Haben Sie sich jemals gefragt, warum eine vermeintlich intelligente Spezies, Homo sapiens, mit Volldampf in die globale ökologische Katastrophe steuert, ohne die Bremse zu ziehen? Warum die Treibhausgasemissionen immer noch ansteigen, obwohl der Zusammenbruch des Klimas unübersehbar begonnen hat? Warum die Zerstörung von Lebensraum trotz des sechsten Massenaussterbens weitergeht? Es sind Kräfte im Spiel, von denen wir nicht viel hören. Können wir hinter die Schleier blicken?

Wie das rechtsextreme Netzwerk (nicht nur) die Klimadebatte beherrscht

Teil 6 der 10-teiligen Reihe „Der Kampf um die Rückgewinnung unseres Planeten Erde“

Von Fred Hageneder

Billige Energie ist der Motor unserer Zivilisation. Leider ist sie auch der Motor für die massive Zerstörung der natürlichen Welt in all ihren Aspekten. Und in dem Maße, in dem die Ökosphäre des Planeten Erde geschwächt wird und sein ehemals stabiles, wohlwollendes Klimasystem zusammenbricht, ist auch die Zivilisation, wie wir sie kennen, in Gefahr. Der größte Widerstand gegen eine Lockerung des eisernen Griffs der Menschheit auf die Ökosphäre kommt aus der Rohstoffwirtschaft selbst, insbesondere aus dem Energiesektor.

Denkfabriken und Schwarzgeld

In den USA selbst investiert die amerikanische Ölplutokratie mehr denn je in Strategien zur Untergrabung des Klimaschutzes; Schätzungen gehen von 500 Millionen Dollar jährlich aus (1), weshalb der Klimatologe Manfred E. Mann dies als “die am besten finanzierte und organisierte PR-Kampagne der Geschichte” bezeichnet. (2) Dieser neue, von der fossilen Brennstoffindustrie geführte Klimakrieg bedient sich einer Reihe von Strategien (siehe Teil 1 über die Manipulation der Klimadebatte), um Zweifel an der Klimawissenschaft und an erneuerbaren Energien zu säen und die Öffentlichkeit generell zu entmachten. Diese Strategien – Desinformation und Täuschung, Ablenkung und Umlenkung, Verzögerung, Endzeitstimmung und Verzweiflung – werden im großen Stil eingesetzt, um den notwendigen Systemwandel zu verhindern.

Dabei geht es nicht nur um Lobbyarbeit im herkömmlichen Sinne, bei der Lobbyisten in Regierungsvierteln arbeiten, um Politiker und Gesetzgeber dahingehend zu beeinflussen, dass sie Dinge vertreten, die sie im öffentlichen Interesse – und im Interesse des Planeten – niemals in Erwägung ziehen dürften.

Video: Koch Industries‘ mysterious ‚internal bank‘ in Switzerland | Guardian Explainers
Ein kleiner Eindruck der Geldverschiebung durch Strohfirmen im Koch-Netzwerk

Die Hauptakteure in diesem neuen Klimakrieg sind so genannte “Think Tanks”, deren Spitzenkräfte zahllose Kampagnen und sogar klassische Psyops entwerfen, um die öffentliche Aufmerksamkeit von den wahren Problemen abzulenken. Das Spektrum reicht von der Beauftragung bestochener “wissenschaftlicher Studien” (siehe Teil 7) zur Untermauerung der Argumente klimaleugnender konservativer Politiker bis hin zur Überflutung der (rechten) Medien und des Internets mit Fehlinformationen, Täuschung, Ablenkung und Endzeitstimmung. Für letzteres orchestriert eine große Schar bezahlter Mitarbeiter eine Vielzahl erfundener Internet-Domains, gefälschter Social-Media-Konten und Troll-Bot-Armeen. So stammen beispielsweise an einem beliebigen Tag etwa ein Viertel aller klimabezogenen Tweets von Bots, vor Klimakonferenzen sogar mehr als ein Drittel. (3)

Obwohl ihre Aufgabe darin besteht, die öffentliche Wahrnehmung und Meinung im Sinne ihrer radikalen Agenda verdeckt zu beeinflussen, wofür sie Behavioral Micro-Targeting und emotionale Manipulation einsetzen, tragen diese “Think Tanks” seriös klingende Namen und geben sich als objektive und neutrale “Institute” und “Stiftungen” aus. Hier werden “Akademiker, die klimaskeptische Positionen vertreten, in Kommunikationsarbeit geschult, um sich in Mediendiskussionen einzuschalten.” (4) Dahinter steckt eine strikte Agenda, die von rechtsextremen libertären Milliardären finanziert wird, meist mit Schwarzgeld über ein Netzwerk von Scheinstiftungen und deren Version von “Philanthropie”.

