Qatar sagt Deutschland Flüssiggaslieferungen für 15 Jahre zu – zu wenig, um russisches Gas zu ersetzen, zu lange für die Energiewende. Deutsche Firmen bauen Qatars Rüstungsindustrie auf.

Deutschland wird ab 2026 relativ geringe Mengen Erdgas aus Qatar erhalten und muss sich auf eine Vertragslaufzeit einlassen, die offen der Energiewende zuwiderläuft. Dies sieht eine Liefervereinbarung vor, die gestern nach langwierigen Verhandlungen mit dem Staatskonzern Qatar Energy erzielt werden konnte. Demnach wird Qatar in vier Jahren beginnen, zwei Millionen Tonnen Flüssiggas im Jahr zu liefern – rund 5 Prozent der Menge, die Nord Stream 1 transportierte. Woher das bis 2026 benötigte Erdgas kommen soll, ist weiterhin unklar. Experten urteilen, bei konsequenter Umsetzung der Energiewende solle eigentlich bereits in fünf Jahren kein zusätzliches Flüssiggas mehr nötig sein. Robert Habeck, Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, nennt die 15-Jahre-Laufzeit „super“. Der Ausbau der Zusammenarbeit mit dem Emirat, das die Bundesregierung zur Zeit mit einer Negativkampagne überzieht, findet auch auf anderen Geschäftsfeldern statt. So unterstützen deutsche Rüstungskonzerne Doha beim Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie. Qatar hat aus Deutschland Kampfpanzer und weitere Waffen für Milliardensummen erhalten, darunter Flugabwehrpanzer zum Schutz der Fußball-WM.

Zu wenig, zu lange

Die Bundesrepublik erhält ab 2026 jährlich zwei Millionen Tonnen Flüssiggas aus Qatar. Eine entsprechende Vereinbarung hat gestern der Energieminister des Emirats und Chef des Staatskonzerns Qatar Energy, Saad Sherida al Kaabi, bekanntgegeben.[1] Die Lieferungen werden bis 2041 fortgesetzt. Der Preis ist nicht bekannt. Zwei Millionen Tonnen Flüssiggas entsprechen 2,7 Milliarden Kubikmetern Erdgas; das sind rund 3 Prozent des deutschen Verbrauchs (2021: 90,5 Milliarden Kubikmeter) und rund 5 Prozent der Menge, die jährlich über Nord Stream 1 geliefert wurde.[1] Um das Erdgas aus Russland zu ersetzen, fehlt noch viel. Zudem ist weiterhin vollkommen unklar, woher Deutschland bis 2026 sein Erdgas erhalten soll; ausschließliche Käufe auf dem Spotmarkt wären überaus teuer. Hinzu kommt, dass die Laufzeit der Vereinbarung dem Ausstieg aus dem Verbrauch fossiler Energieträger entgegensteht. Berlin hatte Verträge mit einer Laufzeit von 5 Jahren gewünscht; bis dahin müsse Deutschland eigentlich „so viel Gas eingespart haben, dass LNG-Importe nicht mehr nötig sind“, wird Niklas Höhne, ein Experte des New Climate Institute, zitiert.[2] Verträge von fünf Jahren sind aber nicht zu haben, da sich mit ihnen die neuen Förderanlagen, die Qatar errichtet, nicht finanzieren lassen.

