Am 10. April 2025 versammelten sich mehr als 200 Menschen auf dem Place du Luxembourg in Brüssel, um gegen die Folgen des „EU-Pakts zu Migration und Asyl“ zu protestieren, der vor genau einem Jahr vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde. Initiiert wurde diese Demonstration vom transnationalen Komitee „Abolish Frontex“ mit Unterstützung durch und Teilnahme von zahlreichen anderen Organisationen, darunter Action et Recherche Culturelles (ARC), Brussels Platform Armoede, CIRÉ, CNAPD, CNCD/11.11.11, Eritrea Democratica, Front de Mères, Getting The Voice Out, Présence et Action Culturelles (PAC), Réseau ADES, Médecins du Monde Belgique und Mediterranea Bruxelles.  Sie war Teil einer weltweiten Mobilisierung, um die gefährlichsten und extrem rechtsverletzenden Aspekte der EU-Migrationspolitik und ihre Unvereinbarkeit mit den internationalen Solidaritätsgrundsätzen zu anzuprangern.

Die Teilnehmer:Innen sprachen sich entschieden gegen die aus dem EU-Pakt zu Asyl und Migration resultierenden Gesetze aus, da sie «Freiheiten einschränken und zu weiteren Todesfällen an den Grenzen führen würden». Sie verurteilten ebenfalls die Vereinbarungen, die von der EU und, in einigen Fällen einseitig von Mitgliedstaaten wie zum Beispiel Italien, mit Drittländern wie Tunesien, Libyen und Albanien abgeschlossen wurden. Diese Vereinbarungen wurden, wie aufgedeckt werden konnte, mit Methoden und Zielvereinbarungen getroffen, die als völlig unvereinbar mit den Menschenrechten anzusehen sind und die im Widerspruch zu genau den Werten stehen, die die EU behauptet sowohl innerhalb ihrer Mitgliedstaaten als auch auf internationaler Ebene zu verteidigen.

EIN PAKT, DER TÖTET, BEVOR ER ÜBERHAUPT IN KRAFT TRITT

Vertreter:Innen der teilnehmenden Organisationen und Aktivistengruppen – darunter auch Überlebende von Folter und Menschenhandel – legten in verschiedensten Sprachen Zeugnis ab vom Leid der Menschen auf der Durchreise durch Internierungslager in Libyen, Niger und im Mittelmeer, der tödlichsten Migrationsroute der Welt, und dabei auf die Komplizenschaft mehrerer europäischer Regierungen hinzuweisen.

Auch zwei Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Özlem Alev Demirel (GUE/NGL, DIE LINKE) und Saskia Bricmont (Grüne/EFA), äußerten klare Botschaften während der Demonstration. Demirel betonte, dass der Kampf gegen den Pakt weit über das Thema Asyl hinausgehe: «Es geht um unsere Rechte, um die Menschenrechte und alle historischen Errungenschaften, die wir als Menschen erreicht haben», und verurteilte entschieden die Abschiebungspläne als Verletzung dieser Rechte.

Saskia Bricmont kritisierte scharf die Partnerschaften der EU mit Ländern, die fundamentale Rechte nicht achten, und forderte einen radikalen Wandel in der europäischen Politik: «Das wahre Gesicht Europas ist dasjenige, das die Rechte, die Demokratie, die Humanität und die Solidarität verkörpert. Unsere Regierungen, die Europäische Kommission und die Mehrheit im Europäischen Parlament haben sich dafür entschieden, das Recht auf Asyl mit Füßen zu treten.“ Sie verurteilte zudem die hinter den aktuellen Abkommen stehende politische Verantwortung: «Auch wenn der Migrations- und Asylpakt noch nicht in Kraft ist, haben sie beschlossen, noch weiterzugehen, indem sie für Rückführungen, einschließlich Zwangsrückführungen, neue Regeln erlassen und umstrittene Partnerschaften mit Drittstaaten fördern. Es ist zum Beispiel inakzeptabel, dass das Regime von Giorgia Meloni in Italien mit dem libyschen Regime kooperiert, was die Rückführung einer Person ermöglicht, gegen die ein internationaler Haftbefehl vorliegt, während zur gleichen Zeit illegale Überwachungsoperationen gegen NGOs und Migranten/Innen auf italienischem Boden durchgeführt werden.“

Gianmarco Riolo, Vertreter von Mediterranea Bruxelles, dem belgischen Ableger der zivilgesellschaftlichen Organisation, welche Überwachungs- und Rettungsaktionen im Mittelmeer unternimmt, erklärte: „Dieser Pakt tötet Menschen, aber auch unsere Demokratien, indem er die Idee der Festung Europa verfestigt, eine von uns abzulehnende alte Vorstellung, die unter keinen Umständen die europäische Solidarität untergraben darf. Wir lehnen entschieden die Versuche ab, Albanien unter verschiedensten Vorwänden Internierungslager aufzudrängen; ungeachtet der Bemühungen der italienischen Regierung, das Scheitern dieser Politik zu vertuschen.“

