Österreichs Schulsystem weist schon lange starke Muster der Bildungsbenachteiligung nach sozialer Herkunft auf. Welche Folgen die jüngsten Krisenentwicklungen (von Covid-Pandemie bis Teuerung) auf Österreichs Schüler:innenkompetenzen hatten und haben, lag bislang primär in Form von Schätzungen vor. Aktuelle Daten der PISA-Studie sowie der AK-Schulkostenstudie bestätigen nun: Die ungünstigeren Voraussetzungen für Schüler:innen aus ressourcenschwächeren Haushalten haben sich in den Krisen der vergangenen Jahre zusätzlich verstärkt, und zwar deutlich mehr als für Schüler:innen aus ressourcenstärkeren Familien – das erhöht die ohnehin hohen Bildungsungleichheiten im österreichischen Schulsystem noch weiter.

von Philipp Schnell und Oliver Gruber/A&W-Blog

PISA 2022: Zuwachs an sozialer Ungleichheit

Im Dezember 2023 wurden die Ergebnisse der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) vorgelegt. Darin werden die Kompetenzen 15- bis 16-jähriger Schüler:innen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften erhoben. Aufgrund der regelmäßigen Wiederholung (zuletzt 2018) erlaubt PISA so auch das Beobachten von Entwicklungen der Schüler:innenleistungen im Zeitverlauf – und damit auch erstmals den Vergleich vor und nach der Corona-Pandemie in Österreich.

Insgesamt zeigen die neuen PISA-Ergebnisse (erhoben im Jahr 2022), dass über alle OECD-Staaten hinweg im Mittel ein Leistungsrückgang im Vergleich zu 2018 feststellbar ist. Während in Österreich das Kompetenzniveau der rund 9.250 Schüler:innen in Lesen (-4 Punkte) und Naturwissenschaften (+1 Punkt) relativ stabil blieb, kam es in Mathematik zu einem Rückgang von 12 Punkten, der allerdings noch über dem OECD-Schnitt lag.

Die Betrachtung der Kompetenzen von Schüler:innen nach sozialer Herkunft zeigt allerdings, dass Österreich im Spitzenfeld der Länder mit den größten Zuwächsen an sozialer Ungleichheit liegt. Im Vergleich zu PISA 2018 ist die soziale Schere vor allem in Naturwissenschaften und Lesen weiter aufgegangen, was hauptsächlich aus Kompetenzrückgängen bei Jugendlichen aus sozioökonomisch schwächeren Familien resultiert. Damit zeigt sich für Österreich erstmals der Befund, der bereits aus anderen Ländern bekannt war: Die mit dem sozioökonomischen Status verbundenen Leistungsdisparitäten sind heute stärker ausgeprägt als in Messungen vor dem Beginn der Covid-19-Pandemie. Kompetenzrückgänge bzw. das häufigere Nichterreichen von Mindeststandards sind bei Schüler:innen aus weniger privilegierten Familien stärker ausgeprägt als bei Gleichaltrigen aus sozial privilegierteren Familien.

Teuerung: Abstriche und Zukunftssorgen

Die (wissenschaftliche) Debatte widmet sich gegenwärtig primär der Frage, wie sich Kompetenzen von Schüler:innen entwickelt haben, während Schulen pandemiebedingt geschlossen waren und dadurch der Unterricht überwiegend digital stattfand. Die aktuell anhaltende Teuerungskrise und ihre Konsequenzen auf Bildungsteilhabe werden bisher in den vorhandenen Studien noch kaum in den Blick genommen. Die seit Sommer 2022 vorherrschende Inflation verursacht jedoch eine stark sinkende Kaufkraft, die insbesondere Familien mit niedrigen Haushaltseinkommen besonders trifft, wenn Einsparungen notwendig sind, um die Lebenshaltungskosten weiter bezahlen zu können. Erste Ergebnisse aus dem Spätsommer 2022 belegten, dass Eltern auch Einsparungen bei der Bildungsteilhabe ihrer Kinder in Betracht ziehen (Abmeldung vom Hort oder von außerschulischen Bildungsaktivitäten).

