Sabrina (Sam) Tamayo gründete 2018 auf den Philippinen ihre eigene gemeinnützige Organisation, Project SMILE. Ihre Organisation hilft Menschen verschiedener Altersgruppen und Berufe, sich aus der Armut zu befreien, und folgt dem inspirierenden Mantra, klein anzufangen und eine nachhaltige Wirkung zu erzielen. In diesem Interview spricht sie über Menschenrechte, die UN-Nachhaltigkeitsziele und verschiedene Aspekte des Lebens auf den Philippinen.

Was ist deiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen dem Leben im Vereinigten Königreich und dem Leben auf den Philippinen?

Ich hoffe, dass das nicht deprimierend klingt, aber wenn ich ein Wort verwenden müsste, würde ich das Leben auf den Philippinen als prekär beschreiben. Überall herrscht große Ungewissheit – in Bezug auf nationale Angelegenheiten, den Zustand unserer Souveränität und Umweltfragen. In unserem Land ist die Armutsquote hoch und die Ungleichheit sehr groß, aber im Gegensatz dazu ist das Land auch sehr neoliberal. Wir haben nicht viele öffentliche Räume in unseren Städten. Obwohl wir einer der artenreichsten Orte der Welt sind, gibt es bei uns nicht viele Parks und Grünanlagen. Aus diesem Grund wird unsere Art, Zeit mit der Familie und unseren Lieben zu verbringen, monetarisiert. Typischerweise verbringen wir mit Freunden und Familien Zeit in Einkaufszentren. Was ich im Vereinigten Königreich wirklich schätzte, als ich [am University College London] studiert und dort gelebt habe, war die Vielfalt der Möglichkeiten. Ich musste nicht unbedingt [Geld] ausgeben, um Spaß zu haben! Ich konnte Stunden draußen in einem Park verbringen.

Aber abgesehen vom wärmeren Wetter haben die Philippinen im Vergleich mit dem Vereinigten Königreich auch einen stärkeren Gemeinschaftssinn. Die Herzlichkeit der Filipinos ist unvergleichlich. Wir haben einen Begriff, Kapwa, der der afrikanischen Philosophie von Ubuntu ähnelt. Ubuntu besagt, dass „ich bin, weil wir sind“. Kapwa unterstreicht den Wert der gemeinsamen Identität und des Zusammenseins mit anderen. Und ich glaube, das hält das philippinische Volk so weit wie möglich zusammen.

Wie würdest du die allgemeine Menschenrechtssituation auf den Philippinen und die Fortschritte beschreiben, die die Philippinen als Land im Hinblick auf die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung macht?

Was die Menschenrechte auf den Philippinen angeht, muss ich sagen, dass viele unserer Fortschritte von der vorherigen Regierung zunichte gemacht wurden. Wir hatten einen „Krieg gegen Drogen“, aber viele Kritiker haben behauptet, dass es eigentlich ein Krieg gegen die arme Bevölkerung war. Blutvergießen wurde zum Alltagsbild. Viele der Toten waren mit Plakaten versehen, auf denen zu lesen war: „Sei nicht wie ich – ich bin drogensüchtig“. Als ob diese Menschen es verdienten zu sterben, weil sie Drogen konsumierten. Es bricht mir das Herz, und viele der Bilder verfolgen mich immer noch, vor allem die Familien der armen Betroffenen, für die das gelebte Realität ist. Sie [die Familien] müssen einen Weg finden, um wieder auf die Beine zu kommen. Es gab auch die Theorie, dass die Polizei Auftragskiller angeheuert hatte, die durch eine Gehirnwäsche glauben, dass sie durch das Töten dieser Menschen Teil einer guten Sache waren.

Was die Ziele für nachhaltige Entwicklung angeht, muss ich die Regierung dafür loben, dass sie proaktiver geworden ist. Wir haben eine Behörde namens National Economic Development Authority (NEDA), die eine Stakeholder-Kammer für die UN-Nachhaltigkeitsziele eingerichtet hat. Project SMILE hatte das Glück, eines der Gründungsmitglieder dieses Ausschusses zu sein. Er [der Ausschuss] soll Partnerschaften und gemeinsame Unternehmungen fördern, um Ziele in Verbindung mit den 17 UN-Nachhaltigskeitszielen zu erreichen. Wir werden ermutigt, zusammenzuarbeiten und Projekte zu entwickeln, die die Ziele voranbringen.

Wie bist du auf die Idee zu Project SMILE gekommen, und wie hast du es als gemeinnützige Organisation ins Leben gerufen?

