Multilaterale Verhandlungen mit Kiew zur Beendigung des Ukraine-Krieges haben begonnen – erstmals unter Beteiligung des Westens. Globaler Süden setzt Suche nach Friedenslösung fort.

Mit deutscher Beteiligung haben am Wochenende erste multilaterale Verhandlungen mit Kiew über eine Beendigung des Ukraine-Krieges begonnen. Am Samstag fanden in Kopenhagen Gespräche der G7-Staaten, der Ukraine sowie von fünf Ländern des Globalen Südens statt, die an Vermittlungsbemühungen zwischen Russland und der Ukraine beteiligt waren oder sind. Ziel des Treffens war es explizit, Friedensverhandlungen in Gang zu bringen; weitere Zusammenkünfte sollen folgen. In Kopenhagen ging es unter anderem um Sicherheitsgarantien, darunter nicht nur solche für die Ukraine, sondern auch Garantien für Russland. Öffentlich werden diese freilich noch zurückgewiesen. Außenministerin Annalena Baerbock etwa verlangte am gestrigen Dienstag bei einem Besuch in Südafrika, Russland müsse umgehend „seine Soldaten abziehen“. Unterdessen setzen Staaten des Globalen Südens ihre Suche nach einer Verhandlungslösung fort. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa ist erst kürzlich von einer „afrikanischen Friedensmission“ zurückgekehrt. Brasiliens Präsident Lula klagt, es sei offenkundig „Mode unter den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates“ geworden, „in andere Länder einzufallen“. Das müsse enden.

Verhandlungen in Kopenhagen

Das Treffen am vergangenen Samstag in Kopenhagen ist – soweit bekannt – das erste gewesen, bei dem die westlichen Staaten in einem größeren Rahmen mit Kiew über eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg gesprochen haben. Offiziell zu dem Treffen eingeladen hatte die Ukraine; vertreten waren außer ihr sowie dem Gastgeber Dänemark die G7-Staaten und fünf Staaten des Globalen Südens, die bereits Vermittlungserfolge zwischen Kiew und Moskau erzielt haben (Türkei, Saudi-Arabien) oder sich noch darum bemühen (Brasilien, Indien, Südafrika). Die Bundesregierung hatte Jens Plötner geschickt, den wichtigsten außenpolitischen Berater von Kanzler Olaf Scholz. China war eingeladen, nahm aber nicht an der Zusammenkunft teil. Russlands Anwesenheit war nicht erwünscht. Das Treffen war offenkundig schon seit geraumer Zeit geplant; bereits im Mai hatte Dänemarks Außenminister Lars Løkke Rasmussen mitgeteilt, sollte die Ukraine bereit sein, mit Ländern wie Brasilien, Indien oder Südafrika über etwaige Friedensverhandlungen zu diskutieren, dann biete sich Kopenhagen als Ort dafür an. Für das Treffen stark gemacht hatten sich auch die USA; allerdings reiste ihr Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan aufgrund eines Krisentreffens zum Putschversuch in Russland nicht an und war nur per Video zugeschaltet.[1]

Selenskyjs „Friedensformel“

Über den Inhalt des Treffens hüllt sich die Bundesregierung in Schweigen. Ein hochrangiger Mitarbeiter der EU-Kommission ließ sich mit der Auskunft zitieren, in Kopenhagen habe sich „ein genereller Konsens“ dahingehend gezeigt, eine Verhandlungslösung müsse „die Prinzipien der UN-Charta, etwa die territoriale Integrität und die Souveränität“ aller Staaten, bestätigen.[2] Dies lässt keine weiterreichenden Schlüsse zu; ein Bekenntnis zu den UN-Grundsätzen enthalten sämtliche bisherigen Verhandlungsvorstöße von der „Friedensformel“ des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bis zu Beijings Zwölf-Punkte-Papier.[3] Gewisse Aufschlüsse erlaubt ein Bericht des ehemaligen brasilianischen Außenministers Celso Amorim, der als Architekt der Politik von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bezüglich des Ukraine-Kriegs gilt und der, als Lulas außenpolitischer Berater, an dem Treffen in Kopenhagen teilnahm. Amorim zufolge präsentierte der Leiter des Kiewer Präsidialamtes, Andrij Jermak, dort einen Entwurf für eine Abschlusserklärung, die mehrere Elemente der Selenskyj‘schen „Friedensformel“ enthielt. Diese sieht den vollständigen Rückzug der russischen Streitkräfte aus der Ukraine vor – auch von der Krim. Friedensgespräche auf ihrer Basis wären daher nach Lage der Dinge nur bei einer dramatischen russischen Niederlage möglich.[4]

