Milena Rampoldi von ProMosaik e.V. führt ein Interview mit Shayan Arkian dem Chefredakteur von IranAnders.de über die fehlenden Voraussetzungen für einen offenen Dialog des Westens mit dem Iran.

Wie wichtig ist ein Journalismus, der von der Heterogenität der Realität ausgeht und eine Schachbrettmentalität überwindet? Wie wichtig ist eine solche Sichtweise im Besonderen, wenn es um die Darstellung der Realitäten des Iran im Plural geht?

Die Welt ist heterogen und nicht monoton, daher ist es für einen guten Journalismus unabdingbar, diesen Pluralismus abzubilden. Dies gilt demnach nicht nur in Bezug auf Iran, sondern in Bezug auf alle außenpolitischen Themen.
Allerdings kommt im Fall Irans ein besonderes Element hinzu, das einzigartig gewesen ist und bei anderen politischen Phänomenen der Welt bisher nicht galt. Jede politische Bewegung in der Welt war bis zur Islamischen Revolution von 1979 in Iran davon gekennzeichnet, dass sie entweder dem westlich-bürgerlichen oder dem östlich-linken Lager zugehörig war. Die Islamische Revolution ragte aber aus diesem Schema völlig heraus. Sie begründete sich aus ihrer eigenen heimischen Tradition heraus und ist sowohl anti-westlich als auch anti-östlich gewesen. Ein Leitspruch der Revolution ist gewesen: „Weder Westen noch Osten, sondern nur Islamische Republik.“ Infolgedessen hatte die Islamische Republik Iran nie eine gesellschaftliche Basis in den westlichen Staaten gehabt, woraus Zuspruch, Ansporn für Differenzierung und gegensätzliche Debatten erwachsen könnten. Nein, die Gesellschaften des Westens waren und sind im Prinzip bis heute in außenpolitischen Belangen zutiefst in der West-Ost-Logik gefangen. Folglich betrieben sowohl die bürgerlichen als auch die linken Medien eine beispiellose Schwarzmalerei über Iran. Die Islamische Republik Iran hatte daher von Beginn an einen inhärenten, extrem schweren Start und Stand bei der westlichen Presse – und damit ist die linke Presse im Westen mit gemeint – gehabt. Diese strukturell-mediale Beschaffenheit hat sich erst in jüngster Zeit aufgrund verschiedener Faktoren ein wenig aufgeweicht.

Auf IranAnders steht: Wir sind bestrebt, den Iran-Diskurs zu bereichern und zu komplimentieren. Was fehlt dem Iran-Diskurs?

Eine Empathie über die Rationalität der Islamischen Republik in Iran. Eine Empathie im Sinne von Verständnis und nicht Einverständnis. Diese Empathie ist jedoch ohne schiitisch-theologische Kompetenzen und ohne die Interaktion mit den religiösen Schiiten nicht zu erreichen. Da die Islamische Republik  als religiös-schiitische Staatsordnung, die nach ihrem Selbstverständnis auf der Zustimmung der religiösen Massen basiert und sich dadurch legitimiert, ist es immanent, dass politische Analysen, die durch ein fehlendes theologisches Profil bewirkt werden, defizitär sein müssen. Dies gilt bei Interpretationen von innenpolitischen Phänomenen in Iran im Besonderen, weil da der theologische Aspekt noch eine bedeutend größere Rolle spielt.
Wir versuchen unter anderem diese Lücke zu schließen. Demgegenüber steht das säkulare Abendland, das alles Religiöse als rückständig und irrational betrachtet – und in der Folge auch die Islamische Republik in Iran. Dieser Umstand ist ein wesentlicher Grund dafür, warum der Westen die Islamische Republik immer wieder – noch bis vor kurzem – unterschätzte und ihren vermeintlichen Niedergang alljährlich prognostizierte.

Können Sie einige Beispiele anführen, wo der Westen ziemlich falsch lag, weil er keine ausreichenden Kenntnisse über die schiitische Theologie hatte?

