Die Bundesregierung bereitet die Reaktivierung der Wehrerfassung sowie die zukünftige Wiedereinführung der Wehrpflicht in Friedenszeiten vor und plant den Bau von 40.000 neuen Unterkünften in Bundeswehrkasernen für Wehrdienstleistende.

(Eigener Bericht) – Trotz öffentlich ausgetragener Unstimmigkeiten arbeitet die Bundesregierung weiterhin an einem Gesetz, mit dem sie die Wehrerfassung reaktiviert, Anreize für den Wehrdienst schafft und eine Reaktivierung der Wehrpflicht in Friedenszeiten vorbereitet. Das Gesetz sieht vor, dass ab 2026 alle 18-Jährigen verpflichtet werden, der Bundeswehr Auskunft unter anderem über ihre körperliche Verfassung und ihre Bereitschaft zum Wehrdienst zu machen. Auf die Datenbank, in der diese Daten gespeichert werden, will die Bundesregierung im Kriegsfall auch der Agentur für Arbeit Zugriff gewähren. Die Regierungskoalition hatte vergangene Woche öffentlich Uneinigkeiten bezüglich des Entwurfes ausgetragen: Während Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Gesetzesentwurf zunächst auf Freiwilligkeit setzt, hatte die CDU/CSU-Fraktion für eine teilweise Verpflichtung eines Jahrgangs per Losverfahren plädiert. Einig sind sich die Regierungsparteien allerdings, dass es, sollten sich nicht ausreichend Freiwillige melden, zu einer Reaktivierung der Wehrpflicht kommen wird. Um künftig mehr Rekruten ausbilden zu können, plant Berlin den Bau von mehreren Zehntausend neuen Schlafplätzen in deutschen Kasernen.

Erster Schritt: Wehrerfassung

Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Wehrdienstes, über den der Bundestag gestern in erster Lesung beraten hat, enthält drei Kernpunkte: Erstens die Wiedereinsetzung der Wehrerfassung; zweitens neue Anreize für den Dienst an der Waffe; und drittens die prinzipielle Ermächtigung der Bundesregierung, die Wehrpflicht auch in Friedenszeiten zu reaktivieren. Die Bundeswehr brauche deutlich mehr Soldaten und Reservisten, „um in Krise und Krieg langfristig bestehen“ zu können, lautet die Einschätzung der Bundesregierung.[1] Im Rahmen der Wehrerfassung sollen ab 2026 alle 18-jährigen Männer zur Beantwortung eines Fragebogens verpflichtet werden. Damit will das Bundesministerium der Verteidigung eine umfassende Datenbank darüber aufbauen, wer wehrpflichtig und wer von den Wehrpflichtigen tauglich, nützlich und motiviert ist. Die erhobenen Daten über Interessen, Abschlüsse, Gesundheit und Bereitschaft zum Wehrdienst der jungen Männer will die Bundesregierung künftig nicht nur der Bundeswehr, sondern im Kriegsfall auch der Agentur für Arbeit zur Verfügung stellen.[2] Ab 2027 will die Bundesregierung mit obligatorischen Musterungen starten. Eine Wehrpflicht sieht der Gesetzesentwurf „zunächst“ noch nicht vor, beinhaltet aber Regelungen, die der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundestages eine Reaktivierung der Wehrpflicht in Friedenszeiten ermöglichen.[3]

Wehrpflicht, aber wie?

Der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs im Bundestag war ein öffentlicher Streit unter den Koalitionspartnern SPD und CDU/CSU vorausgegangen. Die Regierungsparteien hatten zunächst die Lesung im Bundestag um eine Woche aufgeschoben und den Entwurf nachverhandelt, um dann eine bereits anberaumte Pressekonferenz kurzfristig abzusagen – mit der Begründung, es bestehe keine Einigkeit. Der für den Gesetzesentwurf verantwortliche Minister Pistorius setzt „zunächst“ auf Freiwilligkeit und ebnet zwar den Weg zur Wiederaktivierung der Wehrpflicht, formuliert aber darüber hinaus keine konkreten Pläne für den Fall, dass die Freiwilligen nicht ausreichen, um die bestehenden Ausbildungskapazitäten der Bundeswehr auszulasten. In diesem Fall stünde die Bundesregierung vor dem Problem, dass sie vor dem Grundgesetz und der Bevölkerung rechtfertigen müsste, dass die Wehrpflicht nur einen Teil eines Jahrgangs trifft. Denn um einen gesamten Jahrgang, immerhin rund 300.000 potentielle Wehrpflichtige, einzuberufen, reichen die Kapazitäten der Bundeswehr bei Unterbringung und Ausbildung zur Zeit nicht aus. Die CDU/CSU fordert dagegen klare Parameter, wieviele Freiwillige angestrebt werden, und ein Losverfahren, um einen Teil eines Jahrgangs zum Wehrdienst verpflichten zu können, sollten sich nicht genug Freiwillige melden. Pistorius betont, er habe erhebliche Bedenken bezüglich des Losverfahrens, werde es aber nicht boykottieren. Unterhändler von SPD und Union hatten sich bereits auf das Losverfahren geeinigt.

