„Wir werden zu Not auch einmal ohne Butter fertig werden, niemals aber ohne Kanonen.“  Joseph Goebbels (Januar 1936)

„Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter.“  Clemens Fuest, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo (2024) [1]

Sollte es damals nur noch drei Jahre bis zum nächsten Weltkrieg dauern, was kaum jemand wusste, sind heute noch vier Jahre intensiver Vorbereitung dafür veranschlagt, wie fast schon jedem Kind in Deutschland geläufig ist. Schließlich hat Boris Pistorius nicht allein kraft seines Amtes, sondern insbesondere dank seines Ansehens als beliebtester Spitzenpolitiker des Landes verfügt, dass wir bis 2029 kriegstüchtig zu sein hätten – und zwar alle bis hinein in den privatesten Winkel. Wenngleich man Fuest also attestieren könnte, dass er sich mit seiner fragwürdigen Metapher in zweifelhafter Gesellschaft befindet, spricht er doch nur offen aus, dass die Aufrüstung zwangsläufig zu schmerzhaften Kürzungen im Sozialbereich führen wird. Als Rudolf Heß in einer Rede am 11. Oktober 1936 nachlegte und mit der Parole „Kanonen statt Butter“ die Bevölkerung darauf einschwor, Versorgungsengpässe hinzunehmen, tischte er dieselbe Ultima Ratio auf: Da die Kanonen beschlossene Sache sind, kann die Forderung, sich nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen, kein Thema sein – außer vielleicht für Volksschädlinge und Landesverräter, denen man heute natürlich zeitgemäßere Attribute anhängt.

Da wir uns also zwar noch nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden befinden, wie Friedrich Merz unter Beschwörung einer hybriden Bedrohungslage Hans und Franz das Fürchten lehrt, um pazifistischen Restbeständen Feuer unter dem Arsch zu machen, steht dem bellizistischen Hurrapatriotismus eigentlich nichts mehr im Wege, wenn man denn Regierungspolitik und Konzernpresse Glauben schenken mag. Am vornehmsten fabuliert und in seiner beliebig strapazierbaren Interpretation einer Allzweckwaffe zur Dominanz des ideologischen Luftraums gleich hinterließ der als Kanzler entsorgte Olaf Scholz sein gediegenes Abschiedsgeschenk: Die Zeitenwende – hoch dotiert mit einem Sondervermögen, das er gleichsam aus seiner Schatztruhe zauberte. Wenn Schicksalsmächte das deutsche Wesen bedrängen, dass es in finsterer Stunde zu zagen droht, entfaltet es plötzlich ungeahnte Kräfte und schließt sich in heldenhaftem Trotz im Gleichschritt zusammen: Butter war gestern, von nun an gilt es die Waffen zu schmieden, um den ewigen Feind im Osten in die Schranken zu weisen.

Nach zwei angefangenen und verlorenen Weltkriegen sehenden Auges einen dritten zu provozieren, erfordert natürlich ein haarsträubendes Wendemanöver exekutierter Deutungsmacht, das zugleich geschmeidig genug durchgesetzt werden muss, um jeglichen Widerstand im Keim zu ersticken. Während abermals deutsche Soldatenstiefel für den Marsch an die Ostfront geschnürt werden, gilt es zuallererst die Heimatfront zu befrieden. Wird die Bevölkerung die Wirtschaftskrise klaglos durchleiden, vor der Klimakatastrophe die Augen verschließen, die sozialen Grausamkeiten gehorsam erdulden? In der Vergangenheit hat sich die hohe Kunst hiesiger Herrschaftssicherung mittels Sozialpartnerschaft und Agenda-Regime als recht erfolgreich erwiesen, den nationalen und weltweiten Raub an natürlichen Sourcen und menschlicher Arbeitskraft zu administrieren, die Nachbarn in der EU niederzukonkurrieren und als Exportweltmeister zu glänzen. So brüchig das Wohlstandsversprechen auch sein mochte, reichte der Vergleich mit all jenen, die noch wesentlich schlechter abschneiden, doch allemal aus, das Aufbegehren zu deckeln und Fügsamkeit zu lehren.

