Bundestag debattiert 100-Milliarden-Euro-Fonds für die Bundeswehr. Daraus sollen US-Kampfjets F-35 finanziert werden. Europa verzeichnet weltgrößte Steigerungsrate beim Rüstungsimport.

Der Deutsche Bundestag hat die dramatischste Erhöhung des bundesdeutschen Militärhaushalts auf den Weg gebracht. In der gestrigen Parlamentsdebatte zeichnete sich eine klare Mehrheit nicht nur für die Erhöhung des Wehretats auf mehr als 50 Milliarden Euro in diesem Jahr, sondern auch für die Bereitstellung eines 100 Milliarden Euro schweren „Sondervermögens“ ab, mit dem die Ausgaben für die Bundeswehr auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden sollen. Bereits beschlossen ist insbesondere die Beschaffung des US-Kampfjets F-35, den Berlin erwerben will, um in der Bundesrepublik gelagerte US-Atomwaffen an ihrem Ziel abwerfen zu können. Der US-Konzern Lockheed Martin erwirtschaftet mit dem Jet, den Militärs wegen seiner zahlreichen Pannen kritisieren, mehr als ein Viertel seines Umsatzes und ist deshalb auf neue Käufer angewiesen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht will den neuen 100-Milliarden-Euro-Fonds nicht als Schritt zu „Aufrüstung“ oder „Militarisierung“ verstanden wissen. Der Kauf des F-35 durch andere Staaten Europas hat dem Kontinent schon jetzt die weltweit höchsten Steigerungsraten beim Rüstungsimport verschafft.

100 Milliarden fürs Militär

Der Bundeswehretat für dieses Jahr ist gestern im Rahmen der Haushaltsdebatte im Bundestag behandelt worden. Er beläuft sich offiziell auf 50,3 Milliarden Euro, rund 7,3 Prozent mehr als 2021 und gut 55 Prozent mehr als 2014. Berücksichtigt werden muss, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Bundeswehr sogar noch darüber liegen: Wenn die Bundesregierung ihre wirklichen Militärausgaben an die NATO meldet, dann liegt dieser Betrag regelmäßig deutlich über dem offiziellen Streitkräftebudget und umfasst auch Mittel, die in anderen Haushaltsposten verborgen sind. Im Jahr 2021 etwa, als das offizielle Streitkräftebudget bei 46,93 Milliarden Euro lag, gab Berlin in Brüssel Ausgaben im Wert von 53,03 Milliarden Euro an.[1] Entsprechend ist auch dieses Jahr mit einem real größeren Betrag zu rechnen. Hinzu kommt, dass Berlin der Bundeswehr ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro zur Verfügung stellt; es ist am gestrigen Mittwoch ebenfalls im Bundestag debattiert worden. Mit Hilfe des Sondervermögens soll der deutsche Militäretat die NATO-Mindestschwelle von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts übertreffen. Zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts betrugen im vergangenen Jahr rund 71 Milliarden Euro.

„Keine Militarisierung“

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat im Bundestag in Ansätzen beschrieben, wofür die 100 Milliarden Euro eingesetzt werden sollen. Demnach geht es zunächst darum, die Grundausstattung der deutschen Soldaten zu verbessern: von „Kleidung, die zu Kälte, Hitze und Nässe passt“, über Schutzwesten sowie Gefechtshelme bis hin zu modernen Funkgeräten.[2] Beschafft werden sollen Berichten zufolge auch Munition im Wert von 20 Milliarden Euro, Transporthubschrauber, Luftabwehrsysteme und Korvetten.[3] Lambrecht insistiert, es handle sich nicht um „Aufrüstung“ oder gar „Militarisierung“, sondern nur um „die Ausstattung, die eine wehrhafte Demokratie braucht“. Zu dem Material, das aus dem „Sondervermögen“ finanziert werden soll, zählen nach Aussage der Bundeswehr auch „überjährige Großvorhaben“, so etwa Kampfjets, die die alternden Tornados der Luftwaffe ablösen sollen. Sie werden insbesondere benötigt, um die „nukleare Teilhabe“ zu sichern; darunter wird verstanden, dass deutsche Flugzeuge die US-Atombomben, die in Büchel (Eifel) gelagert sind, im Kriegsfall an einen Zielort fliegen und sie dort abwerfen können. Waren dafür bislang Tornado-Kampfjets vorgesehen, so muss für die alternden Modelle in den kommenden Jahren Ersatz beschafft werden.

