Die EU sucht auf einem Treffen mit Anrainern des Indischen und des Pazifischen Ozeans eine Anti-China-Allianz zu schmieden, stößt damit aber auf offenen Widerspruch.

Die EU stößt beim Versuch, mit den Staaten Asiens und der Pazifik-Region eine Allianz gegen China zu bilden, auf offenen Widerspruch. Dies ist ein Ergebnis des EU Indo-Pacific Forums, das die EU am Samstag in Stockholm abgehalten hat. Eingeladen waren 30 Anrainerstaaten des Indischen und des Pazifischen Ozeans; nicht teilnehmen durfte China. Indonesiens Außenministerin Retno Marsudi erklärte mit Blick auf die antichinesischen Absichten der EU, die Staaten Südostasiens seien „nicht daran interessiert, Teil eines neuen Kalten Kriegs“ zu sein. Pakistans Außenministerin Hina Rabbani Khar stellte sich gegen Bestrebungen, die Welt „in Blöcke“ zu teilen. Singapurs Außenminister Vivian Balakrishnan kritisierte die zunehmende ökonomische Abschottung der westlichen Mächte und forderte von ihnen stärkere Rücksicht auf die Normen des „regelbasierten“ globalen Handelssystems ein, während Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar – in Abgrenzung von einer vom Westen dominierten unilateralen Welt – auf „Multipolarität“ bestand. Die EU brüskierte ihre Gäste, indem 13 ihrer 27 Außenminister das Treffen schwänzten, darunter Annalena Baerbock.

„Rivalität überall“

Bereits am Freitag hatten sich die EU-Außenminister auf einem Treffen in Stockholm mit einer Neufokussierung der EU-Chinapolitik befasst. Grundlage war ein Strategiepapier, das der Außenbeauftragte Josep Borrell vorgelegt hatte. Es sieht eine deutliche Verschärfung der Konfrontation mit Beijing vor. Wurde bislang stets die Trias „Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale“ beschworen, die ein Nebeneinander von Unternehmenskooperation, wirtschaftlicher Konkurrenz und politischem Machtkampf in annähernd gleicher Gewichtung suggeriert, so heißt es in Borrells Papier: „Systemische Rivalität dürfte sich in praktisch allen Feldern der Zusammenarbeit zeigen.“[1] Daher müsse man – unter dem Vorwand, „Risiken minimieren“ zu wollen – die Kooperation stark reduzieren. Allerdings gibt es in der EU noch keinen Konsens über das Papier. So wird berichtet, einerseits habe Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sich in einer Weise geäußert, die den Eindruck erweckt habe, sie könne sich „pauschale Sanktionen gegen China vorstellen“. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis wiederum habe laut über eine ökonomische Entkopplung („Decoupling“) von der Volksrepublik spekuliert.[2] Doch habe es auch gegenläufige Stimmen gegeben. So habe Zyperns Außenminister Constantinos Kombos China einen „großartigen Partner“ genannt.

Die Hälfte schwänzt

Ergänzend zur Verschärfung ihrer Chinapolitik hatte die EU für Samstag in Stockholm ein EU Indo-Pacific Forum anberaumt und dazu 30 Außenminister aus Ostafrika, Asien und der Pazifikregion um Teilnahme gebeten. Explizit nicht eingeladen war Chinas Außenminister Qin Gang, der sich am Freitag in Schwedens Nachbarstaat Norwegen aufgehalten hatte. Bei dem EU-Forum in der schwedischen Hauptstadt ging es darum, die Anrainer des Indischen und des Pazifischen Ozeans enger an den Westen zu binden, um in den Machtkämpfen nicht nur gegen China, sondern auch gegen Russland Verbündete zu gewinnen. Man wolle nicht nur „gemeinsam nachhaltigeren und inklusiveren Wohlstand … schaffen“, sondern auch Seite an Seite „der sich entwickelnden Sicherheitslandschaft im Indo-Pazifik“ entgegentreten, hieß es vorab in Brüssel.[3] Angereist waren unter anderem die Außenminister Indiens und Pakistans, Japans, Singapurs und der Komoren, die aktuell den Vorsitz in der Afrikanischen Union (AU) innehaben. Die EU, die noch am Tag zuvor die Außenminister fast aller ihrer Mitgliedstaaten in Stockholm versammelt hatte, war lediglich mit 14 von 27 Amtsinhabern vertreten – eine praktische Demonstration der Bedeutung, die das Staatenkartell den Ländern der Asien-Pazifik-Region tatsächlich beimisst. Auch Außenministerin Annalena Baerbock fehlte.

