Kanzler Scholz hat in Argentinien den Bezug von Frackinggas angebahnt. Fracking löst in der Förderregion viele Erdbeben aus. Argentinien sucht westliche Dominanz abzuschütteln.

Die Bundesregierung bemüht sich um den Bezug größerer Mengen an Frackinggas aus Argentinien. Das ist ein Ergebnis der dreitägigen Südamerikareise, von der Bundeskanzler Olaf Scholz am heutigen Dienstag zurückkehrt. Das Gas soll in verflüssigter Form importiert werden und dazu beitragen, russisches Erdgas vollständig zu ersetzen. Es wird aus der Schieferformation Vaca Muerta („Tote Kuh“) im Westen Argentiniens gefördert, wo auch das deutsche Unternehmen Wintershall Dea tätig ist. Einwohner der Region klagen seit Jahren über gravierende Umweltschäden und darüber, dass seit Beginn des Frackings hunderte Erdbeben verzeichnet wurden. Während Berlin sich dort mit Gas eindecken will, unternimmt Buenos Aires neue Schritte, um die überkommene westliche Dominanz abzuschütteln. So hat es etwa die Mitgliedschaft im BRICS-Bündnis beantragt und dies damit begründet, die gegenwärtige „Weltordnung“ sei „erwiesenermaßen von und zum Nutzen einiger weniger geschaffen“ worden. Jüngste westliche Forderungen, Waffen aus russischer Produktion in seinen Beständen an die Ukraine zu liefern, weist Argentinien kategorisch zurück.

Vaca Muerta

Argentinien, das Land mit dem größten Erdgasmarkt Südamerikas, fördert Gas seit langer Zeit und hat es über viele Jahre hin auch exportiert – via Pipelines nach Chile, Uruguay und Brasilien.[1] Wegen des gestiegenen Eigenbedarfs waren die Ausfuhren vor gut 15 Jahren allerdings dramatisch geschrumpft; erst in den vergangenen Jahren hat das Land mit der Steigerung der Förderung von Schiefergas begonnen, wieder Potenzial für Erdgasexporte zu entwickeln. Schwerpunkt der Schiefergasförderung ist die Formation Vaca Muerta („Tote Kuh“), die ihren Mittelpunkt in der Provinz Neuquén im Westen des Landes hat. Vaca Muerta gilt als zweitgrößte Schiefergaslagerstätte weltweit. In der Hoffnung, den Gasexport weiter steigern zu können, treibt Buenos Aires den Ausbau der Transportinfrastruktur voran; so wird derzeit eine Pipeline aus dem Gebiet von Vaca Muerta in die Hauptstadtregion errichtet, wo der Bau von Exportterminals für Flüssiggas geplant ist. Buenos Aires kämpft dabei mit ökonomisch ungünstigen Rahmenbedingungen. So hemmt die exzessive Inflation, die im Dezember bei annähernd 100 Prozent lag, die erforderliche Investitionstätigkeit, während es Schwierigkeiten gibt, genug Frackingausrüstung zu beschaffen.[2]

Wintershall Dea

Zu den Ländern, die künftig argentinisches Flüssiggas erwerben wollen, zählt Deutschland. Mögliche Lieferungen waren bereits Gegenstand der Gespräche, zu denen Präsident Alberto Fernández im Mai 2022 nach Berlin gereist war; Fernández erklärte damals, Buenos Aires wolle „die Welt … mit LNG beliefern“ und sehe dabei „große Chancen, mit Deutschland zu arbeiten“.[3] Am Samstag bekräftigte Argentiniens Präsident nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in der argentinischen Hauptstadt, man habe nicht zuletzt „über Erdgas“ geredet, „das wir mit dem Vorkommen in Vaca Muerta haben“. Scholz bestätigte, man werde sich zukünftig bei der „Nutzung von Flüssiggas“ eng miteinander abstimmen.[4] Das ist auch deshalb von Interesse, weil die deutsche Wintershall Dea in Argentinien Erdgas fördert. Das Unternehmen hat seine Tätigkeit in dem Land 1978 aufgenommen, also in der Zeit der Militärdiktatur. Heute zählt es zu den fünf größten Erdgasförderern im Land.[5] Unter anderem ist es daran beteiligt, Schiefergas aus der Formation Vaca Muerta zu fracken. Wintershall Dea gibt an, bis 2026 bis zu 350 Millionen Euro in Argentinien investieren zu wollen – in Projekte in den Provinzen Tierra del Fuego (Feuerland) und Neuquén.[6]

Hunderte Erdbeben

Das Fracking ruft in den Gebieten, unter denen sich die Vaca Muerta-Formation erstreckt, erhebliche Schäden hervor und hat immer wieder Proteste ausgelöst. Schon vor Jahren wurde von Lecks an den Bohrstellen berichtet und davon, dass die Einwohner und die Nutztiere in der Region gesundheitliche Schäden davontrugen. Unfälle verstärkten die Probleme, hieß es; allein im Jahr 2018 seien 934 Pannen an insgesamt 95 Bohrstellen geschehen.[7] Darüber hinaus treten vermehrt Erdbeben auf. Wurden in der Region vor 2015 keine Erdbeben registriert, so waren es seit 2018 rund 400; 90 Prozent davon ereigneten sich laut einer neuen wissenschaftlichen Untersuchung zur selben Zeit wie größere Frackingoperationen.[8] Die Erschütterungen beschädigen regelmäßig Gebäude und versetzen die Bewohner in Angst und Schrecken. Ein argentinischer Aktivist konstatiert mit Blick darauf, dass auch die deutsche Wintershall Dea an der Schiefergasförderung beteiligt ist: „Das Unternehmen begeht Umweltverbrechen mit Fracking, was es im eigenen Land nicht praktizieren darf.“[9] Die aktuelle Ausweitung des Frackings wiederum kommt dem Plan der Bundesregierung zugute, auf russisches Erdgas gänzlich zu verzichten und dafür anderes Gas, etwa Frackinggas aus Argentinien, zu erwerben. Den Preis für den deutschen Wirtschaftskrieg gegen Russland zahlen die Bewohner der Vaca Muerta-Region.