Philanthropie ist zweifellos eine gute Sache. Oder war es einmal. Menschen, die mehr Geld haben, als sie brauchen, spenden beträchtliche Summen für öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Krankenhäuser oder andere wohltätige Zwecke. Und Superreiche können sogar noch mehr spenden, was sie auch oft tun. Ehrensache.

Doch schon bald merkte jemand, dass steuerlich absetzbare Spenden auch für nicht so wohltätige Zwecke verwendet werden können. Ja, sogar zur Förderung ausgesprochen hinterhältiger Ziele, die weder der Öffentlichkeit noch dem Planeten noch sonst jemandem dienen, sondern nur der Ideologie des reichen Spenders. Dieses System stützt sich auf das US-Gesetz, wonach die Identität der Spender für wohltätige Zwecke nicht offengelegt werden muss. Abgesehen davon braucht es nur ein Netzwerk von “Instituten”, die das Geld so lange weiterleiten, bis die Spuren ausreichend verwischt sind. Es handelt sich um Schwarzgeld, das aus dem hervorgeht, was Jane Mayer als zur Waffe gemachte Philanthropie” (weaponized philanthropy) bezeichnet.

Jane Mayer ist eine investigative Journalistin, deren Recherchen in diesem Bereich zu einem von der Kritik hochgelobten Buch führten: Dark Money: Wie eine geheimnisvolle Gruppe von Milliardären versucht, die politische Kontrolle in den USA zu kaufen. So lautet jedenfalls der britische Untertitel. Die amerikanische Originalausgabe bringt das Problem noch besser auf den Punkt: Dark Money: Die verborgene Geschichte der Milliardäre hinter dem Aufstieg der radikalen Rechten.

Video: Jane Mayer / The Koch Brothers and the Weaponizing of Philanthropy
Discussion with Jane Mayer at Stanford University’s Ethics in Society forum

Die radikale Rechte

Radikale Rechte – jetzt wird es beunruhigend. Hier geht es nicht um die Öl- und Kohlekonzerne selbst, die ihre Bilanzen und ihre Politik sauber halten. Es geht um ihre privaten Eigentümer, die einen Teil ihrer Gewinne verwenden, um in einen ultrakonservativen, “libertären” Kurs zu investieren. Es geht um die Top-Elite, die 0,01 Prozent. Und “zur Waffe gemachte Philanthropie” hält auch ihre Bilanzen sauber.

Ihre Art von “Libertarismus” ist eine grobe Verzerrung der ursprünglichen Bedeutung und Geschichte des Begriffs. Während er einst Ambitionen beschrieb, für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit für alle Menschen einzutreten, will der rechtsextreme “Libertarismus” der Multimilliardäre des fossilen und des Bankensektors nur Freiheit für die Elite selbst. Befürwortet werden der Kapitalismus und unregulierte freie Marktwirtschaft, starke private Eigentumsrechte, z. B. in Bezug auf Land, Infrastruktur und natürliche Ressourcen, Globalismus (sogar Neokolonialismus), internationale Freihandelsabkommen, Deregulierung und minimale Kontrollen der Industrie (insbesondere im Naturschutzbereich) sowie eine starke Begrenzung der Macht von Regierungen. Befürwortet wird die Abschaffung der Körperschaftssteuer und der Schutz der Steuersenkungen für die Superreichen.

Außerdem ist die rechtslibertäre Elite für eine umfassende Umkehrung des modernen Wohlfahrtsstaates. Hochrangige Industrielibertäre wollen die öffentlichen Ausgaben drastisch gekürzt sehen und damit Millionen von Menschen soziale Sicherheit und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Das Argument könnte elitärer nicht sein, es lautet, dass ein Sozialstaat, der “Verlierer” unterstützt, damit nur Schwäche belohnt und noch mehr “nutzlose Menschen mit begrenzter Intelligenz” hervorbringt (Stichwort Sozialdarwinismus, schon lange wiederlegt; vergleiche aber Wikipedia: Die Glockenkurve).

Die Ablehnung von Steuern und Vorschriften hört nicht mit der Forderung nach begrenzter staatlichen Einmischung auf. Viele dieser Superreichen wollen den Staat ganz abschaffen. Wie der einflussreiche rechtslibertäre Stratege Grover Norquist riet: die Regierung auf eine Größe schrumpfen, bei der “wir sie in der Badewanne ertränken könnten.” (5) Und wie der fossile Milliardär Charles Koch erklärte: “Unsere Bewegung muss das vorherrschende Staats-Paradigma zerstören.” (6)

Dieses Ende des Spektrums ist derart extremistisch, dass Politologen und Journalisten von Anarcho-Kapitalismus oder Anarcho-Totalitarismus sprechen.