Prügel für den Lieferanten

In den vergangenen Tagen und Wochen hatten mehrere deutsche Minister sowie andere Spitzenpolitiker Qatar, das sich jetzt als Erdgaslieferant für die Bundesrepublik zur Verfügung stellt, nicht nur scharf attackiert, sondern es im Rahmen einer Negativkampagne anlässlich der Fußball-WM öffentlich bloßgestellt. So hatte Innenministerin Nancy Faeser während des ersten Spiels der deutschen Mannschaft am vergangenen Mittwoch auf der Tribüne mit einer „One Love“-Binde posiert – ein für Regierungsmitglieder nicht üblicher Affront: So ist nicht bekannt, dass Faeser etwa bei Besuchen in den USA eine „Black Lives Matter“-Binde tragen würde.[3] Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte die Vergabe der WM an Qatar öffentlich für „bekloppt“ erklärt – eine Äußerung, die Qatars Energieminister Al Kaabi als „nicht hilfreich für die Beziehungen“ einstufte.[4] Habeck, auch Minister für Klimaschutz, hat die 15 Jahre lange Laufzeit der Liefervereinbarung, die Klimaschützer scharf kritisieren, gestern öffentlich „super“ genannt und das Lieferabkommen mit dem Emirat, das insbesondere Mitglieder und Anhänger seiner Partei (Bündnis 90/Die Grünen) wegen der dort verbreiteten Diskriminierung nicht heterosexueller Lebensformen sowie aus dem Ausland angeworbener Arbeitskräfte heftig attackieren, explizit gelobt.

Milliardenschwere Waffenlieferungen

Tatsächlich kooperiert die Bundesrepublik, die sich aktuell als Speerspitze des sozialen Fortschritts inszeniert und das Emirat öffentlich bloßstellt, auch sonst überaus eng mit Qatar. So werden etwa auch die deutschen Rüstungsgeschäfte mit Doha ausgebaut. Die bis dahin unbedeutenden Rüstungsexporte waren im Jahr 2013 in die Höhe geschnellt, nachdem Berlin einen Waffendeal mit einem Volumen von 1,89 Milliarden Euro genehmigt hatte. Dabei ging es um die Lieferung von 62 Kampfpanzern Leopard 2A7+ – der modernsten Variante des Leopard –, 24 Panzerhaubitzen 2000, sechs Bergepanzern Wisent sowie weiteren Fahrzeugen und Waffen plus Munition an das Emirat. Später kamen noch 13 Militärtransporter Dingo sowie 32 Spähwagen Fennek hinzu.[5] Das Milliardengeschäft wurde von – in der Branche nicht seltenen – Korruptionsvorwürfen begleitet: Laut Berichten zahlte die Waffenschmiede KMW damals Provisionen von 100 Millionen Euro [6], um sich gegen ihren französischen Konkurrenten Nexter durchzusetzen. Im Jahr 2020 genehmigte die Bundesregierung zudem den Verkauf von 15 Flugabwehrpanzern Gepard zuzüglich Ersatzteilen und Munition; die Rede war von 16.000 Patronen.[7] Die Flugabwehrpanzer wurden bestellt und 2021 geliefert, um die insgesamt acht Stadien der Fußball-WM gegen etwaige Anschläge mit Drohnen zu schützen. In dieser Funktion werden sie in diesen Tagen tatsächlich eingesetzt.

Aufbauhilfe für die Rüstungsindustrie

Eine langfristig angelegte, engere Kooperation mit Qatar hat der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern gestartet. Kern ist ein Joint Venture mit Barzan Holdings, einem 2018 gegründeten Unternehmen, das dem qatarischen Verteidigungsministerium gehört und die Aufgabe hat, dem Emirat zu einer eigenen Rüstungsindustrie zu verhelfen. Entsprechendes streben Saudi-Arabien mit der Staatsfirma SAMI (Saudi Arabian Military Industries) und die Vereinigten Arabischen Emirate mit der EDGE Group an. Rheinmetalls Joint Venture mit der Barzan Holdings (Rheinmetall Barzan Advanced Technologies, RBAT) wurde im März 2018 gegründet. In einem ersten Schritt vereinbarte RBAT mit mehreren qatarischen Firmen den Aufbau einer Munitionsproduktion in dem Emirat. Zudem sagte das Joint Venture die Beschaffung neuer Simulationstechnologie für Qatars Streitkräfte zu, um den Häuserkampf zu trainieren.[8] Darüber hinaus entwickelt RBAT etwa auch unbemannte Landfahrzeuge (Unmanned Ground Vehicles, UGV) [9] sowie Command and Control-Software (C2), die unter anderem genutzt werden kann, um die UGV zu steuern [10]. Berichtet wurde jüngst auch von einer Kooperation bei der Versorgung der qatarischen Marine mit Lasersystemen. Dazu soll am Rande des Berlin-Besuchs von Emir Tamim bin Hamad al Thani im Mai eine Übereinkunft erzielt worden sein.