Sicherheitsgarantien

Der Entwurf für die Abschlusserklärung scheiterte entsprechend – wie Amorim bestätigt, an den Einwänden der Länder des Globalen Südens, die unverändert nicht dazu bereit sind, sich dem Druck des Westens zu beugen und sich gegen Russland zu positionieren.[5] Sollte Jermak gehofft haben, einen Keil zwischen sie und Moskau zu treiben, sah er sich getäuscht. Wie unter Berufung auf den deutschen Teilnehmer des Treffens, Kanzlerberater Plötner, berichtet wird, griffen die Gespräche allerdings weiter aus und bezogen auch die Frage nach Sicherheitsgarantien ein – und zwar nicht nur nach Sicherheitsgarantien für die Ukraine, die voraussichtlich nötig werden, weil ein ukrainischer NATO-Beitritt unter anderem an den Vereinigten Staaten scheitern dürfte (german-foreign-policy.com berichtete [6]), sondern darüber hinaus nach Garantien für Russland. Man könne Moskau beispielsweise versichern, heißt es, „dass keine Marschflugkörper auf dem Gebiet der Ukraine stationiert werden“.[7] Damit wird erstmals erkennbar, dass der Westen bereit sein könnte, Zugeständnisse an Russland zu machen, die in der Öffentlichkeit bislang entschieden zurückgewiesen werden. Wie Amorim bestätigt, sollen dem Treffen weitere folgen. Im Gespräch ist die nächste Zusammenkunft schon für Juli; ob der Plan aufgeht, ist allerdings ungewiss.

Die afrikanische Friedensmission

Unterdessen treiben die fünf Staaten des Globalen Südens, die in Kopenhagen vertreten waren, ihre eigenen Friedensbemühungen energisch voran. Indiens Premierminister Narendra Modi etwa betonte am vergangenen Donnerstag während eines Besuchs in den USA, New Delhi habe „vom Beginn der Ereignisse in der Ukraine an“ danach gestrebt, „den Streit durch Dialog und Diplomatie zu lösen“; es sei unverändert „bereit“, alle Bemühungen um Frieden zu unterstützen.[8] Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa war erst Mitte Juni gemeinsam mit drei anderen afrikanischen Staatschefs und Vertretern dreier weiterer Länder des Kontinents in die Ukraine und nach Russland gereist, um dort mit einer „afrikanischen Friedensmission“ nach Wegen zur Beendigung des Krieges zu suchen.[9] Die afrikanischen Bemühungen sollen weiter vorangetrieben werden. Außenministerin Annalena Baerbock war am gestrigen Dienstag bei einem Besuch in Südafrika bestrebt, Näheres über den Stand der Dinge in Erfahrung zu bringen. Während ihre südafrikanische Amtskollegin Naledi Pandor mitteilte, Pretoria werde sich durch den Putschversuch in Russland nicht von der Suche nach Frieden abbringen lassen [10], hielt Baerbock beinhart an der Forderung fest, Russland müsse „seine Bombardierungen einstellen und seine Soldaten abziehen“ [11]. Nur so könne „der Krieg enden“.

