Vor Scholz-Reise nach China: Streit um chinesische Investitionen in Deutschland dauert an. Chinas Industrie könnte bei weiterem Wachstum die deutsche Konkurrenz deklassieren.

Vor der Chinareise von Kanzler Olaf Scholz in dieser Woche dauert der Streit um chinesische Investitionen in Deutschland an. Der vor einem Jahr vereinbarte Einstieg der chinesischen Reederei COSCO bei einem Terminal im Hamburger Hafen ist in der vergangenen Woche nur mit Einschränkungen genehmigt worden. Bundesminister von FDP und von Bündnis 90/Die Grünen hatten mit aller Kraft versucht, ihn gänzlich zu verhindern. Hintergrund sind Widersprüche in der ökonomischen Entwicklung der Bundesrepublik. Während zahlreiche deutsche Unternehmen, zum Teil sogar ganze Branchen weiterhin massiv von einer engen Wirtschaftskooperation mit der Volksrepublik profitieren, trägt die intensive Zusammenarbeit auch zum Erstarken der chinesischen Industrie bei – zu Lasten der deutschen Konkurrenz. COSCO etwa hat bereits heute mit einem Weltmarktanteil in der Containerschiffahrt von elf Prozent die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd überholt und droht sie auf lange Sicht zu deklassieren. Ähnliche Entwicklungen zeichnet eine aktuelle Studie des Berliner Think-Tanks MERICS mit Blick auf die China-Aktivitäten deutscher Kfz-Konzerne nach.

Streit um Tollerort

Der harte Streit um den Einstieg der chinesischen Reederei COSCO bei einem Terminal im Hamburger Hafen hat in den vergangenen Tagen die widersprüchlichen Interessen, denen die Chinapolitik der Bundesregierung folgt, deutlich zutage treten lassen. COSCO hatte mit der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) im September 2021 vereinbart, an dem Containerterminal Tollerort einen Minderheitsanteil von 35 Prozent zu übernehmen. Tollerort ist das kleinste Terminal im Hamburger Hafen. Der Schritt schien unproblematisch zu sein, da Tollerort nicht zur kritischen Infrastruktur gehört: Diese beginnt bei einem Umschlag von 17 Millionen Tonnen pro Jahr; Tollerort verzeichnete zuletzt einen Umschlag von nur 12,1 Millionen Tonnen. Dies räumte selbst das Bundeswirtschaftsministerium ein – ebenso wie die Tatsache, dass COSCO mit der Terminalbeteiligung keinen Einfluss auf die Hamburg Port Authority erhalten hätte, die im Hafen Grund und Boden kontrolliert.[1] Einen Anteil an Terminals zu erwerben ist in der Branche üblich, weil damit meist eine Option verbunden ist, bevorzugte Anlanderechte zu erhalten; dadurch vermeidet man lange, teure Wartezeiten vor überlasteten Terminals. Die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd etwa ist gegenwärtig auf Einkaufstour in Häfen Europas, Nord- und Südamerikas.[2]

Zum beiderseitigen Vorteil

Zur den recht geringen Folgen des COSCO-Einstiegs beim Containerterminal Tollerort – die Kosten wurden auf 65 Millionen Euro beziffert, Hapag-Lloyd dagegen investiert zur Zeit eine Milliardensumme – kam ein erheblicher ökonomischer Nutzen für den Hamburger Hafen hinzu. COSCO hatte zugesagt, den Hafen, sollten die Beteiligung an Tollerort und die damit verbundene Zuteilung günstiger Anlanderechte zustande kommen, zu einem bevorzugten Umschlagsort an der Nordsee für den Chinahandel zu machen. Schon heute sind chinesische Unternehmen die wichtigsten Kunden in dem Hafen und lasten besonders Tollerort zu großen Teilen aus.[3] Für Hamburg galt dies als vorteilhaft: Zum einen ist COSCO auch an den konkurrierenden Häfen in Rotterdam und Antwerpen beteiligt; zum anderen wird der Hafen von technischen Problemen wie etwa der Versandung der Fahrrinne belastet und hat mit entsprechenden Schwierigkeiten zu kämpfen. Die mit dem vereinbarten Einstieg von COSCO verbundene Aussicht, langfristig verlässliche Kundschaft zu erhalten, war daher äußerst attraktiv. Hinzu kam, dass HHLA und COSCO auch darüber hinaus gemeinsame expansive Aktivitäten planten; so war etwa eine gemeinsame Beteiligung in Polen geplant.

Schranken für die Konkurrenz

Die harten Widerstände gegen den COSCO-Einstieg, die vor allem von FDP und Bündnis 90/Die Grünen getragen wurden und ein umfassendes Echo in den Leitmedien fanden, haben eine doppelte Ursache. Zum einen forcieren die Vereinigten Staaten, zentraler militärischer Verbündeter der Bundesrepublik und – noch – bedeutendster Auslandsstandort der deutschen Industrie, den Machtkampf gegen China massiv und fordern dabei von ihren Verbündeten verlässliche Gefolgschaft ein (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Zum anderen hat auch die deutsche Wirtschaft auf lange Sicht Interesse, der chinesischen Konkurrenz klare Schranken zu setzen. COSCO etwa hält schon heute in der Containerschifffahrt einen Weltmarktanteil von rund elf Prozent, ist damit weltweit die Nummer vier – noch vor Hapag-Lloyd. Zur globalen Nummer eins, der Genfer MSC, fehlen, wie es heißt, „nur noch 6 Punkte“.[5] Bei einem weiteren Aufstieg Chinas ist auch mit einem weiteren Wachstum von COSCO zu rechnen; gelingt es der Volksrepublik, für ihre 1,4 Milliarden Einwohner einen Pro-Kopf-Wohlstand zu erwirtschaften, der dem der rund 450 Millionen EU-Einwohner oder gar demjenigen der 80 Millionen Deutschen gleicht, hätten ihre Konzerne die Chance, ihre deutsch-europäische Konkurrenz zu deklassieren.