Auf einem Kreuzzug

Bei ihren Bemühungen, die Anrainer des Indischen und des Pazifischen Ozeans gegen Russland in Stellung zu bringen, hat die EU in Stockholm keine Fortschritte erzielt. Zwar behauptete Borrell, es sei ohnehin nicht darum gegangen, die nichteuropäischen Teilnehmer von einem antirussischen Kurs „zu überzeugen“: „Wir befinden uns nicht auf einem Kreuzzug.“[4] Dass exakt das Gegenteil der Fall ist, zeigte, dass die EU den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba kurzfristig und für die asiatisch-pazifischen Teilnehmer überraschend eingeladen hatte. Damit sei dem Ukraine-Krieg große Aufmerksamkeit zuteil geworden, hieß es in Berichten. Die Reaktionen waren deutlich distanziert. So wurden einige Außenminister asiatischer Staaten mit der Aussage zitiert, zwar habe man Mitgefühl mit der Ukraine; doch fordere man eine sofortige Einstellung der Kämpfe: ganz in Übereinstimmung mit China und in direktem Gegensatz zum Westen, der die ukrainische Frühjahrsoffensive nach Kräften befeuert. Entsprechend habe sich der Außenminister der Komoren im Namen der AU geäußert, heißt es. Pakistans Außenministerin Hina Rabbani Khar erklärte, die Eskalation eines Konflikts sei „nie die Antwort“; ihr Land verlange deshalb „ein Ende der Feindseligkeiten und dann des Konflikts“. Lediglich Japans Außenminister sprang dem Westen offensiv zur Seite.

„Keine Blöcke!“

Gleichfalls keine Fortschritte erzielte die EU beim Versuch, die in Stockholm vertretenen Staaten offen gegen China zu positionieren. Pakistans Außenministerin Khar etwa erklärte, ihr Land lehne die Spaltung der Welt „in mehrere Blöcke“ ab.[5] Mehrere weitere Minister bekräftigten dies und stellten ihrerseits klar, auch sie seien nicht bereit, sich im Machtkampf des Westens gegen die Volksrepublik auf die Seite der westlichen Staaten zu schlagen. Indonesiens Außenministerin Retno Marsudi etwa, deren Land in diesem Jahr den Vorsitz in dem südostasiatischen Staatenbündnis ASEAN innehat, teilte mit, ASEAN lehne es ab, die Asien-Pazifik-Region zu „einem weiteren Schauplatz von Rivalitäten“ werden zu lassen. „Wir sind nicht daran interessiert, Teil eines neuen Kalten Kriegs oder Stellvertreter großer Mächte zu sein“, stellte die Ministerin fest; „der indo-pazifische Kuchen ist zu groß, um nur von einigen wenigen genossen zu werden.“ Der Präsident der Komoren, Azali Assoumani, hatte bereits im vergangenen Jahr im Konflikt um Taiwan nicht dem Westen, sondern China recht gegeben (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Damit war es ihm gelungen, sich im Ringen um den Vorsitz in der AU gegen das weitaus mächtigere Kenia durchzusetzen. Nairobi nähert sich gegenwärtig dem Westen an.