Da inzwischen aber eine Krise die andere jagt und kulminierend die Weltlage verschärft, so dass die Fristen dramatisch schrumpfen, innerhalb derer man Rettungsmaßnahmen in Stellung zu bringen hoffte, platzen die Luftschlösser weltweit stabiler Bindeketten und Zugriffsgewalten. Die alles verschlingende Existenz- und Wirtschaftsweise treibt Zerstörungsprozesse mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit voran, weshalb sich immer deutlicher abzeichnet, dass multiple Krisenhaftigkeit nicht die Ausnahme ansonsten geordneter und kontinuierlicher Entwicklungsprozesse, sondern unter der Voraussetzung exzessiver Verstoffwechselung deren innerstes Wesen ist. Die Ratio innovativer Verfügungsgewalt drängt unvermeidlich zur Expansion, das Regime des höchstentwickelten Raubes weltweit zu exekutieren. Dieses Herrschaftsstreben kennt keine dauerhafte Koexistenz von Gesellschaftssystemen, Blöcken oder konkurrierenden Staaten, sondern ausschließlich die wachstums- und profitgetriebene, auf überlegener Waffengewalt gründende Unterwerfung und Einverleibung jeglicher Sphären, die das Regime noch nicht okkupiert und verstoffwechselt hat. Krisen und Kriege sind die zwangsläufige Folge dieses Überlebensprinzips, das dem zeitweiligen Nutzen weniger dient und die überproportionalen Schadensfolgen auf die Mehrheit der Menschheit abwälzt.

In diesem Krieg, der wechselweise mit zivilen oder militärischen Mitteln des Handels oder Waffengangs geführt wird, sind Millionen von Menschen zu Hunger und Elend, Krankheit und Vertreibung, Verletzung und Tod verdammt. Aus Perspektive der maßgeblich kriegstreibenden Kräfte gibt es keine Friedenslösung, sondern nur Sieg oder Niederlage, allenfalls einen brüchigen Waffenstillstand oder ein befristetes Regulativ, das den nächsten Konflikt in sich birgt. Im Sinne der Zeitenwende gebietet die neue Staatsräson, das alte Tarnkleid einer diplomatischen Vermittlerrolle abzustreifen und Kampfmontur anzulegen. Die Maxime deutscher Regierungsführung, aus allen Krisen als Sieger hervorzugehen, schloss neben dem ökonomischen Führungsanspruch längst auch wachsende militärische Stärke ein, die Zug um Zug ausgebaut wurde. Was in verträglichen Etappen sukzessiver Aufrüstung und organischer Ablösung der US-Streitkräfte im Nahen und Mittleren Osten durch die Bundeswehr geplant war, um die Einkreisung Russlands und Chinas mit verteilten Schwergewichten voranzutreiben, droht jedoch in ein vorgezogenes Armageddon zu eskalieren. Für die Eliten der USA, die nichts als absolute Dominanz oder Untergang ihrer auserwählten Nation kennen, macht die vorverlegte Endschlacht gegen den erstarkenden Rivalen insofern Sinn, als die Rettung ihres sinkenden Sterns keinen Aufschub duldet. In deutschen Führungskreisen wird – wenngleich eine Nummer kleiner – derselbe Kriegsruf angestimmt.

Langgehegte Ambitionen deutscher Hegemonialmacht

Schon die Strategiepapiere „Neue Macht. Neue Verantwortung“ (2013) und „Weißbuch“ (2016) sahen einen sukzessiven Abzug der US-Streitkräfte zugunsten der Einkesselung Chinas vor, während die Bundeswehr nachrücken und den Druck auf Russland erhöhen sollte. Wenngleich das übermächtige Waffenarsenal der USA im Rahmen der NATO der Schutzschirm aufschließender deutscher Ambitionen war, wollte die Bundesrepublik doch nach und nach aus diesem Schatten heraustreten und den Sprung zur eigenständigen Militärmacht vollziehen. Zugleich sollte der Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion vorangetrieben und sogar eine europäische atomare Abschreckung organisiert werden.