Der Hamburger Kompromiss

Die Aussicht, die gewohnte starke, oft führende Position der deutschen Wirtschaft auf den Weltmärkten an China zu verlieren, trägt in wachsendem Maß dazu bei, die Bundesregierung zu einem härteren Kurs gegen die Volksrepublik zu drängen – dies durchaus auch auf Kosten weiterhin vom Chinageschäft profitierender deutscher Unternehmen. Im Fall des COSCO-Einstiegs beim Containerterminal Tollerort hat dies zu einem Kompromiss geführt: Der chinesische Konzern darf lediglich einen Anteil von 24,9 Prozent erwerben. Damit erhält er keinerlei Mitspracherechte bezüglich des Führungspersonals sowie der Firmenstrategie.

Der innovativste Markt

Eine beispielhafte Analyse der widersprüchlichen Interessen in der deutschen Chinapolitik hat in der vergangenen Woche das Berliner Mercator Institute for China Studies (MERICS) vorgelegt. Wie das Institut feststellt, gewinnt der chinesische Markt für die deutsche Kfz-Industrie unverändert an Gewicht. Schon längst ist er der wichtigste Absatzmarkt deutscher Autokonzerne. Spezielle Bedeutung besitzt er zudem für die Umstellung auf Elektroautos: Zum einen ist er deren mit klarem Abstand weltgrößter Markt; zum anderen liegt die chinesische E-Auto-Branche technologisch eindeutig vorn, insbesondere bei Batterien und Software. Weil die deutschen Hersteller allzu lange auf den Verbrennungsmotor gesetzt haben, sind sie bei Elektroautos hinter innovative chinesische Produzenten zurückgefallen; diese schicken sich jetzt sogar an, ihre neue Stärke auf ihrem Heimatmarkt zu nutzen, um eine führende Position auf dem Weltmarkt zu erobern – nicht zuletzt auf Kosten der deutschen Konkurrenz. Diese wiederum sieht ihre beste Chance darin, die hochinnovativen Kapazitäten der chinesischen Industrie zu nutzen, um mit deren Hilfe ihren gegenwärtigen Rückstand wieder aufzuholen. Sie investiert deshalb mit aller Macht in Forschung und Entwicklung in der Volksrepublik.[6]

Ökonomische Kollateralschäden

Damit aber schafft sie Probleme für die Gesamtwirtschaft auf ihrem deutschen Heimatmarkt. Zum einen werden strategisch wichtige Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten zunehmend aus Deutschland nach China verlagert.[7] Zum anderen beginnen deutsche Kfz-Konzerne, in China zunehmend für den Export zu produzieren – auch für den Export nach Deutschland bzw. nach Europa. Dies schwächt die industrielle Basis in der Bundesrepublik, die bisher den Heimatmarkt bedient. Drittens zeichnet sich bei den deutschen Kfz-Herstellern die Tendenz ab, ihren E-Auto-Zulieferern in der Volksrepublik den Weg auf den Weltmarkt zu bahnen. Bei der Batterieherstellung etwa, in der chinesische Konzerne global dominieren, ist das schon heute der Fall: Der chinesische Weltmarktführer CATL investiert etwa in Deutschland. Auch dies geht zu Lasten deutscher Zulieferer und damit der deutschen Industrie. Der Autor der MERICS-Analyse rät der Bundesregierung dringend, nicht – wie bisher – einfach das Chinageschäft der deutschen Kfz-Konzerne zu unterstützen. Im langfristigen Interesse der deutschen Industrie sei es nun unumgänglich, die Branche zu zügeln und mit geschickten Interventionen Nachteile für die industrielle Basis in Deutschland zu verhindern. Punktuelle Eingriffe in das Chinageschäft deutscher Firmen wären dabei nicht zu vermeiden; doch lägen sie im langfristigen Gesamtinteresse der deutschen Industrie.

 

[1] Julia Löhr: Hafen in Chinas Händen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.10.2022.

[2] Jonas Jansen, Susanne Preuß: Wo China in Europa schon ankert. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.10.2022.

[3] Julia Löhr, Jochen Stahnke, Susanne Preuß: Ein Hafen wird zum Politikum. Frankfurter Allgemeine Zeitung 21.10.2022.

[4] S. dazu „China niederkonkurrieren“ und Spiel mit dem Feuer (III).

[5] Wie Peking mit Cosco die Welt erobern will. Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.10.2022.

[6], [7] Gregor Sebastian: The bumpy road ahead in China for Germany’s carmakers. merics.org 27.10.2022.

Der Originalartikel kann hier besucht werden