschaftliche Beirat zu dem Bericht fand keinerlei Nachweise dafür. Während der Druck der gleichaltrigen Gruppe bei Teenagern häufig zu verändertem Verhalten führt, wie zum Beispiel früher Sex zu haben, hat eine aktuelle Studie herausgefunden, dass sich dies nicht auf die sexuelle Orientierung erstreckt. Es gibt keinerlei Hinweise, dass diese sich durch äußere Einflüße, nicht einmal durch das Aufwachsen mit homosexuellen Eltern, verändern lässt. Die Daten dazu seien bemerkenswert konsistent, wie der Bericht betont. Im Gegenteil fand man eine starke Korrelation zwischen dem ökonomischen Erfolg von Ländern, die als LGBTI tolerant gelten, im Gegensatz zu anderen, die sie diskriminieren und damit eine Gruppe von an den Rand der Gesellschaft gedrängten, von Armut und Krankheit bedrohten und daher generell unproduktiveren Menschen schaffen. Darüberhinaus gibt es eine starke Korrelation zwischen der Toleranz gegenüber LGBTI und niedrigerer Korruptionsrate und höherer Geschlechtergerechtigkeit.

In Bezug auf die Frage, ob eine Behandlung oder Therapie von Homosexualität möglich sei, stellt der Bericht klar, dass auch in der Vergangenheit der westlichen Länder vieles unternommen wurde, Homosexualität als Krankheit oder psychische Störung zu kategorisieren und viele teilweise brutale Therapieformen ausprobiert wurden, einschliesslich Elektroschockbehandlung oder chemische Kastration. Bis heute haben fast alle Organisationen diese Versuche aufgegeben. So zum Beispiel Exodus International, eine Organisation, die Konversionstherapien Homosexueller in 17 Ländern angeboten hatte und 2014 ihr Geschäft wegen niedriger Erfolgsquote einstellte. Diese Hinweise und unendlich viele wissenschaftliche Studien belegen, dass Homosexualität keine Krankheit ist, keinen Schaden beim Menschen hervorruft und daher auch keiner Heilung bedarf und auch keine Konversion der sexuellen Orientierung möglich ist. Hingegen ist der Schaden, vor allem bei Jugendlichen, die solchen Therapien unterzogen werden, immens.

Ein anderer Motor für die Befürwortung strengerer Gesetze gegen LGBTI ist das Verquicken von Homosexualität und Pädophilie in der öffentlichen Diskussion. Homosexuelle neigen danach dazu Kinder zu missbrauchen, was wiederum zur Folge hat, dass diese Kinder im späteren Leben eher homosexuelle Neigungen entwickelten. Der Bericht geht daher auch darauf ein, inwiefern sexuell anders Orientierte eine Bedrohung insbesondere gegenüber Kindern darstellen. Er nennt die Statistiken, nach denen im Durchschnitt eines von fünf Kindern weltweit sexuell missbraucht wird während seiner Kindheit. Dies geschieht meist durch männliche heterosexuelle Verwandte. Es gibt keinerlei Hinweise, dass homosexuelle Männer besonders zu Kindesmissbrauch neigen, ebenso gibt es keinerlei Korrelation zwischen Mißbrauch während der Kindheit und Homosexualität im Erwachsenenleben.

Desweiteren geht der Bericht auf die weitreichenden negativen Konsequenzen der Gesundheitslage von LGBTI, aber auch dem Rest der Bevölkerung, in Ländern mit diskriminierenden Gesetzen ein. Wegen des Stigmas bekommen LGBTIs keine oder nur schlechte Gesundheitsversorgung, sie verlieren häufig ihre ökonomische Basis durch Enteignung durch die Familie und Verlust ihrer Arbeit und leiden unter Depressionen und Ängsten. Die Selbstmordrate ist hoch. Durch die Verweigerung der Gesundheitsversorgung, aber auch durch das Kaschieren der eigenen sexuellen Orientierung durch Schein-Ehen, verbreiten sich sexuell übertragbare Krankheiten schneller als in toleranten Ländern.

Wenn dieser Bericht auch zahlreiche Allgemeinweisheiten wiedergibt, ist er doch wichtig, weil er Verteidigern der Menschenrechte eine wissenschaftliche Argumentationshilfe gibt mit umfangreichen Quellenangaben, die nicht von der Hand zu weisen sind. Doch bei all dem darf nicht vergessen werden, dass jeder Mensch das Recht auf selbstbestimmte Sexualität hat, ganz ohne wissenschaftliche Beweisführung, so lange er damit niemandem Schaden zufügt.

Der Bericht auf englisch ist hier zu finden