„Niemand will Krieg“

Umfassende Friedensbemühungen entfaltet seit einiger Zeit insbesondere Brasilien unter Präsident Lula. Lula hielt sich Mitte vergangener Woche in Rom auf, um in Gesprächen unter anderem im Vatikan, der seinerseits um ein Ende des Waffengangs bemüht ist, nach Wegen aus dem Krieg zu suchen. Er verband das mit der Forderung, die globale Ordnung an die veränderten Kräfteverhältnisse anzupassen – das umso mehr, als es offenkundig „Mode unter den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates“ geworden sei [12], „in andere Länder einzufallen“, urteilte Lula in der italienischen Hauptstadt. Am Samstag präzisierte er in Paris, „als die Vereinigten Staaten in den Irak einmarschierten“, hätten sie „niemanden konsultiert“; „als Sarkozy und England in Libyen einmarschierten“, hätten sie das ebenfalls nicht getan, „und als Putin in die Ukraine einmarschierte“, habe er sich auch nicht um internationale Zustimmung dafür bemüht. So könne es nicht weitergehen.[13] Lula sprach sich zudem ganz entschieden gegen „einen neuen Kalten Krieg“ zwischen den Vereinigten Staaten und China aus: „Niemand will noch Krieg.“[14] Man könne nicht Milliardensummen in Konflikten verschwenden, wenn weltweit 800 Millionen Menschen Hunger litten.

Keine Eile

Eilig haben die westlichen Mächte es mit der Beendigung des Ukraine-Krieges freilich nicht. Mit Blick auf das geplante Nachfolgetreffen zu der Zusammenkunft in Kopenhagen wurden westliche Diplomaten mit der Einschätzung zitiert, es sei „nicht unbedingt schlecht“, dass es noch ein wenig dauern könne, bis das Treffen zustande komme: Dann hätten „die Ukrainer noch ein bisschen Zeit, noch ein paar mehr Gewinne auf dem Schlachtfeld herauszukitzeln“. Das verbessere ihre Position.[15]

 

Mehr zum Thema: Der Übergang zur Diplomatie (II).

 

[1], [2] Copenhagen meeting helps advance Ukraine ‘peace summit’ plan. euractiv.com 27.06.2023.

[3] S. dazu Auf der Seite des Krieges.

[4], [5] Jamil Chade: Crise fragilizou Rússia, diz Amorim; emergentes bloqueiam proposta de Kiev. noticias.uol.com.br 25.06.2023.

[6] S. dazu Risse in der NATO.

[7] Kristina Dunz: Russlands Angriff auf die Ukraine: Geheimes Friedenstreffen in Kopenhagen. rnd.de 26.06.2023.

[8] Aniruddha Dhar: PM Modi on Ukraine war: ‘India ready to contribute in any way to restore peace’. hindustantimes.com 22.06.2023.

[9] Médiation entre Zelensky et Poutine : missiles, train bloqué, cocktail sur la Neva… Ce qu’il faut retenir de la mission de paix africaine. jeuneafrique.com 20.06.2023.

[10] S Africa: ‘Peace mission’ in Ukraine unaffected by Russia mutiny. aljazeera.com 27.06.2023.

[11] Rede von Außenministerin Annalena Baerbock bei der Deutsch-Südafrikanischen Binationalen Kommission. 27.06.2023.

[12] Lula vai enviar Celso Amorim para participar de encontro na Dinamarca sobre a Ucrânia. gazetadopovo.com.br 22.06.2023.

[13] Brasilien: Lula hinterfragt die Rolle internationaler Organisationen in Konflikten. latina-press.com 24.06.2023.

[14] Lula vai enviar Celso Amorim para participar de encontro na Dinamarca sobre a Ucrânia. gazetadopovo.com.br 22.06.2023.

[15] Copenhagen meeting helps advance Ukraine ‘peace summit’ plan. euractiv.com 27.06.2023.

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