Ex-US-Regierungsmitarbeiter sagt baldigen Übergang zu Verhandlungen im Ukraine-Krieg voraus – rechtzeitig vor dem US-Präsidentschaftswahlkampf. Erste Vorgespräche haben bereits stattgefunden.

Die westlichen Mächte steigen in Verhandlungen mit Kiew über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs ein. Am Samstag sind in Kopenhagen Repräsentanten der G7-Staaten, der Ukraine und mehrerer Länder des Globalen Südens zusammengetroffen, um erstmals gemeinsam Friedensgespräche in Aussicht zu nehmen. Konkrete Ergebnisse wurden dabei noch nicht erzielt; die Verhandlungen sollen aber fortgesetzt werden. Dass im Anschluss an die aktuelle ukrainische Gegenoffensive Gespräche zumindest über einen Waffenstillstand geführt werden sollen, ist als Ziel der Biden-Administration seit geraumer Zeit erkennbar. Ursachen sind die abnehmende Zustimmung in der US-Bevölkerung für die Unterstützung der Ukraine und der Präsidentschaftswahlkampf, der für Biden eine Fortsetzung der milliardenschweren Hilfsleistungen nicht angeraten sein lässt. Auch in Europa schrumpft der Anteil derjenigen, die Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland befürworten. Ein ehemaliger US-Regierungsmitarbeiter spricht sich dafür aus, spätestens im Herbst konkret auf einen Waffenstillstand zu orientieren. „Am schwierigsten“, urteilt er, dürften dabei „die Gespräche mit den Ukrainern“ sein.

Stimmungsumschwung in den USA

Ursache dafür, dass die Unterstützung für die Ukraine im Westen unter Druck zu geraten beginnt, ist zum einen ein gewisser Stimmungsumschwung in den USA, verbunden mit dem herannahenden US-Präsidentschaftswahlkampf und eskalierenden Kosten. Waren im März 2022 laut einer Umfrage des Pew Research Center nur sieben Prozent aller US-Amerikaner der Meinung, Washington investiere zuviel in Hilfsprogramme aller Art für Kiew, so stieg ihr Anteil in diesem Monat bereits auf 28 Prozent.[1] Unter Republikaner-Wählern lag er sogar bei 44 Prozent, während nur 20 Prozent die US-Unterstützung als angemessen einstuften und nur 14 Prozent der Ukraine umfangreichere Mittel zugute kommen lassen wollten. Darüber hinaus werden auch unter Politikern zunehmend Einwände geäußert, man könne nicht auf Dauer zweistellige Milliardensummen in die Ukraine pumpen und – je nach Parteipräferenz – es an Mitteln für die Sozialpolitik (Demokraten) oder für die Abschottung der US-Grenze zu Mexiko (Republikaner) fehlen lassen. Der Ukraine-Krieg droht für Joe Biden umso stärker zur Belastung im Wahlkampf zu werden, als bei den Republikanern der Flügel an Einfluss gewinnt, der die Unterstützung für Kiew reduzieren will, insbesondere Kräfte um Ex-Präsident Donald Trump.[2]

Stimmungsumschwung in Europa

Ein gewisser Stimmungsumschwung zeichnet sich auch in Europa immer deutlicher ab. So zeigt etwa eine Umfrage, die im Auftrag des Deutschen Polen-Instituts durchgeführt wurde, dass in Deutschland der Anteil derjenigen, die Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten, von 58 Prozent im März 2022 auf 51 Prozent im Mai 2023 zurückgegangen ist. In Polen sank er von 87 auf 76 Prozent.[3] Im selben Zeitraum schrumpfte der Anteil derjenigen, die die Russland-Sanktionen unterstützen, von 69 auf 57 Prozent (Deutschland) bzw. von 90 auf 85 Prozent (Polen). Gleichzeitig zeigt eine aktuelle Umfrage der Universität Warschau, dass der Anteil der Polen, die stärkere Unterstützung für die Ukraine wünschen, von fast 50 Prozent im Frühjahr 2022 auf nur noch 28 Prozent gefallen ist, während sich die Einstellung gegenüber ukrainischen Flüchtlingen erheblich gewandelt hat. So ist der Anteil derjenigen, die von sich sagen, eine „sehr positive“ Einstellung gegenüber Ukrainern zu haben, von 44 Prozent im Januar auf 28 Prozent im Mai und im Juni gesunken. 31 Prozent geben an, ihre Einstellung gegenüber Ukrainern habe sich verändert; von diesen nennen 85 Prozent eine Änderung „zum Schlechteren“.[4] Die am meisten genannte Ursache ist die Wahrnehmung, ukrainische Flüchtlinge hielten sich oft für berechtigt, Leistungen jeder Art kostenlos zu erhalten.

