Hessen wollte nicht, aber die Weisung kam von oben: Wir veröffentlichen das Schreiben des Bundesfinanzministeriums, das letztlich zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit von attac führte – und zu einem fatalen Urteil. Das Ministerium hatte sich lange gegen die Herausgabe gewehrt.

Das Hessische Finanzministerium entzieht dem Verein attac 2014 seine Gemeinnützigkeit, attac klagt dagegen und gewinnt etwas mehr als zwei Jahre danach beim Hessischen Finanzgericht. Fertig. Wäre es nach dem Hessischen Finanzministerium und nach attac gegangen, hätten das Frankfurter Finanzamt und der globalisierungskritische Verein im Frühjahr 2017 ihren Rechtsstreit beerdigt.

Attac hätte wieder als gemeinnützig gegolten, hätte wieder Spenden sammeln und damit Kampagnen finanzieren können. Im Mai 2017 allerdings, wenige Tage vor Ende der Beschwerdefrist, erreichte den Leiter der Steuerabteilung im Hessischen Ministerium ein Brief mit einer klaren Weisung: Das Ministerium müsse Beschwerde gegen die Entscheidung beim Bundesfinanzhof einlegen. Unterzeichnet ist das Schreiben von einem weiteren Leiter der Steuerabteilung – des vorgesetzten Bundesfinanzministeriums.

Berlin überstimmt Hessen

Wie aus der Weisung des Bundesfinanzministeriums hervorgeht, die wir nach Medienberichten und einer Anfrage mit dem Informationsfreiheitsgesetz veröffentlichen, überstimmten Beamte aus Berlin ihre Kollegen aus Hessen. Sie sorgten dafür, dass das Hessische Finanzministerium einen Tag später hastig Beschwerde einreichen ließ – und letztlich der Bundesfinanzhof im Jahr 2019 das Urteil des Frankfurter Finanzgerichts aufhob. Seit dem Urteil sind viele weitere Vereine davon bedroht, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren.

Bisher unklar ist, ob Beamte des Finanzministeriums vor ihrer Weisung zur Beschwerde Kontakt zu Richtern des Bundesfinanzhofs gesucht hatten. Rolf Möhlenbrock, vonseiten des Bundesfinanzministeriums als Abteilungsleiter zuständig für das attac-Verfahren, sitzt gemeinsam mit dem damaligen Präsidenten des Bundesfinanzhofs, Rudolf Mellinghoff, im Vorstand des „Institut Finanzen und Steuern“. Ziel des Instituts ist die Senkung von Steuern. Im Gegensatz zu attac ist es – auch weiterhin – als gemeinnützig anerkannt.

„Das Schreiben zeigt: Ohne Einmischung des Bundesfinanzministeriums wäre Attac längst wieder als gemeinnützig anerkannt. Zu dem Revisionsprozess vor dem Bundesfinanzhof wäre es nicht gekommen“, sagt Alfred Eibl vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis gegenüber FragDenStaat. „Es bleibt bittere Ironie, wenn ausgerechnet das Bundesfinanzministerium einer Organisation die Gemeinnützigkeit absprechen will, die sich für Steuergerechtigkeit einsetzt.“

Bock und Gärtner

Nach Protesten gegen das Urteil gegen attac übernahm das Bundesfinanzministerium – jetzt unter Finanzminister Olaf Scholz (SPD) – die Aufgabe, einen Vorschlag für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts zu formulieren. Die Beamten, die ursprünglich also gegen eine Ausweitung der Gemeinnützigkeit Stimmung machten, sollen jetzt eine Ausweitung entwerfen. Ob dies aber noch in dieser Legislaturperiode Wirklichkeit wird, ist unklar.

Bevor es die jetzt veröffentlichte Weisung herausgab, hatte sich das Bundesfinanzministerium lange geweigert, das Dokument offenzulegen. Dabei verwies es auf das Steuergeheimnis von attac, unternahm allerdings auch keinen Versuch, eine Erlaubnis vom Verein einzuholen. Nachdem attac dem Ministerium von sich aus schriftlich mitgeteilt hatte, dass sie mit einer Herausgabe der (auch ihnen bis dato unbekannten) Weisung einverstanden waren, gab das Ministerium klein bei.

 

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