Diese fließende Wachablösung wurde jedoch insbesondere von der US-Administration torpediert. Deutschland und die EU wollten das Feld gerne offenhalten, um transatlantisch zu marschieren, aber zugleich wirtschaftlich von der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft China und deren riesigem Binnenmarkt zu profitieren. Washington ließ jedoch nicht zu, dass die Europäer eigenständig erstarkten, bis sie womöglich sogar die Seiten wechseln würden. Deshalb drängen die USA ihre Verbündeten mit brachialen Mitteln dazu, Farbe zu bekennen und sich rückhaltlos dem Feldzug anzuschließen.

In einem Strategiepapier des deutschen Verteidigungsministeriums von 2018 ist daher von harmonierenden Bündnispartnern keine Rede mehr. Die „Strategische Vorausschau 2040“ hält ein Auseinanderbrechen der EU und eine Welt in zunehmendem Chaos für denkbar. Entworfen wird ein Szenario, in dem die internationale Ordnung erodiert, die Wertesysteme weltweit auseinanderdriften und die Globalisierung gestoppt ist. Die EU-Erweiterung ist aufgegeben, weitere Staaten haben die Gemeinschaft verlassen, Europa hat seine globale Wettbewerbsfähigkeit verloren. Angesichts dieser möglichen Verwerfungen läuft die Quintessenz der strategischen Studie darauf hinaus, dass Deutschland auf sich allein gestellt alle Anstrengungen forcieren müsse, zu einer Hegemonialmacht aufzusteigen. Wenn deutsche Spitzenpolitiker daher heute einen Aufwuchs zur militärischen Führungsmacht in Europa fordern, liegen dem bellizistischen Größenwahn durchaus langgehegte Ambitionen zu Grunde.

Sozialer Krieg an der Heimatfront

Die auch der Bundesrepublik abverlangten Aufwendungen für die Streitkräfte in Richtung der immer höher geschraubten Prozentziele der NATO sind den Protagonisten deutscher Aufrüstung höchst willkommen. Sie können mit simuliertem Zähneknirschen unter Verweis auf Bündnisverpflichtungen und Bedrohungsszenarien kräftig nachlegen. Die Bundeswehr soll befähigt werden, im eskalierenden Konkurrenzkampf um Einflusssphären, Rohstoffe, Handelswege und Absatzmärkte weltweit mitzumischen. Da aber die Finanzierung der gewaltigen Rüstungsprojekte nur durch eine gravierende Umverteilung der Haushaltsmittel möglich ist, muss zugleich der soziale Krieg gegen die eigene Bevölkerung massiv verschärft werden. Das ideologische Kernversprechen der deutschen Klassengesellschaft, selbst als subordinierter Mitläufer der Räuberbande allemal besser als jegliche Opfer der auswärtigen Raubzüge dazustehen, wird auf eine harte Probe gestellt. Denn wer auch hierzulande die Zeche bezahlen soll, liegt auf der Hand.

Angesichts der Verwertungskrise des Kapitals wirken massiv gesteigerte Rüstungsausgaben kurzfristig als Ventil für überschüssiges Kapital, indem sie Nachfrage für Waren schaffen, die keine zivilen Märkte finden. Diese eingeleitete Kriegswirtschaft mag zwar vorübergehend Konjunktur und Aktienkurse stützen, doch steuert sie auf eine finale Lösung der Krise in Gestalt der offen ausbrechenden Menschen- und Materialschlacht zu. Nachdem schließlich alles verbrannt und zerstört ist, soll die Kapitalherrschaft gleich dem Phönix aus der Asche zu innovativer Größe aufsteigen und den nächstfolgenden Zyklus florierender Inwertsetzung einläuten. Man könnte auch von einem Rüstungskeynesianismus sprechen, für den es historische Beispiele gibt. In den USA und in UK beseitigten Aufrüstung und Krieg die Massenarbeitslosigkeit der 1930er Jahre, das Wachstum erreichte zeitweise ungeahnte Höhen. In den Nachkriegsjahrzehnten machten Militärausgaben in den USA bis in die 1970er Jahre hinein die Hälfte des Staatshaushalts aus. Doch schon damals war klar: Der militärische Konjunkturzyklus erzeugt keine nachhaltige Wohlfahrtsentwicklung, sondern verschiebt gesellschaftliche Ressourcen auf zerstörerische Bahnen. Vor den Gefahren eines „Militärisch-industriellen Komplexes“ in den USA der Nachkriegszeit warnte US-Präsident Dwight D. Eisenhower erstmals öffentlich in seiner Abschiedsrede am 17. Januar 1961:

