Wachsende Teile der deutschen Funktionseliten setzen auf Ökotechnologie als künftiges Zugpferd der deutschen Exportindustrie.

Führende Wirtschaftsinstitute sowie wachsende Teile der Berliner Politik sehen in Umwelttechnologien ein künftiges Zugpferd der deutschen Exportindustrie. Schon im Jahr 2030 könne die Bundesrepublik „Vollversorgung“ mit erneuerbaren Energien erreichen, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Dabei gelte es, den „Klimaschutz zum Exportschlager“ zu machen, fordert Christian Lindner, Vorsitzender der Wirtschaftspartei FDP: Der Klimaschutz sei „das nächste Wachstums-, Fortschritts- und Investitionsthema für die ganze Welt“. Warnend äußert sich in einer neuen Studie das unternehmernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln; es weist darauf hin, dass deutsche Produzenten von Solarmodulen ihre frühere Spitzenstellung auf dem Weltmarkt längst an China verloren haben und auch Hersteller von Windkraftanlagen gegenüber der internationalen Konkurrenz zurückzufallen drohen. Widerstand gegen die Pläne, künftige Exporterfolge bevorzugt mit Ökotechnologien zu erzielen, kommen nach wie vor von Erzeugern fossiler Energien.

Erneuerbar bis 2030?

Führende deutsche Wirtschaftsinstitute setzen wenige Wochen vor der Bundestagswahl klare klimapolitische Signale. Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin etwa halten eine Vollversorgung der Bundesrepublik mit erneuerbaren Energien bis 2030 für machbar, wobei eine „Vollversorgung inklusive Sektorenkopplung“ in den Bereichen Strom, Wärme und Transport bis 2040 als „realistisch“ angesehen wird.[1] Dabei prognostiziert das DIW eine sinkende Gesamtnachfrage nach Energie in der Bundesrepublik bei gleichzeitigem Anstieg der Stromnachfrage, die vor allem durch den angestrebten Ausbau der Elektromobilität getrieben wird. Entscheidend sei deshalb eine rasche Steigerung des „Ausbautempos“ bei erneuerbaren Energien, heißt es weiter, vor allem bei der Windkraft zu Land und zu Wasser, aber auch bei der Solarenergie. Zudem müssten die entsprechenden „Rahmenbedingungen“ für alle Sektoren geschaffen werden. Dies gilt laut dem DIW „nicht nur für Strom, sondern auch für Wärme und Mobilität“. Gelinge dies, dann könne es mit der Energiewende „sehr schnell“ gehen.

Ein EU-weites Verbundsystem

Konkret plädiert das DIW für eine EU-weit koordinierte „Ausbauplanung bei Erzeugung, Speichern und Infrastruktur“ im Rahmen der Energiewende; dabei sei die Einbindung der Bundesrepublik in das europäische Stromnetz zur Wahrung der Versorgungssicherheit essenziell – gerade auch bei „100 Prozent erneuerbaren Energien“. Die Perspektive der „Vollversorgung mit Erneuerbaren“ müsse bereits jetzt in die „deutsche als auch europäische Netzplanung eingehen“; bei der Schaffung eines kontinentalen Verbundsystems könne die „stündliche Versorgungssicherheit“ des Energiesystems zuverlässig gewährleistet werden. Zentrale Kraftwerke, die bisher eine „Top-down“-Versorgung mit Strom gewährleisteten, würden von einem netzwerkartigen „Bottom-up“-System abgelöst, das „dezentraler, flexibler und auch intelligenter“ sei. Dank der voranschreitenden Digitalisierung sei ein intelligentes „Energie- und Lastenmanagement“ möglich, bei dem neue Flexibilitäts- und Energiespeicheroptionen vermittels „Echtzeitpreisen“ mit „Nachfragereaktionen“ ineinander greifen würden. Das neue System könne in seinen Grundzügen schon bis 2030 realisiert werden.

Zwischen „Wohlwollen und Zweifel“

Derlei ehrgeizige Planungen, die mit fortbestehendem, nicht zuletzt vom CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet gestütztem Widerstand der fossilen Branchen der deutschen Industrie konkurrieren, werden getragen von den immer populäreren Vorstellungen, die „Energiewende“ könne zu einem neuen Wachstumsschub für die europäische und vor allem für die deutsche Wirtschaft führen.[2] Schweizer Medien sprachen kürzlich angesichts der Meinungsdifferenzen innerhalb der deutschen Funktionseliten von einem klimapolitischen Schwanken Deutschlands zwischen „Wohlwollen und Zweifel“.[3] Die große Sorge gelte vor allem der „internationalen Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Exportindustrie; Ängste vor zusätzlichen Kosten sowie vor einer „Deindustrialisierung“ der Bundesrepublik seien weit verbreitet. Die extrem rechte AfD warne gar vor einer „EU-Klimaplanwirtschaft“. In führenden Wirtschaftsblättern wird vor allem die Frage diskutiert, wie „teuer“ die Energiewende für die exportorientierte deutsche Industrie werde.[4] Um dem Unmut in Teilen der Wirtschaft zu begegnen, haben Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Wahlprogramm bereits einen klimapolitischen Protektionismus sowie Subventionen für energieintensive Unternehmen versprochen.[5]