Dazu muss ich einige persönliche Hintergrundinformationen geben. Ich war zwölf Jahre lang an einer katholischen Schule für Mädchen. Wie du dir vorstellen kannst, war die Schule sehr konservativ und wir waren extrem behütet. Es gab eine Menge Regeln für Kleidung, Verhalten und Auftreten. Als es Zeit war, mein Studium an der Universität anzufangen, habe ich beschlossen, an eine staatliche Universität hier auf den Philippinen zu gehen: die University of the Philippines – Diliman. Das war ein Wechsel in ein neues, offeneres Umfeld, indem ich plötzlich mit vielen sozialen und politischen Themen konfrontiert wurde. Wenn man etwas im Fernsehen sieht, hat man dazu eine gewisse Distanz, aber wenn man einem Thema auf der Straße begegnet, wird es sehr persönlich. Das Mantra der Universität lautete auch „Serve the People“ – „diene den Menschen“, also der breiten Öffentlichkeit. Ich wollte dieses Mantra verkörpern.

Nach meinem Abschluss, als ich schon mein eigenes Geld verdient hatte, habe ich beschlossen, klein anzufangen. Ich habe Menschen, denen ich auf der Straße begegnet bin, Essen gegeben, seien es Straßenverkäufer*innen, Kinder, Wachleute, Tankwarte – wen auch immer ich zufällig traf. Das habe ich etwa ein Jahr lang getan. Bei dieser kleinen Geste habe ich gesehen, wie sich der Gesichtsausdruck der Leute veränderte, als hätten sie im Lotto gewonnen. Für sie war es eine so große Sache. Aber für mich war es nur etwas Kleines, ich habe ihnen nur eine Mahlzeit gegeben, ich habe nicht ihr Leben verändert. Auf einer tieferen Ebene verstand ich, dass sie in diesem Moment nicht darüber nachdenken mussten, woher sie ihr Essen bekommen würden.

Nachdem ich das etwa ein Jahr lang gemacht hatte, dachte ich mir: Hey, warum mache ich nicht etwas Größeres? Also habe ich mir überlegt, eine Weihnachtsfeier für ein Altersheim zu organisieren. Mir liegen ältere Menschen sehr am Herz. Ich habe mit meinen Freunden und meiner Familie darüber gesprochen und beschlossen, E-Mails an verschiedene Unternehmen zu schicken. Ich hatte immerhin nichts zu verlieren. Ich konnte McDonald’s davon überzeugen, die Veranstaltung zu sponsern. Also konnten wir unseren Nachmittag im Altenheim organisieren. Das gab mir das Gefühl, dass solche Projekte Potenzial haben könnten. Ich habe Project SMILE im Januar 2018 offiziell ins Leben gerufen und bin sehr stolz darauf, dass die Organisation fast sechs Jahre später größer geworden ist, als ich es mir je hätte vorstellen können. Viele Menschen wollen, dass ihre Projekte sofort erfolgreich sind, und sie werden entmutigt, wenn sie nicht von Anfang an Unterstützung erhalten. Mein Rat ist: Fang doch einfach mal klein an und schau, wohin es führt.

Was sind die aktuellen Projekte und Kampagnen von Project SMILE?

Wir haben drei Kampagnen. Im Rahmen der ersten, der #Accessible Assistance Alliance, bringen wir Therapeuten mit Familien von Kindern mit Behinderungen zusammen, damit sie hochwertige Therapie erhalten können. Im Rahmen von #Hapag Kapwa statten wir Fischer mit Werkzeugen und Dingen aus, die sie für ihren Lebensunterhalt benötigen. Und bei #Bridge the Golden Gap geht es vor allem darum, die breite Öffentlichkeit über die Erfahrungen älterer Menschen aufzuklären und ihnen zu zeigen, wie sie mit Hilfe von Technologie mit Gleichaltrigen in Kontakt bleiben und ihre Einsamkeit verringern können. Wir arbeiten viel mit Start-ups, die sich im Anfangsstadium befinden und soziale Auswirkungen haben. Mein Berufshintergrund ist auch Technologie, und wir arbeiten viel mit technologieorientierten Organisationen zusammen, weil ich persönlich der Meinung bin, dass Technologie ein guter Gleichmacher sein kann.

Warum hast du dich entschieden, an diesen Themen zu arbeiten? Waren sie am dringlichsten?

Die Wahl von Themen auf den Philippinen kann ziemlich überwältigend sein, weil es viele Themen gibt, bei denen Fortschritt notwendig ist. Aber weil unsere Organisation von Jugendlichen und Freiwilligen geleitet wird, gehört ein demokratischer Ansatz zu unseren Grundwerten. Wir fragen unsere Freiwilligen und Mitglieder aktiv nach ihrer Meinung zu den Themen, die sie in dem jeweiligen Jahr angehen wollen. Letzten Endes sind wir alle gleichberechtigte Individuen. Ich versuche, diesen Wert als Exekutivdirektorin zu verkörpern.

Ist COVID-19 immer noch ein großes Thema auf den Philippinen, wenn es um Entwicklungsarbeit geht? Eure Website zeigt, dass viele Kampagnen mit COVID zu tun haben.

