«Everyday Rebellion» ist ein Dokumentarfilm über kreative Formen gewaltloser Proteste auf der ganzen Welt. Wir sprachen mit Arman und Arash Rihai, den beiden Regisseuren.

Wie kam es zu der Idee, einen Film über gewaltfreie Bewegungen zu drehen?
Der auslösende Moment für unsere Projekte war, als wir sahen wie junge Iranis wie Neda Agha Soltan, eine iranische Studentin, während der friedlichen Proteste, die als Folge der Präsidentschaftswahlen im Jahre 2009 im Iran stattfanden, vom iranischen Regime umgebracht wurden. Neda, zum Beispiel, ging einfach nur an den Protesten vorbei, als sie von einem Scharfschützen erschossen wurde. Die Zeit nach den Protesten, die sogenannte „grüne Bewegung“ auf den Strassen und die Tatsache, dass der Aufstand im Iran über Youtube und die sozialen Netzwerke in unsere Wohnzimmer übertragen wurde, markierten den Beginn unseres Projektes. Wir waren sehr unglücklich über das Gefühl, während dieser Proteste machtlos zu sein, und wollten einen Teil zu der iranischen Bewegung für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit beitragen. Wir wollten etwas ändern. Daher war das Projekt anfangs ausschliesslich über den Iran und hieβ damals „Iran: Fortschritt“. Aber bald nachdem wir mit der Arbeit an dem Film begannen, wurde Geschichte geschrieben. Der Arabische Frühling, die „Empörten“, Occupy, usw. Aus diesem Grund mussten wir unser Konzept mehrmals an die sich ändernde Realität anpassen, vor allem für die kapitalgebenden Institutionen, die wissen wollten, warum wir von der ursprünglichen Idee abgewichen sind. Aber als wir entdeckten, dass das Konzept der Gewaltfreiheit all diese Bewegungen verband, war dies plausibel. Der endgültige Film war nicht der, den wir in unseren Konzepten skizziert hatten. Man weiβ nie, in welche Richtung sich eine Geschichte entwickelt oder wo einen die Protagonisten hinführen. Der Sinn beziehungsweise Charakter des Ganzen war jedoch stets der gleiche.

Wie wurde „Everyday Rebellion“ produziert und finanziert?
Der Film wurde, so wie die meisten österreichischen Filmveröffentlichungen, vom Österreichischen Filmförderungsinstitut finanziert. Das bedeutet natürlich Steuergelder, so läuft das eben hier und in den meisten europäischen Ländern. Der Film wurde über vier Jahre hinweg entwickelt und produziert, von der Idee hin zum fertigen Film. Dazu kommt die Erstellung der Website während der letzten eineinhalb Jahre der Produktion, danach begann die Arbeit an der Smartphone App, die im September abgeschlossen wurde. Die App wird im November gelauncht. Die schwierigste Zeit für uns war natürlich das Schneiden des Films. Wir hatten 1.400 Stunden an Material über verschiedene interessante Bewegungen auf der ganzen Welt, und wollten einen Film machen, der die Essenz dieser Materialien darstellt. Wir haben  im Endeffekt mehr als ein Jahr mit Schneiden zugebracht, zeitweise mit vier Leuten in vier verschiedenen Schneideräumen. Die Herausforderung bestand aber auch darin, die unterschiedliche Ästhetik der vorliegenden Materialien in Einklang zu bringen. Das meiste hatten wir selbst gefilmt, aber wir hatten auch Stoff, der von Dritten für uns gefilmt wurde, externe oder gefundene Filmmeter, oder Material, das durch Crowdsourcing zustande kam. Der erste Schnitt des Filmes war über fünf Stunden lang und alles andere als ein in sich zusammenhängender Film.

Gibt es einen Moment im Film, der euch besonders inspiriert und berührt hat?
Für uns war vor allem der Mut der Aktivisten inspirierend. Und natürlich, wie alle gewaltlos geblieben sind, sogar im Angesicht von Brutalität und Gewalt. Genau das ist inspirierend. Jeder von uns ist kreativ, jeder kennt gewaltlose Arten von Protest. Man muss nur seine Ängste und seine schwächere Seite überwinden, um diszipliniert zu bleiben und seinen Standpunkt im Angesicht von repressiven Regimes zu behaupten. Es gibt dafür natürlich verschiedene Wege, als Gruppe, mit Solidarität, Humor und Spass kann man seine Ängste bewältigen. Nichts ist unmöglich für den gewaltlosen Widerstand. Alle Systeme wurden von der Menschheit gebildet, also können sie auch durch die Menschen verändert werden.

Riahi_Brothers

In welchen Ländern wurde der Film schon ausgestrahlt? Wie hat das Publikum, vor allem junge Leute, reagiert?
Der Film wurde schon in vielen Ländern ausgestrahlt. Natürlich in Österreich, Deutschland, der Schweiz, aber auch in Spanien, Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland, Kanada, Griechenland, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Türkei, in der Ukraine, usw. Der Film wird in über 20 Ländern im Kino gezeigt werden. Unserer Meinung nach hat der Film eine grosses Publikum, und deren Reaktion ist bisher groβartig. Dies wird natürlich auch durch die Tatsache, dass wir mit „Everyday Rebellion“ zwei Publikumspreise auf verschiedenen Festivals gewonnen haben, bekräftigt. Das Publikum unterstützt also generell unser Projekt, und wir bekommen viel ehrliches und respektvolles Feedback. Die Leute scheinen es zu schätzen, was wir hier zu tun versuchen, was natürlich auch eine riesige Anerkennung für alle im Film vorkommenden Aktivisten ist. Junge Menschen, vor allem Teenager, mögen den Film sehr. Man könnte meinen, dass diese  nicht an einem solchen Thema interessiert sind, aber wir bekommen auch von ihnen viele Reaktionen.

