Die Bundesregierung hat ein neues Wehrdienstgesetz auf den Weg gebracht. Es reiht sich ein in die immer weiter voranschreitende Remilitarisierung Deutschlands und eine nicht nur rhetorische und materielle, sondern auch personelle Vorbereitung auf einen neuen Krieg in Europa. Das Gesetz kurz zusammengefasst: Die Freiwilligkeit hört dort auf, wo die Pflicht beginnt. 

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Alles dreht sich um militärische Aufrüstung als Allheilmittel, und es werden Zeitfenster innerhalb der nächsten fünf Jahre genannt, in denen Deutschland wieder kriegstüchtig sein muss, um einem hypothetischen russischen Angriff standzuhalten. In der Zwischenzeit, in der es laut eigenem Narrativ nicht verteidigungsfähig ist, sabotieren die deutsche und auch andere europäische Regierungen, einschließlich der EU-Kommission, Verhandlungen mit Russland über ein Ende des Krieges in der Ukraine, indem sie unmögliche Bedingungen und Vorschläge einbringen. Das ist keine zukunftsgerichtete Politik.

Die langfristige Sicherheit in Europa, die sowohl Russland als auch die Ukraine miteinschließt, ist zu wichtig, um ihre Grundlagen reaktiv und im Ausnahmezustand zu entwerfen. Dabei noch den Sozialstaat zu opfern und gesellschaftliche Spaltung voranzutreiben, macht die Katastrophe perfekt.

Investitionen in die marode Infrastruktur werden nur über einen Umweg in Form von Sondervermögen im Zusammenspiel mit militärischen Ausgaben, die wie von Geisterhand von der Schuldenbremse ausgenommen sind, ermöglicht. Der Sozialstaat, andererseits, ist laut Bundeskanzler Friedrich Merz nun nicht mehr finanzierbar. Die Wirtschaft soll durch die Rüstungsindustrie–den unnachhaltigsten, bzw. im wahrsten Sinne des Wortes tödlichsten, Wirtschaftszweig–angekurbelt werden. Und all das, um ein aus der Zeit gefallenes Militärbündnis, die NATO, am Leben erhalten.

Mit dem neuen Wehrdienstgesetz werden nun junge Menschen schrittweise in den Militärapparat gedrängt. Genau wie bei den vorhergegangenen Diskussionen über Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr und weitere Unsummen für NATO und Aufrüstung ist auch die Art und Weise, wie die öffentliche Debatte über eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht in Deutschland geführt wird, einseitig und tendenziös. Sie bedient sich einer medial geschürten Angststimmung und fungiert zusätzlich als Platzhalter für alle möglichen gesellschaftlichen Themen, von Generationenkonflikt bis Fachkräftemangel. Egal, worum es geht, alles läuft auf die Wiedererlangung der Kriegstüchtigkeit als höchstes Ziel hinaus.

„Bis dahin gilt Freiwilligkeit“: das neue Wehrdienstgesetz

Da nun hunderte Milliarden für Aufrüstung zur Verfügung stehen, ist es eine logische Konsequenz, dass sich auch die militärische Personalfrage stellt. In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung am 27. August 2025 ein neues Wehrdienstgesetz auf den Weg gebracht, das wie eine schleichende Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht anmutet: Zunächst werden Erfassungsbögen an alle 18-jährigen deutschen Staatsbürger:innen geschickt, deren Beantwortung für Männer verpflichtend und für Frauen freiwillig ist. Ab Juli 2027 wird dann mit der Wiedereinführung der Musterung die Infrastruktur für einen möglichen Pflichtdienst aufgebaut, die es seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 nicht mehr gibt.

Verteidigungsminister Boris Pistorius und andere heben zwar weiterhin die Freiwilligkeit hervor, aber es ist mehr als deutlich: Sie gilt nur solange, wie die selbstauferlegten Verpflichtungen gegenüber der NATO eingehalten werden können. So viel zur Selbstbestimmung.

Weiter zum Thema Selbstbestimmung: Diejenigen, die es betrifft, sehen die Wehrpflicht am kritischsten. Laut einer Statista-Umfrage von Juni 2025 sind 61% der jungen Menschen zwischen 18 und 29 gegen die Wehrpflicht, wohingegen zwei Drittel (66%) der Generation ab 60 dafür sind. Dass eine im Durchschnitt mehrheitliche Zustimmung für die Wehrpflicht dann als Argument in der Debatte genutzt wird, wirkt spaltend und auch unfair. Auch, da die öffentliche Meinung bei anderen Themen–zum Beispiel bei der bedingungslosen Unterstützung für Apartheid-Israel–wenig Beachtung findet. Die Tatsache, dass die Diskussion hauptsächlich von älteren Semestern geführt wird, trägt ebenfalls nicht zur Generationengerechtigkeit bei.

Im Folgenden soll es nicht so sehr um die vielen guten Gründe gehen, die Wehrpflicht als Gesellschaft abzulehnen, sondern um den überbordenden Militarismus, der der aktuellen Debatte zugrunde liegt und somit jegliche ernsthafte Auseinandersetzung verunmöglicht.