The conjunction of an immense military establishment and a large arms industry is new in the American experience. The total influence – economic, political, even spiritual – is felt in every city, every statehouse, every office of the federal government. [2]

In Westdeutschland bestand nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg ein antifaschistisch-kapitalismuskritischer Konsens bis hinein in das Ahlener Programm der CDU von 1947, in dem festgestellt wurde, dass „das kapitalistische Wirtschaftssystem den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden ist. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.“ [3] Bekanntlich hatte diese Neuausrichtung nicht lange Bestand: Durchsetzt von Protagonisten des untergegangenen NS-Staats konsolidierten die alten und neuen Eliten ihre Herrschaft mittels Wiederaufbau, Westbindung und Aufrüstung im Kalten Krieg.

Zeitenwende läutet Kriegswirtschaft ein

Die im Zuge der Zeitenwende abermals angeworfene Vorkriegswirtschaft setzt eine bellizistische Weichenstellung durch. Die Ausnahme von Rüstungsausgaben aus der Schuldenbremse und die Einrichtung milliardenschwerer Sondervermögen etabliert eine Struktur des Staatshaushalts, die forcierte militärische Industrieproduktion langfristig absichert, während andere öffentliche Bereiche unter massiven Finanzdruck gezwungen werden. Keynesianische Wirtschaftspolitik, die nach ursprünglicher Auffassung in Form von öffentlichen Aufträgen soziale Infrastruktur, Verkehr oder Bildung fördern sollte, wird nun auf den Rüstungssektor reduziert. Die staatliche Nachfragepolitik konzentriert sich auf militärisches Erstarken.

Die absehbaren Folgen sind in jeder Hinsicht fatal. Ökonomisch gesehen schaffen Rüstungsausgaben keine nachhaltigen Produktivkräfte, weil Waffen insofern unproduktive Güter sind, als sie gesellschaftliche Arbeit verkörpern, die in ihrer Zerstörung enden muss. Es mangelt nicht an Studien, die den Nachweis führen, dass mit derselben Investitionssumme in Bildung, Gesundheit oder Wohnungsbau ein Mehrfaches an Arbeitsplätzen entstehen könnte wie in der Rüstungsindustrie. In sozialer Hinsicht geht Militarisierung mit Sozialabbau einher. Während Milliarden für Waffen bereitgestellt werden, unterliegen die meisten anderen staatlichen Leistungen dem einschnürenden Regime der Schuldenbremse. Militärkeynesianismus bedeutet damit die Priorisierung von Tod und Zerstörung vor Leben und Daseinsvorsorge. In der politischen Ausrichtung wird die gesamte Gesellschaft auf den Krieg eingestellt, da militarisierte Ökonomien nicht nur materielle, sondern auch ideologische Engführungen erzwingen: Sie drängen das gesellschaftliche Klima in Richtung autoritärer Formierung. Deutschland solle „Drehscheibe“ beim Kampf gegen Russland sein, heißt es im Grünbuch der Bundesregierung. Der Marschbefehl des Boris Pistorius, das Land müsse „kriegstüchtig“ werden, schließt alle gesellschaftlichen Sphären bis hinein in Betriebe, Kommunen, Gesundheitseinrichtungen und Schulen ein.

