Der Oberste Gerichtshof sieht mit 4:1 Stimmen Putschpläne des Ex-Präsidenten als erwiesen an.
Die politische Karriere des früheren Präsidenten (2019-2022) dürfte damit beendet sein: Die erste Kammer des Obersten Gerichtshofs STF hat ihn und sieben Mitangeklagte für schuldig befunden, einen Staatsstreich versucht zu haben. Das Strafmaß von 27 Jahren und drei Monaten liegt unter dem höchstmöglichen Strafmaß, ist aber immer noch sehr deutlich. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.
Die fünf RichterInnen fällten ihr Urteil deutlich, aber nicht einstimmig. Mit 4:1 stimmten die RichterInnen für eine Verurteilung der Angeklagten. Lediglich Richter Luíz Fux sah formale Mängel und bezweifelte die Zuständigkeit des STF.
Nachdem bereits Alexandre de Moraes und Flávio Dino für eine Verurteilung gestimmt hatten, entschied das Votum von Cármen Lúcia am vergangenen Donnerstag die Verhandlung. Das abschließende Votum von Cristiano Zanin hatte dann nur noch statistischen Wert.
Lúcia kam in ihrer Begründung zu dem Schluss, dass die Generalstaatsanwaltschaft „eindeutige Beweise” für eine organisierte kriminelle Vereinigung vorgelegt habe, die mittels einer „digitalen Miliz” agiert haben soll, um die Justiz, insbesondere die Wahlgerichtsbarkeit und die elektronischen Wahlurnen, anzugreifen. „Die in der Anzeige und der Anklageschrift beschriebenen Tatsachen wurden in ihrem Wesentlichen nicht bestritten”, erklärte sie gleich zu Beginn ihrer Stellungnahme.
Richter sehen Bildung einer kriminellen Vereinigung klar belegt
Cármen Lúcia schrieb Bolsonaro die Führung der kriminellen Vereinigung zu und erklärte, dass er nicht in die Handlungen hineingezogen worden sei, sondern der „Auslöser” des Aufstands gewesen sei. Sie wies außerdem darauf hin, dass es zahlreiche Belege für Pläne zum institutionellen Bruch und zur gewaltsamen Machterhaltung gebe. Für die Ministerin können die Verbrechen der gewaltsamen Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats und des Staatsstreichs nicht – wie Luiz Fux argumentierte – zusammen betrachtet werden, sondern müssen getrennt analysiert werden. Das heißt: Die Angeklagten müssen ihrer Meinung nach für beide Verbrechen verurteilt werden.
Bolsonaro und die sieben Mitangeklagten wurden in fünf Anklagepunkten für schuldig befunden, darunter schwerwiegende Dinge wie die Bildung einer bewaffneten kriminellen Vereinigung, der Versuch, den Rechtsstaat gewaltsam beseitigen zu wollen und der Versuch einen Staatsstreich herbeizuführen. Sie wurden auch wegen weniger schwerer Delikte wie Gewalt und schwerer Bedrohung gegen das Vermögen der Union sowie der Beschädigung denkmalgeschützten Eigentums verurteilt.
Sieben weitere Kollaborateure verurteilt
Neben Bolsonaro wurden auch sieben weitere zum Teil hochrangige Politiker und Ex-Regierungsmitglieder verurteilt: Alexandre Ramagem, Abgeordneter der PL und Ex-Direktor des Geheimdiensts, Almir Garnier, Admiral und Marinekommandeur während der Amtszeit Bolsonaros, Anderson Torres, Justizminister unter Bolsonaro, Augusto Heleno, Ex-General und Ex-Minister Bolsonaros. Paulo Sérgio Nogueira, Ex-Verteidigungsminister und Walter Souza Braga Netto, Ex-General und -Verteidigungsminister sowie Bolsonaros Kandidat für das Amt des Vize-Präsidenten 2022. Siebter im Bunde ist Mauro Cid, ehemaliger Adjutant von Jair Bolsonaro, der als Kronzeuge gegen Bolsonaro ausgesagt hatte.