Aktuellere Daten aus der AK-Schulkosten-Panelstudie, an der mehr als 2.500 Haushalte ein Jahr lang regelmäßig alle anfallenden Schulkosten ihrer Kinder dokumentieren, zeigen nun, dass die gegenwärtige Teuerung handfeste Spuren hinterlässt. Rund 60 Prozent der befragten Eltern gaben an, dass die Ausgaben für den Schulbesuch ihrer Kinder sehr oder ziemlich belastend sind (siehe Grafik 2). Dabei unterscheidet sich die wahrgenommene Belastung der Eltern kaum danach, welchen Schultyp ihr Kind besucht. Deutliche Unterschiede ergeben sich allerdings für vulnerable Gruppen. Gerade für alleinerziehende Eltern (73 Prozent) oder armutsgefährdete Familien (86 Prozent) werden Schulausgaben zur starken finanziellen Belastung. In der Folge müssen Eltern nach eigenen Angaben häufig Abstriche bei den Schulaktivitäten ihrer Kinder machen.

Dass diese stark belastende Situation nicht spurlos an den Familien und ihren Kindern vorbeigeht, wird ebenfalls in den Daten der AK-Schulkostenstudie deutlich. Mehr als jede zweite Familie (56 Prozent) macht sich sehr oder ziemliche Sorgen um die Zukunftschancen ihrer Kinder. Aber gerade vulnerable Gruppen, die am meisten von der Teuerung und den entsprechenden Einsparungen betroffen sind, bangen regelrecht um die Zukunftschancen ihrer Kinder. 64 Prozent der alleinerziehenden Eltern haben sehr oder ziemliche Sorgen um die Zukunftschancen ihrer Kinder; in armutsgefährdeten Familien sind es 82 Prozent.

Fazit: Steigender Bildungsungleichheit gegensteuern

Die aktuellen Befunde bestätigen, dass sich die bereits vor den jüngsten Krisenentwicklungen für Österreich feststellbaren, deutlichen und persistenten Benachteiligungen nach sozialer Herkunft verstärkt haben. Ungünstigere Voraussetzungen für Schüler:innen multiplizieren sich im Krisenkontext, haben Bildungsungleichheiten im österreichischen Schulsystem weiter verstärkt und werden dies auch weiterhin tun, sofern bildungspolitisch nicht ausreichend gegengesteuert wird.

Angesichts dieser Verschärfungen braucht es mehr als nur Lippenbekenntnisse, sondern eine systematischere Agenda zur Bekämpfung sozialer Benachteiligungsfolgen. Ansatzpunkte für entsprechende Maßnahmen liegen dabei auf der Hand:

Als unmittelbare Abfederung der anhaltenden Teuerungsbelastung braucht es weiterhin sozialstaatliche Unterstützungsangebote in finanzieller Form, welche die Teuerung abfedern, etwa über die allgemeinen Instrumente des Arbeitslosengelds und der Sozialhilfe, aber auch spezifisch durch die Schüler:innenbeihilfe sowie den Ausbau kostenfreier Unterstützungsangebote.

Darüber hinaus sind jedoch langfristige Anpassungen des Schulsystems notwendig, um den ungleichen Lernvoraussetzungen besser gerecht werden zu können. So müsste die Schulfinanzierung endlich den Standortherausforderungen angepasst werden, statt alle Schulen mit demselben Ausstattungsschlüssel zu verstehen. Eine Schulfinanzierung nach dem AK-Chancen-Index sieht für Schulen umso höhere Zusatzmittel vor, je höher der Herausforderungsanteil nach sozialer und sprachlicher Zusammensetzung der Schüler:innen ausfällt. Damit werden Schulentwicklungs- und Unterstützungsangebote möglich, die Ausgangsnachteile besser zu kompensieren vermögen.

Der nachhaltige Ausbau ganztägiger Schulformen ist ein essentieller schulstruktureller Ansatzpunkt, der die ungleichen sozialen Ausgangsbedingungen der Elternhäuser auszugleichen vermag. Sie entlasten Eltern sowohl in pädagogischer Hinsicht von der Notwendigkeit des eigenen Lernens mit den Kindern sowie in finanzieller Hinsicht durch die Vermeidung privater Nachhilfekosten.

Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung

Der Originalartikel kann hier besucht werden