Konversion pervers

Dass militärische Forschung und Produktion im Nebenlauf auch zivil nutzbare Erzeugnisse hervorbringen können, galt in Gestalt der Teflonpfanne lange als Treppenwitz der Rüstungsgeschichte. Umgekehrt wurde indessen unter anderem in der Gewerkschaftsbewegung die Idee der Konversion verfolgt, die verschiedene Formen annehmen kann. In der Produktion können Waffenfabriken auf zivile Waren umgestellt werden, Beschäftigte aus der Rüstungsindustrie in zivile Bereiche wechseln oder finanzielle Mittel entsprechend umgeleitet werden. Legendär ist das Beispiel des britischen Unternehmens Lucas Aerospace, wo in den 1980er Jahren Arbeiterinnen und Arbeiter Pläne für gesellschaftlich nützliche Produkte entwickelten. Auch in jüngerer Zeit bleibt die Frage hochaktuell. So hält die Belegschaft des Autozulieferers GKN in Florenz den Betrieb seit 2021 besetzt und fordert statt Entlassungen und Schließung eine Überführung in Gemeineigentum und die Umstellung auf Produkte für die Energiewende und nachhaltige Mobilität. In Osnabrück, wo die Übernahme des VW-Werks durch Rheinmetall droht, fordern Beschäftigte und Initiativen: „Busse statt Panzer!“

Konversion kann daher über den technischer Umbau hinaus auch als eine politische Richtungsentscheidung aufgefasst werden: Menschliche Arbeit in der Waffenproduktion schafft Profite, indem sie Tod vorbereitet. Vergesellschaftete Konversion könnte Produkte hervorbringen, die Zukunft sichern. Doch die in den 1980ern mit Nachdruck erhobene Forderung, „Schwerter zu Pflugscharen“ umzuwandeln, wird heute ins Gegenteil verkehrt: Zivile Betriebe werden für die Kriegsproduktion konvertiert, Beschäftigte dorthin abgezogen. Stahlwerke produzieren Panzerstahl, Automobilzulieferer fertigen Teile für Militärfahrzeuge, Forschungsgelder für Energiewende und Transformation werden umgeleitet, um Drohnen und Raketen zu entwickeln. Werden Rüstungsinteressen in den Rang einer dauerhaften industriepolitischen Leitlinie erhoben, richtet sich der Fokus in Forschung und Entwicklung vorrangig auf Technologien, die sich wegen ihrer militärischen Nutzbarkeit besonderer Förderung erfreuen. Die Trennung von ziviler und militärischer Forschung verschwimmt, so dass der Begriff „Dual-Use“ nicht länger technologieethische Konflikte kennzeichnet, sondern zum strategischen Hebel wird: Wer militärische Anschlussfähigkeit in Aussicht stellt, erhält Mittel. Gilt es nunmehr, im Gleichschritt der Kriegsertüchtigung einer zunehmend militarisierten Gesellschaft Pflugscharen zu Schwertern umzuschmieden, stürzt sich, wer irgend kann, auf die „Konversion pervers“, um sich die Taschen mit den herabregnenden Staatsgeldern zu füllen.

Platzhirsch Rheinmetall

Mehr als 150 Milliarden Euro will die Bundesregierung voraussichtlich ab 2029 Jahr für Jahr in die Aufrüstung stecken. Das ist mehr als doppelt so viel wie 2021 und fast viermal so viel wie 2018. Größter Profiteur dieser entfesselten Alimentierung und Platzhirsch des deutschen Rüstungssektors ist der Konzern Rheinmetall, der im Kontext der Zeitenwende einen beispiellosen Höhenflug hinlegt. Dezente Zurückhaltung einer mitunter als anrüchig geschmähten Branche vergangener Tage weicht einem imposanten Muskelspiel und protzendem Militärgerät. Die aktuellen Produktionskapazitäten reichen längst nicht mehr aus, zumal das Unternehmen zu den bedeutendsten Lieferanten der kriegserschütterten Ukraine gehört. An seinem wichtigsten Standort im niedersächsischen Unterlüß errichtet der Düsseldorfer Konzern ein neues Werk für Artilleriemunition, das bei voller Kapazität das größte seiner Art in Europa sein wird. Während die Planungen vorsehen, in diesem Jahr rund 25.000 Granaten vom Kaliber 155 Millimeter zu fertigen, sollen es 2027 dann schon 350.000 Schuss sein. Inklusive der Fertigung in anderen Werken möchte Rheinmetall 2027 auf insgesamt 1,5 Millionen Geschosse kommen und damit seine Position als wichtigster Hersteller dieser Artilleriegranaten in der westlichen Welt festigen. Bei der offiziellen Eröffnung des Werkes reichten NATO-Generalsekretär Mark Rutte, Verteidigungsminister Boris Pistorius und Vizekanzler Lars Klingbeil demonstrativ Rheinmetall-Chef Armin Papperger die Hand, um der Bedeutung dieses Schulterschlusses zwischen Kriegspolitik und Rüstungsbranche Ausdruck zu verleihen. [4]