BRICS als Alternative

Berlin treibt die Pläne zur Ausweitung des Frackinggasbezugs aus Argentinien zu einer Zeit voran, zu der Buenos Aires die westliche Dominanz abzuschütteln sucht und sich anderweitig zu orientieren beginnt. Bereits im September hatte der argentinische Botschafter in China mitgeteilt, Präsident Fernández habe soeben in einem Schreiben an den chinesischen Präsidenten Xi Jinping, den damaligen BRICS-Vorsitzenden, seine Mitgliedschaft in dem Bündnis beantragt: „Für uns“, erläuterte der Botschafter, „ist die Gruppe eine ausgezeichnete Alternative zur Kooperation angesichts einer Weltordnung, die erwiesenermaßen von und zum Nutzen einiger weniger geschaffen wurde.“[10] Zusätzlich zu den Plänen für eine BRICS-Mitgliedschaft hat Buenos Aires begonnen, an der Seite von Brasília über eine gemeinsame brasilianisch-argentinische Währung zu diskutieren, um seine erdrückend starke Abhängigkeit vom US-Dollar abzuschütteln. Entsprechende Überlegungen wurden in der vergangenen Woche bei einem Treffen von Fernández und dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva bekannt. Beobachter weisen auf ökonomische Schwierigkeiten hin, die das Vorhaben mit sich bringt, räumen aber ein, die beiden südamerikanischen Länder könnten von größerer Unabhängigkeit vom US-Dollar erheblich profitieren.[11]

Keine Waffen

Entsprechend weist Buenos Aires auch das Ansinnen, sich am Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland zu beteiligen oder gar der Ukraine Waffen zu liefern, kategorisch zurück. Die Biden-Administration ist gegenwärtig bemüht, einzelne Staaten Lateinamerikas, die Waffen aus sowjetischer bzw. russischer Produktion besitzen, dazu zu bewegen, entweder diese Waffen direkt an die Ukraine zu liefern oder sie gegen modernste US-Waffen auszutauschen – mit dem Ziel, das sowjetische oder russische Kriegsgerät nach Erhalt an Kiew weitergeben zu können. In US-Medien ist davon die Rede, Staaten wie Mexiko, Kolumbien, Peru oder Argentinien besäßen beispielsweise russische Transporthubschrauber vom Typ Mi-17, die die Ukraine dringend benötige. Washington rechne sich Chancen aus, heißt es, zumindest einige der betreffenden lateinamerikanischen Staaten zur Kooperation in der Sache bewegen zu können.[12] Am Samstag hat Argentiniens Präsident dem Ansinnen nun eine Absage erteilt. Man stimme „in der Notwendigkeit überein“, erklärte Fernández nach einem Treffen mit Bundeskanzler Scholz, „so bald wie möglich wieder Frieden herzustellen“. Doch gelte auch: „Argentinien und Lateinamerika denken nicht daran, Waffen zu schicken, weder an die Ukraine noch an einen anderen Konfliktort.“[13]

 

[1] Roberto Carnicer, Ieda Gomes: Will Argentina Become a Relevant Gas Exporter? OIES Paper: NG 167. Oxford, May 2021.

[2] Analysis: Argentina’s Vaca Muerta shale boom is running out of road. brazilenergyinsight.com 27.12.2022.

[3] Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Präsident Fernández zum Empfang des Präsidenten der Republik Argentinien in Berlin am 11. Mai 2022.

[4] Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem argentinischen Präsidenten Alberto Ángel Fernández am 28. Januar 2023 in Buenos Aires.

[5] Argentinien: Engagement für Erdgas. wintershalldea.com.

[6] Argentinien: Mit Gas in die Zukunft. wintershalldea.com 24.03.2022.

[7] Uki Goñi: Indigenous Mapuche pay high price for Argentina’s fracking dream. theguardian.com 14.10.2019.

[8] Fracking in Argentina’s Vaca Muerta leads to earthquakes. gasoutlook.com 09.12.2022.

[9] Fracking – Wintershall und die tote Kuh. npla.de 23.12.2021.

[10] Argentina Formally Requests China to Join BRICS. telesurenglish.net 08.09.2022.

[11] Lucinda Elliott, Bryan Harris, Michael Stott: Brazil and Argentina’s joint currency plan raises economic concerns. ft.com 27.01.2023.

[12] Jeff Seldin: US Pushing Central, South American Countries to Give Ukraine Quick Military Boost. voanews.com 20.01.2023.

[13] Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem argentinischen Präsidenten Alberto Ángel Fernández am 28. Januar 2023 in Buenos Aires.

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