Was diese Herren geplant hatten, ging am 8. Januar 2023 nur teilweise auf, als Tausende zusammengekarrte Demonstranten und Randalierer den Kongress, das Gebäude des STF und den Präsidentenpalast stürmten und alles kurz und klein schlugen – zu Beginn fast ohne staatliche Gegenwehr. Jair Bolsonaro, der die Präsidentschaftswahl im Oktober 2022 gegen Luiz Inácio Lula da Silva verloren hatte, hatte schon im Vorfeld der Wahl Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ergebnisses geäussert, sollte er verlieren. Man muss dazu wissen: In Brasilien wird an elektronischen Wahlurnen gewählt, Briefwahl – wie in den USA oder hierzulande – gibt es nicht. Die Wahlurnen gelten als sicher und nicht manipulierbar.
Am 30. Dezember 2022, zwei Tage vor der Amtsübergabe an seinen Nachfolger hatte Bolsonaro das Land in Richtung Miami, USA, verlassen, wo er sich die nächsten drei Monate aufhalten sollte. Diese räumliche Distanz führte die Verteidigung Bolsonaros immer wieder zu Felde. Jedoch hatten die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft ergeben, dass es bereits Monate vor der Wahl geheime Treffen gegeben haben soll, in denen der Umsturz geplant worden war.
Erstmals Ex-Präsident wegen Putschversuchs verurteilt
Der Prozess gegen Bolsonaro ist in Brasilien ein bemerkenswerter Vorgang. Nicht nur, dass sich erstmals in der Geschichte des Landes ein nach 1988 gewählter Ex-Präsident wegen eines Putschversuchs vor Gericht zu verantworten hatte. Auch dass mehrere hochrangige Ex-Militärs wie Braga Netto oder Heleno vor einem zivilen Gericht verantworten mussten, ist neu.
Militärputschs hatte es in Brasilien in der Geschichte mehrfach gegeben, das aber dunkelste Kapitel war die mehr als 20 Jahre dauernde Militärdiktatur, die am 31. März 1964 mit einem USA-unterstützten Putsch gegen den damaligen Präsidenten João Goulart begann und sich erst 1985 mit ersten freieren Wahlen wieder lockerte und schließlich mit einer neuen Verfassung 1988 besiegelt wurde. Während dieser Zeit ging das Militär sehr repressiv und brutal gegen die Bevölkerung und Regimekritiker vor. Folter und Tötungen von Oppositionellen gehörten zur Tagesordnung. Welche Verbrechen das Militär begangen hatte, wurde jedoch nie vollständig aufgearbeitet. Um den fragilen inneren Frieden nach Ende der Diktatur nicht zu gefährden, wurde eine Amnestie für Täter beider Seiten verfügt.
Bolsonaro, der lange Zeit in der brasilianischen Politik als zwar lauter, aber weitestgehend wirkungsloser Hinterbänkler agiert hatte, hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Diktatur für eine richtige Sache und Folter für ein probates Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele hielt. Im Impeachmentprozess gegen Ex-Präsidentin Dilma Rousseff hatte er seine Stimme dem früheren General Brilhante Ustra gewidmet, der als einer der brutalsten Folterknechte des Militärregimes gegolten hatte. Besonders perfide dabei: Dilma Rousseff war Anfang der 1970er-Jahre als Oppositionelle ebenfalls ein Opfer der Folter der Militärs geworden.
Wie wirkt das Urteil auf die Innenpolitik?