Wehrpflicht? Nur aufgeschoben.

Pistorius Festhalten an der Freiwilligkeit und seine öffentlich bekundete Abneigung gegen ein Losverfahren ist allerdings nicht zu verwechseln mit einer Ablehnung der Wehrpflicht in Friedenszeiten. Pistorius hatte offenbar gehofft, in einem ersten Schritt die Wehrerfassung zu reaktivieren und die Wiedereinführung der Wehrpflicht lediglich vorzubereiten, die damit verbundenen Grundsatzdebatten um die Frage der Wehrgerechtigkeit jedoch auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben – nämlich den Zeitpunkt, an dem die Zahl der Freiwilligen die Kapazitäten der Bundeswehr nicht mehr auslastet. Dass es dann zu einer Wehrpflicht kommt, darin sind sich die Regierungsparteien einig. „Klar ist bei allem auch: Reicht Freiwilligkeit nicht, wird es keinen Weg vorbei geben an einer verpflichtenden Heranziehung“, erklärte Pistorius gestern im Bundestag.[4] Laut einer aktuellen Umfrage lehnen 40 Prozent der 18 -bis 39-Jährigen die Wehrpflicht ab; acht Prozent sind unentschlossen.[5] Zur Zeit melden sich nach Angaben der Bundeswehr jährlich 15.000 zum Freiwilligen Wehrdienst; das entspricht gerade einmal fünf Prozent der Wehrpflichtigen eines Jahrgangs. Pistorius hofft diese Zahl mit dem Neuen Wehrdienst innerhalb der nächsten sechs Jahre um mehr als 100 Prozent auf 40.000 zu steigern.

Flexiblere Verfahren

Gleichzeitig treibt der Verteidigungsminister den Ausbau der Ausbildungskapazitäten der Bundeswehr voran. Dazu hat er Anfang Oktober angekündigt, bis 2031 in Bundeswehrkasernen 40.000 neue Unterbringungsplätze für Rekruten bauen zu lassen – explizit, um Kapazitäten für den Neuen Wehrdienst zu schaffen. Dazu sollen an voraussichtlich 120 Bundeswehrstandorten 270 neue Unterkunftsgebäude entstehen, und zwar in einem standardisierten Bauverfahren, dessen bürokratische und rechtliche Umsetzbarkeit der Minister bereits seit dem vergangenen Jahr vorbereitet.[6] Dazu waren unter anderem Änderungen im Vergaberecht für Bauaufträge nötig. Um möglichst schnell möglichst viele neue Kasernen zu bauen, will das BMVg ein bereits für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeltes standardisiertes Bausystem (G-CAP) nun auch im Inland anwenden.

„Kasernen wie am Fließband“

Das Bundesministerium für Verteidigung und das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr hatten bereits vergangene Woche rund 130 Vertreterinnen und Vertreter der Industrie nach Berlin eingeladen, um über die Umsetzung des „Kasernenbau[s] vom Fließband“ zu beraten. Bereits im „ersten Halbjahr 2027“ sollen die ersten Gebäude fertig sein. In einem zweiten Schritt plant Berlin den Neubau „von ganzen Liegenschaften“.[7] Die Konversion von Bundeswehrliegenschaften zu zivilen Gebäuden sei „gestoppt“, berichtet der Verteidigungsminister. Mehr noch: Die Bundeswehr werde sogar Liegenschaften, die sich bereits im Konversionsprozess befinden, zurücknehmen.[8] Der Ausbau der Bundeswehrliegenschaften sei die „dritte große Säule … unseres großen Aufwuchsvorhabens“.[9] Die Maßnahmen scheinen bereits jetzt Wirkung zu zeigen: Berlin hat dieses Jahr im Vergleich zum Vorjahr nach Angaben des Verteidigungsministeriums bereits über 20 Prozent mehr in Baumaßnahmen an Kasernen gesteckt.[10]

 

[1] Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Wehrdienstes (Wehrdienst-Modernisierungsgesetz – WDModG). Deutscher Bundestag, Drucksache 21/1853. Berlin, 29.09.2025.

[2] S. dazu Hamburg im Krieg.

[3] Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Wehrdienstes (Wehrdienst-Modernisierungsgesetz – WDModG). Deutscher Bundestag, Drucksache 21/1853. Berlin, 29.09.2025.

[4] Neuer Wehrdienst: Minister Pistorius spricht im Bundestag. bmvg.de 16.10.2025.

[5] Umfrage zur Wehrpflicht: Zwei Drittel der Deutschen für Wiedereinführung. ipsos.com 11.07.2025.

[6] S. dazu Kriegstüchtige Kasernen.

[7] Schneller bauen für eine stärkere Bundeswehr. bmvg.de 14.10.2025.

[8], [9] Kasernenbau wie am Fließband. bmvg.de 07.10.2025.

[10] 40.000 Unterbringungsplätze für Rekrutinnen und Rekruten bis 2031 geplant. bmvg.de 07.10.2025.

 

Der Originalartikel kann hier besucht werden