Die «Revolution der Regenschirme» in Hong Kong suggeriert eine Unterströmung irgendwo auf der Welt, die aufgrund heftiger Repressionen wieder verschwindet und sich mit einfachen Aktionen beschäftigt, die weniger sichtbar aber trotzdem stets einschneidend sind, und dann an einem anderen, weit entfernten Ort wieder auftaucht, mit den gleichen Ausprägungen. Habt ihr den selben Eindruck?
Gewaltfreier Widerstand ist wie ein Samen, der wächst, sobald er gesät wurde. So wie Wörter in den Gedanken der Menschen wachsen, war und wird der Widerstand immer am Leben bleiben. Die Frage ist nur, ob die Bewegungen gewaltlos bleiben oder nicht? Werden sie intelligent, organisiert, strategisch und mit einer klaren Zukunftsvision ausgestattet sein? Wir dürfen nicht vergessen, dass manche Protestbewegungen Gewalt benutzen und versucht haben, Unruhe und Veränderungen zu veranlassen, indem Fensterscheiben zerbrochen und Dinge verbrannt wurden. Die Geschichte hat uns bewiesen, dass dies zu nichts führt. Die Idee der Gewaltfreiheit jedoch ist eine sehr alte und humanistische Idee, tief mit allen Religionen der Welt verbunden. Und auch seit Jahrhunderten bekämpft aufgrund der Gefahr, die diese für die Mächtigen darstellt. Um also den Kampf weiterführen zu können, müssen wir unbedingt an der Gewaltfreiheit festhalten und weiterhin versuchen, Wege hin zur Sprengung der Ketten der Gewalt, die die Menschheit schon so lange gefangen hält, zu finden. Wir müssen unsere Erfolge feiern und die Atmosphäre der Angst in eine optimistische und lebensbejahende Einstellung verändern, hin zum wahren Glauben an die Macht der zivilen Gesellschaft, die auf dem Weg verloren gegangen ist.

Der Film ist Teil eines grösseren Projektes der Website everydayrebellion.net um Aktivisten weltweit einen Kanal zur Verbreitung ihrer Aktivitäten mit Videos und Neuigkeiten, die die kreative Stärke der Gewaltfreiheit aufzeigen, zu ermöglichen. Könnt ihr das vielleicht noch besser erklären?
Das Ziel bestand darin, mehr als nur einen Film zu machen, denn ein Film hat, wie wir alle sehr wohl wissen, gewisse Einschränkungen. Wir wollen, dass die Idee des gewaltfreien Protestes in so viele Länder und Gedanken wie möglich verbreitet wird. Wenn aber ein Film keinen Verleiher findet oder nicht in den Kinos ausgestrahlt wird, dann hat man ein Problem. Wir haben also den Film schon mit der Idee, eine Website und eventuell noch eine App oder ein Spiel zu erstellen, angefangen zu drehen, und so versucht, die Idee in so vielen Medienkanälen wie möglich zu verbreiten. Unsere Absicht war auch, dass die Aktivisten einen Ort hatten, wo sie online gehen und sich inspirieren lassen können, bestenfalls durch Videos gewaltfreier Proteste; das war also auch einer der Gedanken dahinter. Daraufhin haben wir mit einem einfachen Blog begonnen, sammelten Videos und Kontakte, und veranstalteten auch Crowdsourcing für einen Teil der Filmmaterialien. Letztendlich haben wir uns für Finanzierungsmöglichkeiten beworben und unsere Website erstellt, die eigene, aber auch externe, von Aktivisten oder anderen Leuten produzierte Videos zur Geltung bringen soll. Die Website und der medienübergreifende Aspekt unseres Projektes wurde mehrere Male ausgezeichnet, z.B. mit dem CIVIS Online Media Award oder dem BEN Award for Best Transmedia Project auf der Biennal of Moving Image 2012. Wir versuchen, ein Knotenpunkt für kreative Aktivisten zu sein, als Inspiration zu dienen, so dass neue Methoden des gewaltfreien Protestes erlernt werden können, jedoch stets auf eine spielerische und humorvolle Art und Weise, ohne didaktisch zu sein. Und es funktioniert, wir bekommen viel positives Feedback. Das müsst ihr euch auf jeden Fall selbst anschauen!

Was sind eure Pläne für die Zukunft?
Wir arbeiten schon an unserem zweiten Kinodokumentarfilm, der nächstes Jahr fertig sein wird. Der Film ist über Kinder und wie sie die Welt sehen, und deren Kreativität, die sie als instinktives Mittel für alles, was sie plagt oder kümmert, anwenden. Der Film wird also ganz anders als „Everyday Rebellion“ sein. Nichts, das man nach so einem Film erwarten würde. Wir haben ausserdem zwei fiktive Filme in der Pipeline, an deren Skripten und Entwicklung wir gerade arbeiten – wenn die Zeit reif ist, werdet ihr davon hören.

Übersetzung aus dem Spanischen von Leonie Pintoffl

Filmtrailer: «Everyday Rebellion»