Mobilisierungen gegen Verwaltungshaft und Abschiebungen nach Albanien

An dem Brüsseler Protest nahmen auch mehrere Vertreter:Innen der Kampagne „Who do you lock up?“  („Qui m’enferme ?„) teil, die am vergangenen Samstag, dem 5. April, im « House of Compassion » („Haus des Mitgefühls“) in Brüssel gestartet wurde, um gegen die Verwaltungshaft von Menschen ohne Papiere zu sensibilisieren. Dieser jüngste Aufruf baut auf der langjährigen Arbeit verschiedener antirassistischer Organisationen und Netzwerke in Belgien und darüber hinaus auf, insbesondere in den Verwaltungshaft- Internierungslagern. Ihr Hauptziel ist es, der jüngsten Gesetzeswelle entgegenzuwirken, die darauf abzielt, ein einheitliches Rückführungssystem auf EU-Ebene auf der Grundlage eines neuen Rechtsrahmens zu erweitern.  Dieser würde es einem Mitgliedstaat dann ermöglichen, eine von einem anderen Mitgliedstaat erlassene Rückkehrentscheidung anzuerkennen und direkt zu vollstrecken. Im März 2025 kündigte die Europäische Kommission einen Gesetzesvorschlag zur Beschleunigung von Zwangsrückführungen an und ebnete damit den Weg für ein neo-koloniales und brutales Abschieberegime, das durch die aktive Zusammenarbeit mit Regierungen von Drittstaaten ermöglicht wurde. Das Abkommen zwischen Italien und Albanien könnte als gefährlicher erster Test dienen, den andere EU-Mitgliedstaaten Berichten zufolge kopieren wollen.

In diesem Zusammenhang werden die von der italienischen Regierung errichteten Haftanstalten in Gjadër und Shëngjin im Norden Albaniens als „Laboratorien“ für dieses künftige extraterritoriale System intensiv beobachtet. Auch wenn die ersten Gruppen von Migranten, die zwischen Oktober 2024 und Februar 2025 in die Zentren überstellt wurden, schnell nach Italien zurückgeführt wurden, nachdem Gerichtsurteile ihre Inhaftierung für ungültig erklärt hatten, beharrt die italienische Regierung darauf, dass diese Zentren einen Eckpfeiler ihrer Strategie zur Verlagerung der Grenzen darstellen. Am 29. März 2025, während ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union noch ausstand und in den kommenden Wochen erwartet wird, trat ein neues Gesetzesdekret (37/2025) in Kraft, um die Rückführungseinrichtungen „umzuwidmen“.  In seinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen C-758/24 | [Alace] und C-759/24 | [Canpelli] hat der Generalanwalt des EuGH, Richard de la Tour, am 10. April erklärt, dass «ein Mitgliedstaat sichere Herkunftsstaaten durch einen legislativen Akt benennen kann und zum Zwecke der gerichtlichen Überprüfung die Informationsquellen offenlegen muss, auf die sich diese Benennung stützt». Diese Aussage lässt faktisch alle Möglichkeiten offen in der anhaltenden Debatte zwischen Gerichten und Ländern bezogen auf die monatelangen Anstrengungen, die Listen der sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ willkürlich und schnell zu ändern, während gleichzeitig bilaterale Abkommen mit anderen Staaten wie Bangladesch und Pakistan verfolgt werden.

In einem zunehmend repressiven Klima in der Migrationspolitik hat die Demonstration am 10. April auf dem Place du Luxembourg in Brüssel eine starke gemeinsame Botschaft überbracht: Ein anderes Europa ist möglich; eines, das auf Menschenrechten und Solidarität basiert. Die organisierenden Gruppen und Bewegungen betonten, dass der Pakt bereits vor seinem erwarteten Inkrafttreten Mitte 2026 zu einer Zunahme von Inhaftierungen an den Grenzen führt, zu beschleunigten Abschiebungen, selbst der Schwächsten, und zu systematischen Behinderungen, was den Zugang zu internationalem Schutz angeht. Die gemeinsame Verpflichtung, weiterhin gegen ein System zu mobilisieren, das als unmenschlich und ineffektiv gilt, wurde bekräftigt, und eine starke Stimme erhoben, für eine europäische Migrationspolitik, die auf Würde, Willkommen und sozialer Gerechtigkeit basiert.

Fotos: Alessandro Ermini

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ursula Nollenberger vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!