Nicht nur in Qatar

Für Rheinmetall ist RBAT lediglich ein Teil umfassenderer Aktivitäten beim Aufbau einer Rüstungsindustrie in den Staaten der Arabischen Halbinsel. Bereits 2018 hatte der vormalige Rheinmetall-Manager Andreas Schwer in Riad den Chefposten bei SAMI erhalten und ihn bis 2020 inne.[11] Im März 2022 wurde bekannt, dass Rheinmetall ein Joint Venture namens Radarabia mit der saudischen MAZ Group gegründet hat; es soll zunächst Wartung und Reparatur von Flugabwehrwaffen übernehmen und perspektivisch mit Hilfe des Schweizer Rheinmetall-Ablegers in Oerlikon eine eigene Produktion im Land aufbauen.[12] Bereits im Jahr 2007 hatte Rheinmetall ein Joint Venture in den Vereinigten Arabischen Emiraten zur Schaffung einer Munitionsproduktion gegründet; das Werk, aus dem sich das Düsseldorfer Unternehmen mittlerweile wieder zurückgezogen hat, ist heute Teil der EDGE Group. Der EDGE Group wiederum gehört das Unternehmen HALCON an, das unter anderem Raketen zur Flugabwehr auf kurze Strecken produziert; die Raketen namens SkyKnight werden seit dem vergangenen Jahr für das Luftverteidigungssystem Oerlikon Skynex des Schweizer Rheinmetall-Ablegers genutzt.[13] Skynex befindet sich heute unter anderem im Bestand der Streitkräfte von Qatar.[14]

 

[1] Kathrin Witsch, Klaus Stratmann: Deutschlands Gas-Deal mit Katar deckt nur Bruchteil des LNG-Bedarfs ab. handelsblatt.com 29.11.2022.

[2] Nora Marie Zaremba: Nun doch Erdgas aus Katar. tagesspiegel.de 29.11.2022.

[3] S. dazu Werte im Systemwettstreit.

[4] Mathias Brüggmann, Sabine Gusbeth: China sichert sich für 27 Jahre Erdgas aus Katar. handelsblatt.com 24.11.2022.

[5] Länderbericht Katar. Bonn International Centre for Conflict Studies. Bonn, 25.07.2022.

[6] Sönke Iwersen, Martin Murphy, Lars-Marten Nagel, Christopher Gilb: Milliardenauftrag aus Katar – Schmierte KMW einen katarischen General? handelsblatt.com 14.11.2019.

[7] S. dazu Mehr Panzer für Mittelost.

[8] Barzan signs seven agreements at Didmex. gulf-times.com 15.03.2022.

[9] Federico Borsari: Tools of influence: Drone proliferation in the Middle East and North Africa. ecfr.eu 27.05.2022.

[10] Luca Peruzzi: Rheinmetal Barzan Advanced Technologies delivers C2 software to national security and defence customers. edrmagazine.eu 25.03.2022.

[11] S. dazu Man schießt deutsch (II).

[12] Charles Forrester: WDS 2022: Rheinmetall, MAZ Group launch joint venture. janes.com 07.03.2022.

[13] Chyrine Mezher: UAE’s First Air Defense Missile To Be Used on German Oerlikon Skynex. breakingdefense.com 24.02.2021.

[14] Jeremy Binnie: Qatar unveils Skynex air defence. janes.com 14.10.2022.

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