Nur etwa 30 Kilometer vom Truppenübungsplatz Bergen der Bundeswehr entfernt wurden auf dem mit einer Fläche von 60 Quadratkilometern größten Standort der Waffenschmiede bislang vor allem der Leopard 2 und der Schützenpanzer Puma gefertigt, gewartet, modernisiert und auf einer kilometerlangen Schießbahn erprobt. Auch Komponenten für die Panzerhaubitze 2000 entstehen dort. Nun ist neben der hochgefahrenen Munitionsherstellung auch eine Fabrik für Raketenmotoren und möglicherweise auch Gefechtsköpfe sowie ein weiteres Werk für RDX-Sprengstoff geplant. Neben Joint Ventures in mehreren europäischen Ländern ist Rheinmetall auch Allianzen mit Rüstungsherstellern wie Leonardo in Italien oder Lockheed Martin in den USA eingegangen. Dieser verhandelt mit Rheinmetall über die Produktion einiger seiner Raketen der Modelle ATACMS und Hellfire. Zudem werden in Deutschland bereits Rumpfteile für den F-35-Tarnkappenjet gebaut. Ferner haben die beiden Unternehmen angekündigt, gemeinsam ein „europäisches Kompetenzzentrum für die Herstellung und den Vertrieb von Raketen und Flugkörpern“ schaffen zu wollen.

Wie inzwischen als gesichert gilt, plant Rheinmetall außerdem eine maritime Erweiterung seiner Produktpalette. Demnach besteht Interesse am Bremer Militärschiffbauer Naval Vessels Lürssen (NVL), dessen Eigentümerfamilie offenbar beabsichtigt, sich von ihren im Marineschiffbau tätigen Werften zu trennen. Ob diese Fusion von den Eignern und Aufsichtsbehörden gebilligt wird, ist zwar noch offen, doch sprechen mehrere Gründe für eine Übernahme. Insbesondere wird aus der Bundespolitik eine stärkere Kooperation der konkurrierenden maritimen Rüstungsbauer NVL, Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) und German Naval Yards angemahnt, um die deutschen Marinewerften zu konsolidieren. [5]

Die Auftragsbücher von Rheinmetall sind jedenfalls prall gefüllt, zumal das Verteidigungsministerium mehr als 600 Flugabwehrpanzer des Typs Skyranger 30 für die Bundeswehr bestellen will. Der Auftragswert der gemeinsam mit dem französisch-deutschen Rüstungskonzern KNDS gefertigten Radpanzer wird auf mehr als neun Milliarden Euro beziffert, geliefert werden soll bis 2030. Das System ist der Nachfolger des 2010 bei der Bundeswehr ausrangierten Flugabwehrpanzers Gepard, der sich in der Ukraine als effektives Mittel zur Abwehr russischer Geran-Drohnen erwiesen hat. Wie es dazu heißt, schließe der Skyranger eine „Fähigkeitslücke“ der Bundeswehr. [6]

Rheinmetall-CEO Papperger hebt hervor, dass man auch in anderen NATO-Ländern in vergleichbarer Geschwindigkeit Munitionswerke errichten könne. Er denke dabei an Litauen und Großbritannien, wo es bereits konkrete Projekte gebe, aber auch an Bulgarien, Rumänien, Lettland und die Ukraine. Dort will Rheinmetall überdies noch in diesem Jahr eine Fabrik zur Produktion des Schützenpanzers Lynx eröffnen, für den sich die ukrainischen Streitkräfte nach gründlicher Prüfung verschiedener ausländischer Modelle im Praxistest entschieden haben. Die genaue Anzahl der gewünschten Exemplare ist bislang nicht bekannt, doch sprach Papperger von einem möglichen Rahmenvertrag zur Bereitstellung von mehreren hundert Lynx an die Ukraine. [7]

