Die Lage um Moldawien bleibt angesichts der Spannungen im Transnistrien-Konflikt sowie des Ukraine-Krieges weiter gefährlich. Aufgrund der Massenproteste in der Hauptstadt Kischinau steht die Ex-Sowjetrepublik zudem vor enormen innenpolitischen Problemen, die nicht zuletzt in Folge der engen Beziehungen zum Nachbarland Rumänien entstanden sind.

von Alex Männer

Vor dem Hintergrund der sich dramatisch verschlechternden Wirtschaftssituation seiner Bevölkerung sowie der wachsenden Spannungen im Transnistrien-Konflikt steht Moldawien vor enormen innenpolitischen Herausforderungen, deren Lösung wegen dem Vorgehen der pro-europäischen Führung zusätzlich erschwert wird. Denn die Spitzenpolitiker Moldawiens – das seit dem Zerfall der Sowjetunion lange Zeit offiziell als ein neutraler Staat galt und weder ein militärisches Bündnis mit Russland noch irgendeinem anderen Staat anstrebte – ziehen es unlängst vor, die bestehende sicherheitspolitische Strategie des Landes zu revidieren und einen neuen Kurs, der vollständig auf den Westen hin ausgerichtet ist, zu verfolgen.

Vor allem die westlich orientierte Präsidentin Maia Sandu, die seit dem November 2020 im Amt ist, spricht inzwischen offen darüber, dass man die Option erwäge, die Neutralität der „Republik Moldau“ –, die in der Verfassung des Landes verankert ist –, aufzuheben. Anfang des Jahres sorgte die Staatschefin diesbezüglich für die ersten großen Spannungen, indem sie den Konflikt um die abtrünnige und unter dem russischen Schutz stehende moldawische Region Transnistrien mit dem neutralen Status ihres Landes und einem (verfassungswidrigen) Beitritt zur NATO in Zusammenhang brachte. Angesichts dessen wirft die Opposition Sandu und der Regierung vor, entgegen dem Willen der Bevölkerung, die einen NATO-Beitritt ablehnt, Moldawien in das nordatlantische Militärbündnis zu ziehen.

Die „Rumänisierung Moldawiens

Ein wichtiger Aspekt, der zweifellos schon seit vielen Jahren die moldawische Außen- sowie Innenpolitik bestimmt, ist das Verhältnis zu dem Nachbarland Rumänien. Moldawien pflegt eine sogenannten „Strategische Partnerschaft“ mit dem EU- und NATO-Mitglied, das seinerseits die kleine Republik als einen existentiellen Teil der eigenen Nation ansieht und bereits seit dem Ende der UdSSR Einfluss darauf ausübt. Um genau zu sein, hatte Bukarest bereits in der Zeit der Perestroika die „Bewegung zur Vereinigung von Rumänien und Moldau“ ins Leben gerufen, und mittlerweile bestimmt es die Politik Kischinaus maßgeblich.

Diese Partnerschaft ist soweit fortgeschritten, dass zumindest ein Großteil der moldawischen Eliten unlängst die rumänische Staatsbürgerschaft besitzt. Unter anderem auch Präsidentin Sandu, Premierminister Dorin Recean und andere Spitzenpolitiker des Landes. Man ist also der Garant für die Interessen Moldawiens und zugleich Bürger eines anderen Staates – ein recht fragwürdiger und weltweit vermutlich einzigartiger Umstand.

Zahlreiche Vertreter der besagten Elite – wie zum Beispiel Sandu oder Recean – gelten zudem offenkundig als Befürworter der sogenannten „Unirea“ (rum. Vereinigung) von Moldawien und Rumänien. Der ehemalige Parlamentspräsident Moldawiens, Mihai Ghimpu, hat in einem offenen Brief an die moldawische Staatschefin und ihren rumänischen Amtskollegen Klaus Johannis vom 2. Februar sogar erklärt: Die „Kriegsgefahr in Bessarabien“ (eine historische Landschaft in Südosteuropa, die sich heute weitgehend mit dem westlich des Dnjestr liegenden Teil der Republik Moldau deckt – Anm. d. Verf.) sei „mehr als real“, und dass „die einzige Lösung, um die russische Besatzung zu verhindern, die Vereinigung mit Rumänien ist.“

Aufgrund dessen schlagen die oppositionellen Kräfte unlängst Alarm und beschuldigen die Regierung, Moldawien, in dem viele nationale Minderheiten leben, „rumänisieren“ zu wollen. Dabei spielt die Meinung der moldawischen Bevölkerung, von der etwa die Hälfte gegen die Vereinigung mit dem Nachbarland ist, für die Eliten offenbar eher eine untergeordnete Rolle.

Sprachenstreit: Moldawisch oder Rumänisch?

Als ein weiterer Beleg für die „Rumänisierung Moldawiens“ zu werten ist der sogenannte Sprachenstreit, der das Land schon seit 1989 spaltet, als das Parlament im Zuge der Perestroika Moldawisch zur Staatssprache erklärte und die bis dahin verwendete kyrillische Schrift durch die lateinische Schrift ersetzte. Heute ist diese Kontroverse erneut aufgeflammt, nachdem das Parlament in der Hauptstadt Kischinau Anfang März nämlich dafür gestimmt hat, dass die Amtssprache im Land künftig offiziell nicht mehr als Moldawisch sondern Rumänisch bezeichnet wird. Diese Entscheidung hat im Parlament zu Schlägereien zwischen den Abgeordneten von Regierung und Opposition geführt. Die Opposition hat zuvor versucht, das Votum mit einer Blockade zu verhindern.

Zuletzt war der Sprachenstreit im Jahr 2013 eskaliert, nachdem das Verfassungsgericht Moldawiens entschieden hatte, dass Rumänisch Moldawisch beziehungsweise moldawische Sprache als offizielle Bezeichnung für die Landessprache ablösen sollte. Das Verfassungsgericht begründete die Entscheidung laut der Wiener Zeitung damit, dass der Ausdruck Rumänisch auch in Moldawiens Unabhängigkeitserklärung von 1991 als solche verwendet wird. Die Initiative ging damals auf mehrere Abgeordnete zurück, die darauf hingewiesen hatten, dass die sprachwissenschaftliche und historische Basis für die bisherige Bezeichnung völlig fehlte.

Die Tatsache, dass dieser Streit erneut die Staatspolitik Moldawiens bestimmt, zeigt, dass die pro-rumänischen Eliten des Landes nicht gewillt sind, von der Unirea abzurücken und etwa Moldawisch als Amtssprache „zu akzeptieren“. Damit sind nicht nur weiterere Spannungen innerhalb Moldawiens vorprogammiert, sondern auch die zunehmende Spaltung der Gesellschaft.

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