Diese Leute halten selbst George W. Bush und Ronald Reagan für zu moderat. Kein Wunder, dass sie den geringsten Gedanken an soziale Gerechtigkeit, soziale Demokratie oder grüne Politik als Bedrohung von Links bzw. Kommunismus verurteilen. Über ihre politischen Interessenvertretungen drängen die libertären Milliardäre auf weitere Steuersenkungen für die Reichen in Billionenhöhe und wollen dies durch Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben finanzieren (wobei sie in Kauf nehmen, dass dadurch unter anderem Millionen von Menschen ihre Lebensmittelmarken verlieren und Hunderttausende von Kindern ihre Zuschüsse zum Schulessen und ihren Krankenversicherungsschutz einbüßen würden).

Doch trotz ihres allgemeinen Rufs nach begrenzter Regierungsmacht war die Einmischung des Staates plötzlich willkommen, als dem Bankensektor selbst (und damit dem Vermögen der wohlhabenden Libertären) 2008 vom Finanzministerium von Präsident Bush ein 700 Milliarden Dollar schweres Rettungspaket angeboten wurde (TARP). Denn letztendlich haben sich die Reichen “vom bürgerlichen Leben der Nation und von jeglicher Sorge um ihr Wohlergehen abgekoppelt, außer als Ort für zusätzliche Beute”, wie ein konservatives Mitglied des Haushaltsausschusses des Senats 2012 beschrieb. (7)

Abgesehen von all dem ist das allgemeine Wertesystem in diesen Kreisen elitär, zutiefst rassistisch, homophob, frauenfeindlich und oft mehr als nur grenzwertig faschistisch.

Das rechtsextreme Einflussnetzwerk

Zum Glück für den Rest der Menschheit haben auch reiche Menschen unterschiedliche Meinungen. Doch angesichts der gemeinsamen existenziellen Bedrohung durch den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen haben zwei der zehn reichsten Männer der Welt, die Brüder Charles und David Koch, auf schlaue Weise eine große Zahl von ihresgleichen zusammengeführt. Seit 2009 veranstalten die Gebrüder Koch jedes Jahr ein Treffen von etwa vierhundert bis fünfhundert handverlesenen Konservativen, um mit ihnen zu “investieren”. Diese Konferenzen werden strengstens geheim gehalten, und nur eine einzige vollständige Gästeliste ist jemals durchgesickert (die Sitzung vom Juni 2010). Dominiert wurde sie von weißen Männern aus dem Finanzsektor (Hedgefonds) und der fossilen Brennstoffindustrie sowie von rechten Medienmogulen, konservativen Politikern und wortgewandten Publizisten, die in rechten Denkfabriken arbeiten.

Die Ehrengäste waren jedoch die Spender, unter denen sich achtzehn Milliardäre mit einem Gesamtvermögen von über 200 Milliarden Dollar (Stand 2015) befanden (Mayer, S. 9). Diese Kohle-, Öl-, Gas- und Bergbaumagnaten bilden den Kern des Koch-Spendernetzwerks. Im nächsten Schritt nach dem Einsammeln der Spenden sorgen das Koch-Einflussnetzwerk und sein integriertes “Nachrichten-Netzwerk dafür, dass diese Gelder effektiv für die Förderung ihrer Agenda ausgegeben werden, insbesondere für die Bekämpfung von Klimaschutz, Steuern und staatlicher Regulierung.

In den Worten der American University School of Communication haben die Gebrüder Koch “die vielleicht am besten finanzierte, vielseitigste öffentliche, politische und bildungspolitische Präsenz in der heutigen Nation aufgebaut. … dieser umfangreiche, sektorübergreifende Koch-Club bzw. Netzwerk scheint in Größe, Umfang und Finanzierung beispiellos zu sein.” (8) Einen atemberaubenden Einblick in diese vielarmige Koch-Krake (“Kochtopus”), wie sie auch genannt wird, finden Sie in Teil 7.

Interessanterweise sind die Koch-Brüder und ihr Imperium in Deutschland völlig unbekannt. In den deutschen Leitmedien (die inzwischen oft auch nur mit Geldern aus amerikanischen Sponsorenkanälen überleben) erschien bisher kaum je etwas. Auch das Buch von Jane Mayer, welches in den USA ein Bestseller war, fand nie eine deutsche Übersetzung. In den USA gibt es viel seriöse Literatur und riesige Demonstrationen gegen die Koch-Brüder und den Rest der 1%-Elite, aber praktisch kein Wort darüber in deutschen Medien.