In der dortigen Goldgrube des Krieges konkurriert Rheinmetall mit mehr als 25 weiteren ausländischen Rüstungsunternehmen wie British BAE Systems, Swedish SAAB oder American Northrop Grumman. Über diese traditionellen Konzerne der Branche hinaus drängen Unternehmen aus den Bereichen unbemannte Systeme, Cyberabwehr und Anti-Drohnen-Kampf in die Ukraine. Das Kriegsgebiet gilt als idealer Schauplatz zur Erprobung innovativer Technologien und Taktiken unter realen Bedingungen. Das „Silicon Valley der Kriegsführung“ gewährt ausländischen Partnern Zugang zu Produktionsstätten, qualifizierten Arbeitskräften und Testmöglichkeiten, während die Ukraine Technologie, Investitionen und die Fähigkeit zur Herstellung wichtiger Waffen gewinnt und zum regionalen Zentrum für modernstes Kriegsgerät in Europa aufsteigen könnte. Dieser zweifelhafte Standortvorteil ist mit einem horrenden Blutzoll im Stellvertreterkrieg erkauft, den die deutschen Protagonisten und Mitläufer der Zeitenwende geflissentlich ausblenden oder ausschließlich dem östlichen Feind in die Schuhe schieben.

Vom Goldrausch zur Geisterstadt

Kommen wir abschließend noch einmal auf die industriellen Verwerfungen und Verschiebungen an der Heimatfront zurück. Während mit der Deutschen Bahn, ZF, Thyssenkrupp Steel, Daimler Truck, VW oder SAP viele Unternehmen einen erheblichen Stellenabbau planen, boomt die Rüstungsindustrie. Sie etabliert sich als „Jobmotor“ und rekrutiert eifrig Fachkräfte aus zivilen Sparten. Doch die Vorstellung, auf diese Weise werde weitgehend kompensiert, was anderswo wegfällt, erweist sich rasch als naive Fehleinschätzung oder gezielte Täuschung. Letztere muss man wohl Wirtschaftsministerin Katherina Reiche attestieren, die auf der Handelsblatt-Konferenz „Wirtschaftsfaktor Rüstung“ auf mögliche neue Arbeitsplätze verwies, ohne die mutmaßlichen Entlassungen in anderen Sparten gegenzurechnen: Fast 400.000 Menschen seien derzeit in der Rüstungsindustrie beschäftigt, Tendenz steigend, so die Ministerin. Solche Zahlen habe man in den letzten Jahren eher verschwiegen, was sich nun ändern müsse. Denn die Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie sei ein wesentlicher wirtschaftlicher Faktor. [8]

Der Rüstungskonzern Rheinmetall plant, die Zahl seiner Mitarbeiter in den kommenden Jahren von 40.000 auf 70.000 aufzustocken. Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) hat die Zahl seiner Mitglieder innerhalb eines Jahres auf weit über 300 mehr als verdreifacht. Dass Rüstungsaktionäre profitieren, steht außer Frage: Stand die Rheinmetall-Aktie Ende 2020 noch bei 86 Euro, kostete sie Ende März 2025 mehr als 1.300 Euro. Der Unternehmensgewinn vor Steuern stieg 2024 um 61 Prozent auf knapp 1,5 Milliarden Euro. Der Zulieferer Renk aus Augsburg, der unter anderem Getriebe für Panzer baut, wagte im Februar 2024 den Schritt an die Börse. Damals stand die Aktie bei rund 17 Euro, gut ein Jahr später war ihr Kurs bereits auf über 40 Euro gestiegen, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen.

