„Schluss mit dem Nachäffen von Hollywood, der italienische Film ist neu geboren“, schrieb Regisseur Giuseppe Sciarra jüngst in einem seiner Artikel. Und er weiß, wovon er spricht, denn er zählt selbst zu der neuen Generation italienischer Filmemacher*innen, die dies in die Tat umsetzen. Sciarra ist seit 10 Jahren in der italienischen Filmszene aktiv und setzt sich in vielen seiner Kurzfilme für LGBTIQ-Rechte ein.

In seinem Kurzfilm „Santità“ wagt er sich nun mit der Kombination von Crossdressing und Religion an ein Thema, das in seinem vorwiegend katholisch geprägten Heimatland für Diskussionen sorgen dürfte, allerdings ohne provozieren zu wollen, wie er selbst sagt.

Ein Paar – dargestellt von der Schauspielerin Marta Angelini und Sciarra selbst – betritt eine Kirche und erlebt dort eine mystische Trance als etwas zutiefst Menschliches, losgelöst vom biologischen Geschlecht. Die Umgebung mit ihren Heiligenbildern und Skulpturen verzerrt und öffnet sich vor den Augen der Protagonisten, die in vollkommener gegenseitiger Akzeptanz ihr wahres Inneres entfalten. Überlegen über jedes soziale Schubladendenken der Geschlechtsidentität gelangen sie gemeinsam zur „Heiligkeit“.

Der hier dargestellte Weg zum Erkennen des eigenen Ichs im Kontext einer übersinnlichen Erfahrung inmitten religiöser Symbole ist ein mutiger Ansatz und könnte als Provokation verstanden werden, vor allem von jenen, in deren Verständnis Glaube und Kirche untrennbar sind oder „von jenen verknöcherten Erzkatholiken, für die LGBTIQ+ allein schon pure Gotteslästerung ist“, wie Sciarra es ausdrückt. Er selbst weist diese Absicht hingegen zurück: „Ich möchte niemanden provozieren oder kritisieren. Wer sich „Santità“ anschaut, wird die spirituelle Kraft spüren, die von den Bildern ausgeht. Ich möchte damit lediglich zeigen, wie eine solche Erfahrung auch anders als in gewohnter Weise möglich ist.“ Sciarra selbst bezeichnet sich als Agnostiker, ist sich aber bewusst, dass Glaube und Religion in Italien ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens und tief in der Kultur des Landes verwurzelt ist. „Es gibt viele queere Gläubige, „warum sollten wir sie ignorieren oder ihre Existenz leugnen? Ich zeige ganz einfach zwei Liebende, aber auf meine Art“, sagt Sciarra in einem Interview mit dem Kulturmagazin ll salotto di Ceci Simo.

Auch die technische Umsetzung unterstreicht den schrittweisen Weg zur (Selbst)Erkenntnis. Die Handlung kommt ohne Worte aus, im Mittelpunkt stehen die Bilder, die für sich selbst sprechen – die Realität in Schwarzweiß, die mystischen Visionen in Farbe. Gleichzeitig fesseln sie geschickt die Aufmerksamkeit, denn der gesamte Kurzfilm besteht aus einzelnen Fotogrammen, die wir beim Betrachten sozusagen selbst zur Handlung zusammensetzen müssen, wie symbolisch für den schrittweisen Prozess zur erlösenden Akzeptanz. Passend untermalt wird die Handlung vom mystisch-religiös anmutenden Soundtrack Virgin Piles der amerikanischen Gruppe Demian Johnston & Mink Stolen.

Im Kurzfilm „Santità“ von Giuseppe Sciarra verschmelzen verschiedene Kunstrichtungen – Fotografie, Malerei und Film – zu einem poetischen Bild, das zeigt, wie ein liebendes Paar jede Hürde überwinden kann. Der wurde bereits auf verschiedenen Filmfestivals präsentiert, unter anderem beim LosAngeles Cinefest, dem Cinalfama in Lissabon, dem Fimstrip International Film Festival und beim Move Me Productions Online Film Festival in Belgien.

Neben dem Nachrichtenportal Gaiaitaliapuntocom und DioScotto, der italienischen Community der internationalen Kampagne gegen Blasphemie-Gesetze #EndBlasphemyLaws unterstützen auch wir von Pressenza als ehrenamtlicher Werbepartner diese und hoffentlich noch viele weitere dieser wichtigen und mutigen Produktionen des „neuen italienischen Films“.

Das demnächst erscheinende Kurzfilmprojekt von Giuseppe Sciarra mit dem Titel IKOS ist ein autobiographisches Werk, in dem er berührend authentisch – zum Teil mit Original-Film- und Bildmaterial – seine Kindheit und Jugend als Opfer homophober Gewalt aufarbeitet.