Der teuerste Jet der Welt

Die rot-grün-gelbe Koalition hat kürzlich entschieden, dafür 35 US-Kampfjets vom Typ F-35A zu erwerben. Ursprünglich hatte Berlin die Option im Blick, für die Tornado-Nachfolge Eurofighter zu beschaffen, denn der Kaufpreis wäre dann dem europäischen Eurofighter-Konsortium zugute gekommen. Dem stand entgegen, dass der Eurofighter für die nukleare Bewaffnung von den Vereinigten Staaten eigens hätte zertifiziert werden müssen; damit aber wäre nicht nur ein hoher Zeitaufwand verbunden gewesen, sondern zudem die Preisgabe von Industriegeheimnissen an die USA. Die vorige Bundesregierung hatte sich deshalb dann dafür entschieden, einen US-Jet zu kaufen – jedoch nicht den F-35, sondern den billigeren F-18. Der Grund: Berlin und Paris setzen darauf, in der EU einen eigenen Kampfjet der neuesten Generation zu entwickeln, der den Ländern Europas nicht bloß rüstungsindustrielle Eigenständigkeit, sondern auch künftige Exportprofite verschaffen soll. Da dieser Jet, das FCAS (Future Combat Air System), außerordentlich teuer ist, wollte Berlin zunächst bei der Tornado-Nachfolge sparen. Der Systempreis für den F-35 – er beinhaltet die Kosten für die Wartung, Software-Updates und Ähnliches – wird auf 180 Millionen Euro pro Stück geschätzt; der Jet gilt als der teuerste seiner Art weltweit.[4]

Schlagkräftig, aber pannenanfällig

Mit der Entscheidung, der Bundeswehr das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen zur Verfügung zu stellen, sind nun allerdings genügend Mittel da, um 35 Stück des Jets F-35 zu erwerben. Dafür hat sich zum einen die Luftwaffe stark gemacht: Der F-35 gilt als der modernste und schlagkräftigste Kampfjet der Welt; zudem wird er von acht weiteren europäischen Staaten, darunter Großbritannien und Italien, aber auch von außereuropäischen Verbündeten, etwa Japan und Australien, genutzt. Zum anderen gilt der Kauf als wichtiges Zugeständnis an die Vereinigten Staaten: Der F-35-Hersteller Lockheed Martin erzielt allein mit dem Jet mehr als ein Viertel seines Konzernumsatzes und ist für den Geschäftserfolg auf eine größtmögliche Zahl an Käufern angewiesen. Allein die Lieferung von 35 Jets an die Bundesluftwaffe brächte Lockheed Martin wohl gut sechs Milliarden Euro ein. Dabei sind die laufenden Kosten noch nicht eingerechnet; in der Schweiz, die 36 Kampfjets des Tpys F-35 beschafft, wird inzwischen von Ausgaben in Höhe von 15 Milliarden Euro bis zum Jahr 2060 ausgegangen. Kritiker weisen darauf hin, dass der F-35 nicht nur äußerst teuer, sondern auch pannenanfällig ist; Fachkreise beklagen, das Pentagon halte genaue Angaben zu den Schwierigkeiten mit dem Modell unter Verschluss.[5]

Rasantes Wachstum beim Rüstungsimport

Mit dem Beschluss, den Kampfjet F-35 zu beschaffen, stärkt Berlin einen Trend der vergangenen Jahre: den Trend, dass Europa weltweit die größten Steigerungsraten bei der Einfuhr von Rüstungsgütern verzeichnet. Wie es in einem aktuellen Bericht des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI heißt, stiegen in Europa die Einfuhren von Rüstungsgütern im Fünfjahreszeitraum von 2017 bis 2021 um 19 Prozent gegenüber dem Zeitraum von 2012 bis 2016 – mehr als auf jedem anderen Kontinent.[6] Ursache dafür, so stellt SIPRI fest, sei die Aufrüstung gegen Russland gewesen. 54 Prozent der europäischen Rüstungsimporte kamen demnach aus den Vereinigten Staaten; ein erheblicher Teil davon ging auf den Kauf von insgesamt 71 F-35-Kampfjets durch Großbritannien, Norwegen und die Niederlande zurück. Darüber hinaus hätten weitere Staaten F-35-Jets bestellt, etwa Finnland (64 Stück), die Schweiz (36 Stück) und Polen (32 Stück). Nun kommt die Bestellung durch die Bundesrepublik hinzu.

 

Mehr zum Thema: Festtage für die Rüstungsindustrie.

 

[1] Thomas Wiegold: Verteidigungshaushalt: Zahlenspiele (m. Nachtrag). augengeradeaus.net 07.02.2021.

[2] Rede von Christine Lambrecht im Bundestag. bmvg.de 23.03.2022.

[3], [4] Ulrich Friese, Roland Lindner: Neuer Goldstandard für die Luftwaffe. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.03.2022.

[5] Valerie Insinna: The number of major F-35 flaws is shrinking, but the Pentagon is keeping details of the problems under wraps. defensenews.com 16.07.2021.

[6] Pieter D. Wezeman, Alexandra Kuimova, Siemon T. Wezeman: Trends in International Arms Transfers, 2021. SIPRI Fact Sheet. Stockholm, March 2022.

Der Originalartikel kann hier besucht werden