Dieser Goldrausch ruft zwar zahlreiche große und kleine Nachahmer auf den Plan, die ihrerseits einen Claim abzustecken trachten, doch hält sich die Zahl in die Rüstungsbranche konvertierter Arbeitsplätze in Grenzen. So erklärt der Verband der Automobilhersteller (VDA) skeptisch, die möglichen neuen Jobs könnten keinesfalls die durch die Transformation und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit des Standorts gefährdeten Arbeitsplätze ersetzen. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel rechnet zwar zweckoptimistisch mit einem EU-weiten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um bis zu 1,5 Prozent im Jahr, sollten die Militärausgaben auf 3,5 Prozent des BIPs erhöht werden. Zugleich warnt das Institut jedoch vor allem mit Blick auf die wachsenden Staatsschulden vor allzu großer Hoffnung. Spätestens wenn die höheren Schulden mit höheren Zinsen einhergehen, werde man höhere Abgaben dafür erheben müssen. Und das mache den Wirtschaftsraum unattraktiver. Um die Zinsen zahlen zu können, müsste der Staat dann entweder vermehrt in anderen Bereichen sparen oder die Steuern erhöhen oder beides. Das sei für die Wachstumsentwicklung, für die Attraktivität des Standortes und für die Einwanderung qualifizierter Arbeitskräfte von Nachteil. Militärausgaben seien keine Investitionen, die später Erträge abwerfen, warnt Dierk Hirschel, Chefökonom der Gewerkschaft Ver.​di. Rüstungsgüter seien totes Kapitel, die Wachstumseffekte von Militärausgaben gering. Ökonomen schätzten, dass für jeden vom Staat dafür ausgegebenen Euro nur 50 Cent in der Wirtschaft ankommen. Zudem drohten große Marktmacht und ausgelastete Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie lediglich die Inflation anzuheizen.

Wie diese Einschätzungen zeigen, dürfte sich der Rüstungsboom selbst im Lichte konventioneller Erklärungsmodelle in Wirtschaftskreisen, Denkfabriken und Gewerkschaften auf längere Sicht als Strohfeuer erweisen, das die gesellschaftlich zu bewältigenden Widrigkeiten nicht aus dem Feld schlagen kann. Der Kunstgriff des Sondervermögens, das heute Geld schöpft und den Pferdefuß im Sinne des Mottos „Nach mir die Sintflut“ in die Zukunft auslagert, kann das Desaster nicht einmal notdürftig kaschieren. Andererseits gilt dasselbe Prinzip, mit Perspektiven zu hausieren, für jede Form des Wirtschaftens, das stets von der Erwartung künftiger Erträge lebt. Wie groß die Not unbewältigter Krisen und abhanden gekommener Versprechen inzwischen ist, unterstreicht der dramatische Schwenk hin zur Kriegswirtschaft, stellt doch der letztendliche Waffengang die extremste Variante einer waghalsigen Wette auf die ungewisse Zukunft dar. Nur wenn der Krieg wie erhofft gewonnen wird, was sich selbst einer vagen Vorstellung von Kontrolle entzieht, lassen sich die Anstrengungen zu seiner Vorbereitung und Herbeiführung skrupellos gegenüber den Opfern rechtfertigen. Dieses perfide Kalkül setzt allerdings voraus, hinterher zu den Überlebenden, womöglich gar zu den Profiteuren zu zählen, was man am allerwenigsten vorab wissen kann – zumal beim Zündeln am Dritten Weltkrieg, der in eine alles verschlingende atomare Vernichtung zu münden droht.

Fußnoten:
[1] https://www.imi-online.de/2024/02/27/kanonen-statt-butter/

[2] https://www.telepolis.de/features/Zeitenwende-foederal-Wie-die-Bundeslaender-auf-Kriegswirtschaft-umschalten-10793020.html

[3] https://www.jungewelt.de/artikel/510029.gewerkschaften-millionen-sind-st%C3%A4rker-als-million%C3%A4re.html

[4] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/rheinmetall-werk-artilleriemunition-100.html

[5] https://www.jungewelt.de/artikel/507174.rheinmetall-expansion-zur-see.html

[6] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Rheinmetall-soll-mehr-als-600-Skyranger-an-Bundeswehr-liefern-article26087099.html

[7] https://defence-network.com/ukraine-entscheidet-fuer-lynx-von-rheinmetall/

[8] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/ruestung-aufschwung-100.html

7. November 2025

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 184 vom 29. November 2025

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