Der Prozess gegen Bolsonaro und die sieben Komplizen wurde in Brasilien mit Kundgebungen und Demonstrationen beider politischer Lager begleitet. Noch nicht abzusehen ist, wie er sich auf die Landespolitik und die im kommenden Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen auswirken wird. Klar ist bislang nur: Bolsonaro selbst wird wohl nicht zur Wahl stehen. Aber mit Sohn Eduardo oder Ehefrau Michele werden bereits zwei Personen aus dem engsten Familienkreis gehandelt. Allerdings hatte Eduardo, der inzwischen nach Texas flüchtete, weil er sich als politisch verfolgt betrachtet, in seiner Heimat durchaus Kredit verspielt. Um Lula zu schwächen hatte er immer wieder versucht, US-amerikanische Politiker zur Verhängung von Sanktionen gegen Brasilien zu bewegen. Auch als sich Donald Trump in den Prozess einschaltete und ein Ende der auch seiner Sicht „Hexenjagd“ gegen Kumpel Bolsonaro forderte, hatte Eduardo Bolsonaro die 50 % Strafzölle, mit denen Trump die Regierung in Brasilia erpresse wollte, ausdrücklich öffentlich begrüßt.
Als Unterstützer Bolsonaros gilt der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas (Republikaner). Nach dem Urteil erklärte er, dass das Ergebnis des Urteils „leider bereits bekannt war“. „Bolsonaro und die anderen sind Opfer eines ungerechten Urteils mit unverhältnismäßigen Strafen. Man kann zwar keine Straffreiheit dulden, aber man darf auch nicht den Grundsatz der Unschuldsvermutung missachten und ohne Beweise verurteilen”, zitiert ihn das Nachrichtenportal UOL.
Eine Vorentscheidung in Richtung Präsidentschaftswahl 2026, wie sie einige Kommentatoren durchaus auszumachen scheinen, ist unwahrscheinlich. Die Tagespolitik, insbesondere in Brasilien, ist ein äußerst schnelllebiges Geschäft und bis zur Wahl ist noch mehr als ein Jahr lang Zeit. Belastbare Trends, wer am Ende das Rennen machen wird, kann und wird es erst geben, wenn die endgültigen Kandidaten feststehen, in knapp einem Jahr.
Kein Trend für Präsidentschaftswahl bislang absehbar
Aber zweifellos hat der Prozess und insbesondere die Einmischung Trumps von außen die Position von Amtsinhaber Lula gestärkt – letzteres war sicher so nicht beabsichtigt. Seit Trump die hohen Strafzölle verhängt hat, hat er unfreiwillig die Brasilianer ein Stück weit geeint. Politiker beider politischen Lager lehnen eine Einmischung der USA in innenpolitische Angelegenheiten kategorisch ab und pochen auf die eigene Souveränität. Mit seinen Strafzöllen gab Trump Lula einen Trumpf in die Hand, die der erfahrene Lula vortrefflich zu spielen weiß.
Jair Bolsonaro wurde zu 27 Jahren und drei Monaten Haft in einem geschlossenen Gefängnis sowie zu 124 Tagessätzen in Höhe von zwei Mindestlöhnen pro Tag verurteilt. Das Urteil fiel mit vier zu einer Stimme. Die Haftstrafe soll erst nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel angetreten werden. Nach Veröffentlichung des Urteils, d. h. der offiziellen Entscheidung des Gerichts, haben die Verteidiger fünf Tage Zeit, um Berufung einzulegen. Inwieweit Bolsonaro die volle Strafe tatsächlich im Gefängnis absitzen muss, dürfte abzuwarten bleiben. Bereits jetzt stand er wegen akuter Fluchtgefahr unter Hausarrest. Ein Blick in die Vergangenheit und auf andere große Prozesse wie die Korruptionsprozesse „Lava Jato“ oder „Mensalão“ zeigen, dass zwar nicht selten lange Haftstrafen verhängt werden, jedoch die Verurteilten in den seltensten Fällen diese voll absitzen mussten. Meist erfolgte nach einigen Jahren eine Lockerung oder Umwandlung in Hausarrest. Für Bolsonaro dürfte aber auch das zu spät kommen. Er ist inzwischen 70 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Er laboriert noch immer an den Folgen des Messerattentats, das im Vorfeld der Wahl 2018 auf ihn verübt wurde. Von daher ist davon auszugehen, dass zwar für ihn die politische Karriere beendet sein dürfte. Der Name Bolsonaro dürfte aber nicht allzu schnell aus der politischen Landschaft Brasiliens verschwinden.
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