Auch drei Monate nach einem der tödlichsten Schiffsunglücke im Mittelmeer wurde in Griechenland keine ernstzunehmende Untersuchung eingeleitet. 40 Überlebende haben deshalb gestern Beschwerde beim zuständigen Seegericht von Piräus eingereicht. Sie fordern, dass die Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache lückenlos aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Mehrere der Überlebenden werden von der griechischen Partnerorganisation von PRO ASYL, Refugee Support Aegean (RSA), vertreten.

In der Nacht zum 14. Juni 2023 kenterte vor der griechischen Hafenstadt Pylos ein seeuntaugliches Flüchtlingsboot, das zu diesem Zeitpunkt seit 15 Stunden unter Beobachtung von Frontex und der griechischen Küstenwache war. Schätzungsweise mehr als 600 Menschen kamen ums Leben.

Die Überlebenden beklagen, dass nicht nur die erforderlichen Rettungsmaßnahmen unterlassen wurden, als die lebensbedrohliche Situation für die Menschen auf dem überfüllten Trawler längst offensichtlich war, sondern dass die griechische Küstenwache stattdessen einen Schleppversuch unternahm und womöglich dadurch das Schiff zum Kentern brachte.

„Was passiert ist, war nichts anderes als ein brutales Massaker. Wir fordern eine internationale Verurteilung und dass die Täter der griechischen Küstenwache und all jene, die es versäumt haben, uns zu retten, dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Wir wollen Gerechtigkeit für alle Opfer auf dem Boot“, sagt Hasan Al Jalam, ein syrischer Überlebender der Katastrophe, der sich inzwischen in Deutschland im Asylverfahren befindet und von PRO ASYL unterstützt wird.

„Die Katastrophe vor Pylos war kein Unfall, sondern eine menschengemachte Tragödie. Und wieder einmal sehen wir, dass Griechenland offensichtlich nicht bereit ist, die Vorgänge aufzuklären. Die Kultur der Straflosigkeit muss durchbrochen werden, das organisierte Sterbenlassen muss ein Ende haben“, sagt Karl Kopp, Sprecher von PRO ASYL.

Ausbleibende Seenotrettung verstößt gegen nationales und internationales Recht

Nach nationaler und internationaler Rechtslage wären die griechischen Behörden verpflichtet gewesen, die Menschen an Bord zu retten. Die Seenotrettungsmaßnahmen blieben aber aus, nicht einmal Rettungswesten wurden verteilt. Stattdessen hat die griechische Küstenwache laut Aussagen von Überlebenden einen Schleppversuch durchgeführt, der ähnlich wie schon einmal im Jahr 2014  bei einem vermutlichen Pushback-Versuch  der Küstenwache vor der griechischen Insel Farmakonisi misslang. 2022 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Griechenland bereits für die ungenügenden Seenotrettungsmaßnahmen im Farmakonisi-Fall und die anschließende mangelhafte Aufarbeitung der Vorgänge, bei denen acht Kinder und drei Frauen starben.

Dieses Mal haben die griechischen Behörden zwar eine Untersuchung angekündigt und das Seegericht von Piräus hat eine Voruntersuchung eingeleitet. Dennoch ist drei Monate nach dem Ereignis keiner der Überlebenden aufgefordert worden, als Zeuge zu den Umständen des Schiffbruchs auszusagen und Beweise vorzulegen – so der Kenntnisstand der die Kläger unterstützenden Organisationen.

Weitergehende Informationen

Die Überlebenden werden bei der Klage durch ein Netzwerk an Organisationen vertreten:

  • Refugee Support Aegean (RSA), Partnerorganisation von PRO ASYL
  • Network for Refugee and Migrant Rights
  • Hellenic League for Human Rights (HLHR)
  • Greek Council for Refugees (GCR)
  • Initiative of Lawyers and Jurists for the shipwreck of Pylos

PRO ASYL hat die Überlebenden mit Familienangehörigen in Deutschland dabei unterstützt, in Deutschland aufgenommen zu werden. Sie befinden sich inzwischen im Asylverfahren, in dem sie weiter von PRO ASYL begleitet werden.

Der Originalartikel kann hier besucht werden