Die Philippinen hatten den längsten Lockdown der Welt. Erst letztes Jahr hat die Lockerung begonnen, und Menschen durften wieder frei das Haus verlassen. In einem Zeitraum von zwei Jahren, von 2020 bis Anfang 2022, wurden der Öffentlichkeit viele verwirrende und oft widersprüchliche Richtlinien auferlegt. Einmal wurde uns zum Beispiel vorgeschrieben, einen Gesichtsschutzschilde zu tragen, wenn wir das Haus verlassen. Dabei wurde wissenschaftlich erwiesen, dass ein Gesichtsschutz die Ausbreitung von COVID-19 nicht aufhalten kann, und dass er sogar zu mehr Fällen beitragen kann. Manche Leute bevorzugen immer noch, Gesichtsmasken zu tragen, und ich würde sagen, zu Recht, weil unser Gesundheitssystem so instabil ist. Erst Mitte des letzten Jahres durften die Kinder wieder zur Schule gehen. Bis dahin mussten sie von zuhause aus lernen und versuchen, Informationen über digitale Plattformen aufzunehmen. Das hat sich nicht nur auf ihre schulischen Leistungen negativ ausgewirkt, sondern auch auf ihre Fähigkeit, soziale Kontakte zu knüpfen. Die Zahlen für Arbeitslosigkeit sind nach der Pandemie zurückgegangen und auch die Inflation wurde gesenkt, aber das Land hat sich noch lange nicht von den Auswirkungen von COVID erholt. Mit den Kampagnen versuchen wir neu zu bewerten, wie wir unsere Ziele auf die neuen Bedürfnisse abstimmen können, die durch COVID-Bedingungen entstanden sind.

Einige eurer Kampagnen befassen sich mit einem anderen Thema, nämlich der Unterstützung von Menschen mit Behinderungen, auch von Kindern mit Behinderungen. Eine Kampagne fokussiert sich auf verbesserten Zugang und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, und Project SMILE hat festgestellt, dass nur 10-30 % der arbeitsfähigen Menschen mit Behinderungen eine Arbeit finden. Warum nur ein so geringer Prozentsatz?

Es hat sich viel verbessert, aber die Realität ist immer noch, dass viele Menschen mit Behinderungen diskriminiert werden. Mit unserer #PeopleWith-Kampagne wollten wir die Menschen aufwerten, sie über ihre Behinderungen hinaus anerkennen und sie mit Möglichkeiten verbinden. Wir hatten eine Fokusgruppendiskussion. Ich kann mich noch lebhaft an eine Geschichte erinnern, die einer unserer Teilnehmer erzählte. Er war Rollstuhlfahrer und erzählte, wie schwierig es für ihn war, von einem Ort zum anderen zu kommen, nicht nur wegen seiner Situation, sondern auch wegen einer Einschränkung in Transportmöglichkeiten. Er erzählte, dass ein Taxifahrer ihn sogar abwies, weil er im Rollstuhl saß, weil der Fahrer behauptete, es wäre unbequem oder mühsam, ihn mitzunehmen. Diese Geschichte hat uns dazu inspiriert, das erste behindertengerechte Dreirad mit Antrieb zu entwickeln. Die negativen Wahrnehmungen in der Gesellschaft wirken sich auch auf die Beschäftigungsfähigkeit aus, aber das hat sich immer wieder als unbegründet erwiesen.

Und zuletzt, anknüpfend an eure Kampagne zur Unterstützung von Algenbauern: Wie ist die Lage des Agrarsektors auf den Philippinen? Und ganz allgemein, welche Sektoren haben derzeit mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen?

Was die Landwirtschaft und den Fischereisektor betrifft, befindet dieser sich in einer Art Schwebezustand. Erstens wollen die jüngeren Generationen keine Landwirte oder Fischer werden, weil diese Berufe nicht gut bezahlt werden. Zweitens ist der Klimawandel ein großes Problem. Die Philippinen gehören zu den Ländern mit dem höchsten Katastrophenrisiko der Welt. Es wird prognostiziert, dass sich dieses Risiko mit der Verschärfung des Klimawandels noch verstärken wird. Und schließlich haben wir ein Problem mit unserer Souveränität. Internationale Gerichte, insbesondere das UN-Seerechtsübereinkommen, haben zu unseren Gunsten entschieden, aber unsere Fischer werden im Westphilippinischen Meer immer noch täglich von chinesischen Schiffen bedroht, die „historische“ Ansprüche auf das Gebiet erheben.

Es gibt definitiv ein Machtgefälle, denn wir sind ein kleiner Inselstaat im asiatisch-pazifischen Raum und verfügen einfach nicht über die Ressourcen eines Landes wie des Vereinigten Königreichs. Wir sind nicht in der Lage, unsere Rechte durchzusetzen. Aber letzten Endes sind die Filipinos gut darin, „widerstandsfähig“ zu sein.


Sam Tamayo ist auch Teil des 30 for 2030-Netzwerks von UN Women und arbeitet an Initiativen in Verbindung mit den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen in Zusammenarbeit mit UN Women Asia and Pacific, der Chevening-Gemeinschaft und der US-Botschaft auf den Philippinen.