„Überlappende Freundeskreise“

Implizite, aber deutliche Kritik am Vorgehen des Westens haben in Stockholm nicht zuletzt die Außenminister Singapurs und Indiens geübt. Das ist auch deswegen von Bedeutung, weil die westlichen Mächte vor allem im Machtkampf gegen China großes Gewicht auf eine enge Kooperation mit den beiden Staaten setzen. Singapurs Außenminister Vivian Balakrishnan erklärte auf dem EU Indo-Pacific Forum, „das Organisationsprinzip“ Südostasiens sei es, die Region „offen“ und „inklusiv“ zu halten – offen vor allem „für China, die USA, die EU und in der Tat jede andere Macht, die bei uns investieren“ oder auch sonst Geschäfte machen wolle.[7] Südostasien wolle „keine Linien ziehen“, sondern „überlappende Freundeskreise“ haben; das unterscheide es von der EU. Balakrishnan schloss sich dem westlichen Insistieren auf ein „regelbasiertes Handelssystem“ an; Singapur bezieht seinen Reichtum vor allem aus seiner Rolle als Handelsdrehscheibe. Balakrishnans Stellungnahme ließ aber erkennen, dass er regelbasierten Handel zur Zeit vor allem vom Westen bedroht sieht. So sei es schädlich, wenn Staaten „ihren nationalen Sicherheitsinteressen“ oder der Reindustrialisierung Vorrang einräumten. Beides charakterisiert die Politik des Westens in seinen Machtkämpfen gegen Russland und China. Die westliche Abkehr vom Globalisierungskonsens sei, warnte Balakrishnan, für Länder wie Singapur fatal.

„Wertschätzung für Multipolarität“

Implizite, aber deutliche Kritik äußerte ebenfalls Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar. Indien kooperiert weiterhin mit den westlichen Mächten, um sich als asiatisches Gegengewicht gegen China zu positionieren; Jaishankars Äußerungen in Stockholm bestätigten dies. Allerdings ist Indien unverändert nicht bereit, die Kooperation mit Moskau zu reduzieren oder gar einzustellen. Wünsche die EU mit Anrainern des Indischen und des Pazifischen Ozeans zu kooperieren, dann müsse sie dazu „regelmäßige, umfassende und offene“ Gespräche führen, betonte Jaishankar; die Gespräche dürften dabei nicht auf gerade aktuelle Krisen beschränkt sein.[8] Indiens Außenminister wies zudem darauf hin, die EU werde bei den Anrainern des Indischen und des Pazifischen Ozeans am meisten erreichen, wenn sie einen „großzügigen“ strategischen Ansatz entwickle, der den „wirtschaftlichen Asymmetrien“ angemessen Rechnung trage. Bei all dem gehe es insbesondere auch darum, der „Multipolarität Wertschätzung“ entgegenzubringen; „eine multipolare Welt“ aber werde es nur mit einem „multipolaren Asien“ geben. Die Stellungnahme beinhaltet damit eine deutliche Absage an eine unipolare Welt, in der der Westen mit möglichst vielen internationalen Verbündeten seine globale Dominanz gegen aufsteigende Mächte wie etwa China zu verteidigen sucht.

 

[1], [2] Thomas Gutschker: Nicht auf einer Linie gegenüber Peking. Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.05.2023.

[3] EU Indo-Pacific Forum Stockholm 2023. eeas.europa.eu.

[4], [5] Finbarr Bermingham: ‘Let’s not divide into blocs’: EU faces pushback from Indo-Pacific on Ukraine. scmp.com 14.05.2023.

[6] S. dazu In Ostafrika gegen China.

[7] Visit of Minister for Foreign Affairs Dr Vivian Balakrishnan to Stockholm, Sweden, 12 to 14 May 2023. mfa.gov.sg 14.05.2023.

[8] EU, Indo-Pacific need regular comprehensive and candid dialogue: Jaishankar. aninews.in 13.05.2023.

Der Originalartikel kann hier besucht werden