Da kann man einige Beispiele nennen. Es beginnt schon mit dem Vorwurf, die Islamische Republik strebe den Besitz oder die Herstellung von Atombomben an. So ein Vorwurf kann aber auch nur von Akteuren kommen, die in westlichen oder weltlichen Kategorien denken und daher meinen und so argumentieren, dass doch die Islamische Republik rein aus weltlichen Machtgründen den Besitz von Atomwaffen anstreben müsste. Es wird hier völlig die religiöse – oder nennen wir es die ideologische – Logik der Islamischen Republik verkannt, die Massenvernichtungswaffen als religiös und somit ideologisch verboten einstuft.
Erlauben Sie mir aber noch ein anderes Beispiel anzuführen, das eher im Boulevardjournalismus angesiedelt ist und es aber dennoch schaffte, in den Qualitätsmedien großen Eingang zu finden:
Sie kennen vermutlich den in Deutschland lebenden iranischen Musiker Shahin Najafi. Er hatte vor einigen Jahren in einem Musikstück einen schiitischen Nachfolger des Propheten verunglimpft – so zumindest seine Kritiker. Größtenteils unabhängig von diesem Vorfall hatten einige Schiiten einige ihrer religiösen Rechtsautoritäten, die aber kein politisches Amt in Iran innehaben, konsultiert und nach ihren Rechtsmeinungen (Fatwas) zu Verunglimpfungen solcher und anderer Art gefragt. Diese befragten Großayatollahs – und dazu zählte eben nicht das religiös-politische Staatsoberhaupt der Islamischen Republik Iran, Großayatollah Ali Khamenei – sagten allgemein und ohne dabei Najafi mit Namen zu nennen, dass falls jemand eine der zwölf schiitischen Nachfolger des Propheten mutwillig beleidige, kein Muslim mehr sei, sondern ein Apostat.
Nun wurden diese Rechtsmeinungen aber von den westlichen Medien aufgegriffen und so dargestellt, dass Shahin Najafi nach diesen zu töten sei. Mehrere Monate lang berichteten Zeitungen in Deutschland über diesen Fall und sie brachten die Rechtsmeinungen sogar im Zusammenhang mit der Islamischen Republik Iran. Die Story landete dann gar auf der Titelseite der taz, und das ZDF heute journal berichtete damals und selbst ein Jahr später zum Jahrestag noch einmal darüber. Dann hatten noch 50 Künstler und Schriftsteller, darunter namenhafte wie Günter Wallraff, Günter Grass, Navid Kermani, Udo Lindenberg und Konstantin Wecker einen Solidaritätsaufruf für den Schutz von Shahin Najafi veröffentlicht. Schließlich wurde er unter Polizeischutz gestellt und tauchte unter Todesangst bei Günther Wallraff unter.
Also ein riesiges, anhaltendes Medienspektakel, das selbst nach einem Jahr weiter daran gedreht wurde. Nur: Der Wirbel war umsonst, weil gemäß schiitischem Recht – anders als beim Recht manch anderer islamischen Rechtsschulen – die Apostasie nicht die Todesstrafe zur Folge hat, und noch viel weniger steht die Islamische Republik Iran in der Verbindung mit diesen Rechtsmeinungen: Nach der theologischen Überzeugung der Islamischen Republik Iran sind den politischen Fatwas der Großayatollahs überhaupt nicht Folge zu leisten, sondern nur denen des religiös-politischen Staatsoberhauptes, Großayatollah Ali Khamenei, der die Hoheit über politische Rechtsfälle hat. Die politischen Rechtsmeinungen der anderen Großayatollahs gelten demnach bloß als theoretische religiöse Gutachten, die zur Diskussion für die Fachwelt und Theologiestudenten zur Verfügung stehen und keine praktische Anwendung finden dürfen.
Kurzum: Der gesamte Medienwirbel war unbegründet und der weitere Imageschaden, den die Islamische Republik Iran dadurch erlitten hatte, resultierte einfach aus der Unkenntnis über die schiitische Theologie und den theologischen Grundfesten dieser Republik. Mehr noch: Erst durch die verzerrte westliche Berichterstattung haben einige junge, religiös ungebildete, vorlaute Schiiten in Deutschland sich in sozialen Netzwerken dahingehend geäußert, Najafi töten zu wollen – nicht weil ihr Ayatollah oder geschweige die Islamische Republik das von ihnen verlangte, sondern weil die westlichen Medien es fatalerweise so darstellten! Die geballte Medienmacht des Westens geht bisweilen so weit, dass sie selbst für die Injektion von falschen theologischen Inhalten in eigentlich ihnen gegenüber feindlichen Milieus sorgen kann.

Aber gibt es im Westen nicht genügend Lehrstühle für Islamwissenschaften und Islamwissenschaftler?

Vermutlich ja, aber in den islamwissenschaftlichen Disziplinen im Westen wird hauptsächlich über das Sunnitentum gelehrt und geforscht. Das Schiitentum ist weitgehend eine Randerscheinung geblieben. Hinzu kommt, dass jahrzehntelang die schiitische Denkschule durch sunnitische Brille beleuchtet wurde. Dies ist weder wissenschaftlich noch führt so eine Vorgehensweise zu einer authentischen Darstellung der Schia. Es gibt also im Westen sehr wenige Schia-Experten, und diese wenigen beschäftigen sich kaum oder zu wenig mit der iranischen Politik, sondern vorwiegend mit rein religiösen Fragen. Es fehlt die gemeinsame Schnittstelle, die IranAnders herzustellen versucht.

Welche Hauptziele strebt IranAnders mit seiner Arbeit an?

Wir können derzeit kein allumfassendes Bild über Iran zeichnen. Dazu haben wir momentan leider nicht die Ressourcen und müssen daher Prioritäten setzen. Diese liegen – bedingt durch die hiesige mediale Beschaffenheit – derzeit darin, die Perspektive Irans vorurteilsfrei darzulegen – und vor allem sie zu erläutern. Damit handeln wir uns zwar von einfältigen Geistern den Vorwurf ein, Apologeten des Regimes zu sein, aber Menschen ohne ideologische Scheuklappen schätzen unsere Arbeit als notwendig und ziemlich wertvoll ein.

Für mich persönlich ist jeglicher Journalismus über islamische Länder nur wahr, wenn er die Länder, Kulturen und Menschen als Subjekte im Sinne Edward Saids Werk „Orientalism“ sieht. Wie negativ ist ein westlicher Journalismus über den Iran, der das Land dämonisiert und als Feindbild beschreibt? 

Er schadet vor allem den Westen selbst, weil eine solche Berichterstattung dazu führt, dass das Wesen, die Handlungslogik und die Staatshandlungen der Islamischen Republik zum Teil systematisch fehlgedeutet werden. Dadurch werden politische Entscheidungsträger daran gehindert, eine adäquate Strategie zu formulieren.

Haben Sie vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!

Der Originalartikel kann hier besucht werden