Das öffentliche Narrativ duldet keinen Widerspruch

Spätestens seit Februar 2022 und der vom damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende kann eine informierte und repräsentative öffentliche Debatte über die äußere Sicherheit Deutschlands und der EU nicht mehr stattfinden. Es wird weder Meinungsvielfalt noch eine sachkundige Einordnung der politisch-historischen Umstände des russischen Angriffs auf die Ukraine zugelassen. Stimmen, die den militaristischen Kurs ablehnen, werden aus der Diskussion ausgeschlossen. Vor allem werden nicht nur die vom allgemeinen Narrativ abweichenden Meinungen und Analysen verunglimpft, sondern auch die Menschen, die sie vertreten. Die Vorwürfe reichen von mangelndem Demokratieverständnis über Selbstsucht bis Feindpropaganda.

Die Tatsache, dass Russland in der modernen Geschichte niemals Deutschland angegriffen hat–umgekehrt allerdings schon, wie wir alle wissen–spielt bei der Frage um Sicherheitsgarantien überhaupt keine Rolle. Es wird als gegeben hingenommen, dass ein Angriff auf EU- bzw. NATO-Gebiet irgendwann demnächst bevorsteht, egal wie schwer Russland sich schon militärisch in der Ukraine tut. Und das Schlimme ist, wenn wir weiterhin diese Propaganda fahren, dann könnte es bei der heutigen Weltlage tatsächlich passieren.

Mediale Meinungsmache: Die Weichen stehen auf Krieg

Die etablierten Medien spielen dabei eine äußerst unwürdige Rolle. Pünktlich zu Ursula von der Leyens 800-Milliarden-Plan zur Wiederaufrüstung Europas im März 2025 schürten sie die nötige Angst, um die wahnwitzigen Summen zu rechtfertigen. Allen voran natürlich die BILD-Zeitung, zum Beispiel mit dem apokalyptischen Titel „Das könnte unser letzter Sommer im Frieden sein“. So die Einschätzung eines Militärhistorikers. Leider sorgt der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht für den nötigen Ausgleich. Unterstützend zur aktuellen Debatte um das Wehrdienstgesetz wurde dort im August 2025 ein weiterer Militärexperte zu Rate gezogen. Dieser spricht nun von 100% Wahrscheinlichkeit eines russischen Angriffs auf NATO-Gebiet. Das ist nicht nur alarmistisch, es ist unseriös. Sachverständige geben Prognosen ab; in die Zukunft sehen können sie nicht.

So ist es einerseits nicht verwunderlich, dass laut ARD-DeutschlandTrend vom Dezember 2024 die Angst, Russland könne weitere Länder Europas angreifen, mit 65% die größte Sorge der Menschen in Deutschland war. Andererseits ist es wichtig, diese Angstspirale nicht weiter zu befeuern und zu bedenken, dass solche Umfragen und ihre Fragestellungen auch zur Meinungsmache beitragen können. Zum Beispiel führt die R+V Versicherung die Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“ durch, die nicht unbedingt wie der DeutschlandTrend von Millionen Zuschauer:innen der Tagesschau beachtet wird. Dort waren 2024 steigende Lebenshaltungskosten mit 57% der größte Sorgenfaktor. Die Furcht vor Krieg mit deutscher Beteiligung lag mit 41% auf Platz 16 (von 24).

Das Niederträchtigste ist Kriegspropaganda im Kinderprogramm. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die unsäglichen Taurus-Cartoons in der ZDF-Sendung logo! im Frühjahr 2024, wo süße, kleine Marschflugkörper so gern nach Russland fliegen wollten, aber Olaf Scholz sie nicht ließ. Auch zum Thema Wehrpflicht ist die ZDF-Jugendsendung wieder unangenehm aufgefallen. In einer Pro-Kontra-Debatte mit Jugendlichen stellte der Moderator manipulative Fragen wie, „dich selbst würdest du verteidigen, aber dein Land nicht?“ Das ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, den alle in Deutschland Ansässigen mit der GEZ-Gebühr finanzieren! Kinder ideologisch auf Krieg vorzubereiten ist eine gesellschaftliche Bankrotterklärung.

Raus aus dem Kriegsmodus

Lautstark einen Krieg herbeireden und sich gleichzeitig als wehrlos darstellen, um soviel Geld wie möglich für Aufrüstung flüssig zu machen und die Menschen zu den Waffen zu rufen, ist sicherlich eine der unsinnigsten Strategien für eine selbstbestimmte Verteidigungspolitik und die nachhaltige Sicherheit Deutschlands und Europas. Des weiteren werden fundamental wichtige Themen in fast allen Bereichen–sei es Soziales, Wirtschaft, Europa, oder Klimaschutz–fast nur noch über ihren Beitrag zur Kriegstüchtigkeit bewertet.

Die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland 2011 ist eine große Errungenschaft des neuen Jahrtausends, die wir als Gesellschaft nicht wieder hergeben dürfen. Darüber hinaus muss die öffentliche Debatte grundsätzlich aus dem Kriegsmodus herausgeholt werden, indem wir uns dem allgegenwärtigen Militarismus verweigern.

Der Originalartikel kann hier besucht werden