Video: The Koch Brothers‘ „Dark Money“ | Jane Mayer
Interview mit Jane Mayer über das Koch-Imperium

Hintergrund-Check: Die Gebrüder Koch haben ihr finanzielles Gewicht dadurch erlangt, dass sie die alleinigen Eigentümer und Führungskräfte von Koch Industries sind, dem größten Unternehmen in Privatbesitz in den Vereinigten Staaten. Es handelt sich um einen multinationalen Mischkonzern, der hauptsächlich Erdöl, Chemikalien, Düngemittel und Kunststoffe raffiniert, erzeugt und vertreibt. Die geschäftlichen Grundlagen wurden von ihrem Vater Fred Koch gelegt, indem er sich mit den beiden schrecklichsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts einließ: Er verdiente seine ersten 500.000 Dollar, indem er Joseph Stalin beim Aufbau von Ölraffinerien in der Sowjetunion half. Und 1933 wechselte er zu Adolf Hitlers Drittem Reich. Zum Beispiel baute er in Hamburg die drittgrößte Erdölraffinerie des Reiches und damit eine Schlüsselkomponente der Kriegsmaschinerie der Nazis.

Doch wie diese alten, dunklen Wurzeln zeigen, ist die rechtsextreme markt-libertäre Weltsicht ein marginales Relikt der Vergangenheit. Nur weil so viel Geld im Umlauf ist, können diese Ideen einer minimalen Regierung und einer globalen Elite “in Denkfabriken von Leuten wie Charles und David Koch und ExxonMobil gefüttert und gekleidet werden”, wie Naomi Klein betont. (Klein 2019, S. 93)

Diese faschistische Weltordnung kann nicht mehr lange existieren. Aber noch müssen wir uns mit ihr auseinandersetzen, um sie zu entmachten. Einen Einblick ins Mediennetzwerk der rechtsextremen Mílliardäre finden Sie in Teil 7.

Teil 7 und folgende werden demnächst hier auf Pressenza veröffentlicht.

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Die gesamte 10-teilige Reihe:

Der Kampf um die Rückgewinnung unseres Planeten Erde

Teil 1: Die verblüffenden Strategien der fossilen Brennstoffindustrie

Teil 2: Die verblüffenden Strategien der fossilen Brennstoffindustrie (Teil 2)

Teil 3: Die gefährliche Täuschung des “Net Zero bis 2050”

Teil 4: Dirty Oil: Es geht nicht nur um Kohlenstoff, verdammt nochmal!

Teil 5: Die Fossilgiganten, Freihandel und Krieg

Teil 6: Wie das rechtsextreme Netzwerk (nicht nur) die Klimadebatte beherrscht

Teil 7: Das schockierende Ausmaß des rechtsextremen Einflussnetzwerks

Teil 8: Klimakrise, Corona und Verschwörungstheorien

Teil 9: Wie Verschwörungstheorien nur einem Herrn dienen

Teil 10: Der “Great Reset” und Totalitarismus gegen die echte grüne Revolution

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Quellen

Hauptquellen:

Jane Mayer 2016. Dark Money: How a secretive group of billionaires is trying to buy political control in the US. Scribe, London.

Michael E. Mann 2021. The New Climate War: the fight to take back our planet. Scribe, London.
Deutsch: Propagandaschlacht ums Klima. Verlag Solare Zukunft, Erlangen. http://www.solar-buch.de/mann-propagandaschlacht-2021

Naomi Klein 2019. On Fire: The Burning Case for a Green New Deal. Penguin Random House UK.
Deutsch: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. Hoffman und Campe, Hamburg.

Quellenangaben zu Teil 6

1 https://influencemap.org/report/Climate-Lobbying-by-the-Fossil-Fuel-Sector
2 https://www.theguardian.com/environment/2021/feb/27/climatologist-michael-e-mann-doomism-climate-crisis-interview
3 https://www.zeit.de/2017/51/fake-news-klimawandel-energiekonzerne-desinformationskampagne
4 https://www.scientificamerican.com/article/twitter-bots-are-a-major-source-of-climate-disinformation/
5 https://nationalaffairs.com/publications/detail/beyond-the-tax-pledge
6 https://www.libertarianism.org/publications/essays/business-community-resisting-regulation
7 https://www.theamericanconservative.com/articles/revolt-of-the-rich/
8′https://web.archive.org/web/20180812183408/http://www.investigativereportingworkshop.org/investigations/the_koch_club/story/Koch_millions_spread_influence_through_nonprofits/

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Fred Hageneder ist Autor des Buches „Nur die eine Erde – Globaler Zusammenbruch oder globale Heilung – unsere Wahl“.