Die USA sind möglicherweise damit einverstanden, um das Ende der „friedlichen“ Hegemonie Deutschlands über den Block zugunsten einer „multipolaren EU“ unter der Führung von Polen, Frankreich, Italien und anderen zu beschleunigen.
Der voraussichtliche nächste deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte am Sonntag nach Bekanntwerden der Ergebnisse der vorgezogenen Neuwahlen, er wolle seinem Land helfen, „die Unabhängigkeit“ von den USA zu erreichen. Eine dramatische Aussage, die noch vor einigen Monaten kaum ein deutsches Staatsoberhaupt hätte machen können, aber sie zeigt, wie grundlegend Trump 2.0 die internationalen Beziehungen verändert. Hier ist, was er bei der im Fernsehen übertragenen Gesprächsrunde über seine außenpolitischen Pläne sagte:
„Die Interventionen (Einmischungen) aus Washington waren nicht weniger dramatisch, drastisch und letztlich unverschämt als die Interventionen, die wir von Moskau gesehen haben. Wir stehen von zwei Seiten so massiv unter Druck, dass meine oberste Priorität darin besteht, in Europa Einigkeit zu schaffen.
Absolute Priorität hat für mich, Europa so zu stärken, dass wir Schritt für Schritt auch wirklich Unabhängigkeit erreichen von den USA.
Ich hätte nicht geglaubt, dass ich so etwas mal in einer Fernsehsendung sagen muss, aber nach Donald Trumps Äußerungen in der vergangenen Woche… ist klar, dass sich diese Regierung nicht viel um das Schicksal Europas schert.“
Dies ist aus mehreren Gründen leichter gesagt als getan. Zum einen sind in Deutschland rund 50.000 US-Soldaten in fünf Armeegarnisonen und zwei Luftwaffenstützpunkten stationiert. Außerdem haben die USA im vergangenen Jahr China als wichtigsten Handelspartner Deutschlands abgelöst. Darüber hinaus sind die USA im vergangenen Jahr auch Deutschlands größter LNG-Partner geworden, der im Dezember rund 9 % des gesamten deutschen Gasverbrauchs deckte. Diese drei Faktoren erschweren es Deutschland, „unabhängig“ von den USA zu werden, aber die USA könnten dies auch für ihre eigenen Zwecke nutzen.
Viele der in Deutschland stationierten Truppen können nach Asien verlegt werden, um China Einhalt zu gebieten, und/oder nach Polen als Teil des Machtspiels dieses Landes, um Deutschland als wichtigsten Verbündeten der USA in Europa zu ersetzen. Während zufällige Beobachter diese Ergebnisse als Siege für die militärische Dimension von Merz‘ Politik interpretieren könnten, wären sie mit enormen wirtschaftlichen Kosten für die Gemeinden vor Ort verbunden, die auf den US-Stützpunkten beschäftigt sind und deren Truppen sie beliefern. Diese Beobachtung leitet über zu den handelspolitischen Einflussmöglichkeiten der USA gegenüber Deutschland.
Während einige glauben, dass Trumps angedrohte Zölle strategische Öffnungen für China schaffen können, arbeitet die EU derzeit tatsächlich mit den USA zusammen, um zu verhindern, dass chinesische „Überkapazitäten“ bei Stahl und anderen Produkten den Block überschwemmen, da sie inmitten von Trumps neuen Zöllen verzweifelt nach neuen Märkten suchen. Mit anderen Worten: Trumps Zölle haben bisher einen Dominoeffekt ausgelöst, bei dem China versucht, neu mit Zöllen belegte Produkte in die EU zu dumpen, die ihrerseits erwägt, dieselben Produkte mit Zöllen zu belegen. Dies ist für die USA von Vorteil.
Die einzige realistische Möglichkeit für Deutschland, im Energiebereich von den USA „unabhängig“ zu werden, besteht darin, die EU beim Abbau der antirussischen Sanktionen zu führen und sich bereit zu erklären, wieder Gas über Pipelines zu importieren, aber die baltischen Staaten und Polen stehen dem im Weg. Und nicht nur das: Der Grund für die jüngste transatlantische Spaltung ist Trumps vergleichsweise weiche Haltung gegenüber Russland, nicht dass er härter vorgeht als sie. Es würde daher ihrer Logik widersprechen, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben.
Doch haben die letzten drei Jahre gezeigt, dass Deutschland bereit ist, objektive nationale Interessen zu opfern, um ideologische Ziele zu verfolgen, die sich im jüngsten Kontext darauf beziehen, Unzufriedenheit mit Trump über seine Politik gegenüber Russland (und in geringerem Maße deren innerstaatliche sozio-rechtliche Angelegenheiten) zu signalisieren. Entsprechend könnte es versuchen, Merz‘ Versprechen, die „Unabhängigkeit“ von den USA zu erreichen, mit zuvor erwähnten Mitteln einzulösen, auch wenn dies, wie bereits erläutert, kontraproduktiv sein kann.
Trotzdem könnten sich die USA darauf einlassen und dies als Vorwand für die Verlegung eines Großteils ihrer Truppen aus Deutschland nach Asien und/oder Polen nutzen, was parallel zu gezielten Sanktionen gegen Deutschland und der strafbewehrten Einschränkung des Flüssiggases erfolgen könnte, von dem etwa ein Zehntel der deutschen Gasindustrie abhängig ist. Die kombinierte Wirkung könnte wirtschaftlich so verheerend sein, dass es zu Neuwahlen kommt oder zumindest der Zerfall von Deutschlands „friedlicher“ Hegemonie über den Block zugunsten einer „multipolaren EU“ beschleunigt wird.
Gemeint ist damit die Diversifizierung der Macht von Deutschland hin zu einem Schulterschluss von Polen, Frankreich, Italien und anderen, die eine strategische bilaterale Bedeutung für die USA haben, wie z.B. die Kontrolle Mitteleuropas, die Verwaltung afrikanischer Angelegenheiten und die Überwachung des Mittelmeerraums. Es gäbe ein einige Kollateralschäden und überraschende Wendungen auf dem Weg, aber die Prozesse, die die USA als Reaktion auf Merz‘ Handeln in Gang setzen könnten, könnten die EU für immer zum Nachteil Deutschlands verändern.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Angela Becker vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!