Der deutsche Klimaweg

Dabei sehen nicht nur Bündnis 90/Die Grünen, die aktuellen Prognosen zufolge bei der kommenden Bundestagswahl ihr historisch bestes Ergebnis erzielen könnten, die Ökoindustrien als ein künftiges Zugpferd der deutschen Exportindustrie. Kürzlich kündigte Christian Lindner, Vorsitzender der als besonders wirtschaftsnah geltenden FDP, öffentlich an, den deutschen „Klimaschutz zum Exportschlager“ machen zu wollen.[6] Deutschland sei das „Land der Ingenieure und Techniker“; es müsse folglich, sobald eine neue Klimaschutztechnologie gefunden sei, diese zum „Exportthema“ machen. Deutschland könne damit „einen Beitrag für die ganze Welt leisten“ und andere Länder „motivieren“, ihm zu folgen. Dies könne nicht auf dem „Weg der Verbote und des moralischen Zeigefingers“ gelingen, wohl aber, wenn man voranpresche und selbst mit Hilfe der Ökoindustrie „wirtschaftlichen Fortschritt und eine Lebensweise in Freiheit mit Ressourcenschonung“ vorantreibe. Lindner bezeichnet den globalen Klimaschutz als „das nächste Wachstums-, Fortschritts- und Investitionsthema für die ganze Welt“. Dem Ökoexportwunder stehe allerdings ein „Labyrinth von Bürokratismus und Verboten“ in der Bundesrepublik im Wege.

Wunsch vs. Realität

Optimistische Prognosen aus der Politik kontrastieren indes mit aktuellen Wirtschaftsstudien, die einen schweren globalen Stand der deutschen Umwelttechnik beklagen.[7] Das unternehmernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) beschrieb Anfang August eine enttäuschende deutsche „Exportperformance“ bei „Gütern zur Herstellung erneuerbarer Energien“. China hingegen habe seine Anteile auf den Ökomärkten weiter ausbauen können – nicht zuletzt dank der „umfangreichen Subventionen“ in der Volksrepublik. Bei den Solarmodulen, bei denen die Bundesrepublik im Jahr 2005 noch vor China lag, ist dem IW zufolge der Einbruch auf ein Exportvolumen von nur noch 2,5 Milliarden US-Dollar so stark, dass Chinas Ausfuhren 2019 „fast zehnmal höher als die deutschen“ gewesen seien. Bei Windkraftanlagen sei Deutschland zwar immer noch – hinter Dänemark – zweitgrößter Exporteur; doch auch hier verharrten die Ausfuhren seit Jahren bei einem Volumen von gut zwei Milliarden US-Dollar, weit unterhalb des deutschen Spitzenwerts von 3,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2012. Das ernüchternde Fazit des IW: Die deutsche Wind- und Solarbranche habe trotz eines wachsenden Weltmarktes Schwierigkeiten, an der „globalen Nachfrage für Güter zur Erzeugung erneuerbarer Energien zu partizipieren“. Daraus müsse die Politik die „richtigen Lehren“ ziehen und jene Wirtschaftssektoren stützen, auf denen „langfristig komparative Vorteile und Exportchancen liegen“, fordert das IW.

Kohlendioxid als „Exportschlager“

Während der schleppende Export deutscher Umwelttechnik in Wirtschaftskreisen Enttäuschung hervorruft, wird in der Bundesrepublik auch die „Ausfuhr“ von Treibhausgasen diskutiert. Durch den Export von CO2 könne die Bundesrepublik das Ziel der Klimaneutralität erreichen, heißt es – trotz aller Bedenken, man „verfrachte“ dadurch nur das „Treibhausgas-Problem“ an eine andere Stelle.[8] Gemeint sind in Pilotprojekten bereits getestete Pläne, in speziellen Anlagen CO2 der Atmosphäre zu entziehen, um es dann – bevorzugt außerhalb des deutschen Festlands – zu lagern; entsprechende Vorhaben werden unter dem Kürzel CCS (Carbon Capture and Storage) zusammengefasst. Im Gespräch sind potenzielle Lagerstätten in der Nordsee oder im Europäischen Nordmeer, wo aus der Bundesrepublik stammendes, in Wasser gelöstes CO2 in Gesteinsschichten unter dem Meeresgrund gepumpt werden könnte. Insbesondere für energiehungrige „Unternehmen etwa aus der Stahl- der Zement-Industrie“, die ihre hohen Emissionsziele mittelfristig kaum erreichen könnten, seien CSS-Verfahren, heißt es, eine „enorme Hilfe“.

 

[1] 100 Prozent erneuerbare Energien für Deutschland: Koordinierte Ausbauplanung notwendig. DIW Wochenbericht 29/30 (2021).

[2] Der Klimawandel kann zu einer Chance für Europa werden. handelsblatt.com 16.06.2021.

[3] EU-Klimapolitik: Deutschland schwankt zwischen Wohlwollen und Zweifel am Grenzausgleich. nzz.ch 16.07.2021.

[4] Grün-Sein muss sich rechnen – Klimaschutz darf nicht zur Deindustrialisierung führen. handelsblatt.com 08.08.2021.

[5] Mit Verstand für die Wirtschaft. gruene.de/wirtschaft.

[6] Deutschen Klimaschutz zum Exportschlager machen. fdp.de 23.07.2021.

[7] Exportperformance von Gütern zur Herstellung erneuerbarer Energien enttäuscht. IW-Kurzbericht Nr. 53, 09.08.2021.

[8] CO2-Export: Ist er die Lösung zum Erreichen der Klimaneutralität? galileo.tv 18.08.2021.

Der Originalartikel kann hier besucht werden