Politische Widerstände

In Polen haben EU-Vergünstigungen für ukrainische Getreideexporte, die gravierende Nachteile für polnische Landwirte mit sich brachten, bereits zu massiven Protesten geführt. Diese mussten mit Sonderregelungen gedämpft werden, die den Verkauf kostengünstigeren ukrainischen Getreides in Polen wie auch in weiteren Staaten Ost- und Südosteuropas einschränken. Ungarn trägt schon heute weder alle Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine noch alle Maßnahmen gegen Russland umstandslos mit. Die Slowakei könnte, wie Beobachter spekulieren, nach der vorgezogenen Parlamentswahl im September einem ähnlichen Kurs folgen.[5] Auch die zunehmenden Widerstände in den USA beginnen sich, wie berichtet wird, mittlerweile in der politischen Praxis niederzuschlagen. So heißt es, ukrainische Abgeordnete seien in kürzlich geführten Gesprächen mit Mitarbeitern des US-Außenministeriums und des Nationalen Sicherheitsrats immer wieder vertröstet worden, wenn sie um zusätzliche Waffenlieferungen gebeten hätten – mit dem Hinweis, man wolle nun erst einmal „sehen, wie die Gegenoffensive verläuft“.[6] Die ehemalige ukrainische Vizeministerpräsidentin Iwanna Klympusch-Tsyntsadse wurde unlängst mit der Äußerung zitiert, sie „fürchte“ um die Fortsetzung der US-Förderung in gewohnter Höhe für das kommende Finanzjahr. Letzteres beginnt am 1. Oktober.

Den Waffenstillstand im Blick

Mit Blick auf die langsam geringer werdende Unterstützung für die Ukraine und vor allem auf den US-Präsidentschaftswahlkampf sind seit geraumer Zeit Überlegungen zu vernehmen, die auf eine Einstellung der Kämpfe nach der aktuellen ukrainischen Gegenoffensive und auf Verhandlungen hinauslaufen – wohl noch in diesem Jahr (german-foreign-policy.com berichtete [7]). In diesem Sinne hat sich kürzlich etwa Charles Kupchan geäußert, ehedem Europadirektor im Nationalen Sicherheitsrat unter US-Präsident Barack Obama und heute beim einflussreichen Council on Foreign Relations (CFR) tätig. Auch Kupchan sagt voraus, man könne „nicht davon ausgehen, dass die Unterstützung des Westens auf dem derzeitigen Niveau anhält“.[8] In den USA seien genügend Mittel „wahrscheinlich bis zum Spätsommer“ vorhanden; spätestens 2024 müsse Biden dann jedoch „stärker auf einen Waffenstillstand und eine diplomatische Lösung“ dringen. Dies sei umso mehr der Fall, als die Ukraine beim Versuch, sie „zu retten“, vollständig „zerstört werden“ könne: „Je länger dieser Krieg anhält, desto mehr fügt er dem Land enormen Schaden zu“. „Wenn die Kampfsaison zu Ende geht, wird es eine neue Pattsituation geben“, sagt Kupchan voraus: Spätestens dann müsse der Westen „zu einer diplomatischen Strategie übergehen, die auf einen Waffenstillstand abzielt“.

Die schwierigsten Gespräche

Dabei müsse es „das allererste Ziel“ sein, fordert Kupchan, „den Krieg zu beenden und das Töten zu stoppen“. Nötig sei etwa „eine stabile Kontaktlinie, hinter die sich die Truppen zurückziehen“.[9] Man dürfe es auch nach einer Beendigung der Kämpfe „nicht akzeptieren, dass Russland die Kontrolle über einen Teil des [ukrainischen, d.Red.] Territoriums behalten darf“; es gebe „historische Analogien, auch zu Deutschland“: Die Bundesrepublik hat im Kalten Krieg den Anspruch auf das Territorium der DDR tatsächlich niemals preisgegeben. „Schwer“ werde es, Russland zu Verhandlungen zu veranlassen, sagt Kupchan voraus. Auch die Ukraine werde sich dagegen sperren: Selenski strebe „die volle territoriale Souveränität seines Landes und den kompletten Abzug der russischen Streitkräfte an“, und er werde dabei „von 90 Prozent der Bevölkerung unterstützt“. „Die Gespräche mit den Ukrainern“, urteilt Kupchan, „könnten deshalb am schwierigsten werden.“

Erste Verhandlungen

Am Samstag haben erste Gespräche in größerem Rahmen begonnen – mit einem Treffen in Kopenhagen, bei dem auf offizielle Einladung der Ukraine die G7-Staaten und fünf Länder des Globalen Südens zusammenkamen, um die Perspektiven einer Friedenslösung für die Ukraine in den Blick zu nehmen. german-foreign-policy.com berichtet am morgigen Mittwoch.

 

[1] Andy Cerda: More than four-in-ten Republicans now say the U.S. is providing too much aid to Ukraine. pewresearch.org 15.06.2023.

[2] Pete Shmigel: US Polling and Politics on Ukraine War is Changing. kyivpost.com 19.06.2023.

[3] Jacek Kucharczyk, Agnieszka Łada-Konefał: Der deutsche und der polnische Blick auf die russische Aggression gegen die Ukraine. Deutsch-polnisches Barometer. Forschungsbericht Juni 2023. Darmstadt 2023.

[4] Aleksandra Krzysztoszek: Poles less willing to help Ukrainian refugees: poll. euractiv.com 15.06.2023.

[5] Lubos Palata: Slowakei: Auf dem Weg ins prorussische Lager? dw.com 12.06.2023.

[6] Jamie Dettmer: Ukraine’s long war and the importance of patience. politico.eu 15.06.2023.

[7] S. dazu „Untragbare Opfer“Nach der Offensive und Der Korea-Krieg als Modell.

[8], [9] Annett Meiritz: „Der Rückhalt des Westens für die Ukraine wird abnehmen“. handelsblatt.com 15.06.2023.

Der Originalartikel kann hier besucht werden