Heute bekommen die 122 Teilnehmer*innen des Pilotprojekts ihr erstes Grundeinkommen ausgezahlt. Ein denkwürdiger Tag für sie – und eigentlich für uns alle. Damit heute niemand am Thema Grundeinkommen vorbeikommt, haben wir uns eine symbolische Aktion ausgedacht, die ins Auge sticht: Die Hauptrolle spielt ein bunter Geldautomat vor dem Berliner Reichstag.

Wie kommt ein Geldautomat auf die Wiese vor dem Bundestag? Und warum wird er seit Stunden von Kameras und Fotoreporter*innen umringt? Die Antworten liefert unser Live-Protokoll eines spannenden Tages:

07:12 Uhr: Der Tag beginnt gleich nach dem Aufstehen mit Grundeinkommen: Aus dem Radio dringt die Stimme von Maheba Goedeke Tort, die bei Mein Grundeinkommen die Forschung leitet: „Wir wollen mit den Pilotprojekt wirkliche Grundlagenforschung machen“, erklärt sie im WDR-Morgenmagazin. „Deswegen schauen wir uns verschiedenste Lebensbereiche wie Arbeit, Gesundheit und Gemeinschaft an. Wir möchten herausfinden, ob das Grundeinkommen in diesen Bereichen Potenziale in den Menschen freisetzen kann – und dann den Rückschluss ziehen: Was würde das für unsere Gesellschaft als Ganzes bedeuten.“ Das geht ja gut los! Dabei hat unsere Aktion zum Start des Pilotprojekts noch gar nicht begonnen…

08.50 Uhr: Vor unserem Büro in Berlin-Neukölln versammelt sich das Team des Pilotprojekts. Auch ein Filmteam, das das Pilotprojekt von Anfang an begleitet, wartet schon. Nur worauf? Die Antwort steht im Treppenhaus, dick eingepackt in schützende Pappe: ein Geldautomat in den Farben des Pilotprojekts. Es braucht fünf Menschen und eine Sackkarre, um ihn in einen Transporter zu hieven. Fahrtziel: das Regierungsviertel.

09.30 Uhr: Auf der Straße zwischen Reichstag und Kanzleramt ist nicht viel los. Wir dürfen den Transporter direkt am Straßenrand parken, unsere Aktion haben wir natürlich angemeldet. Beim Ausladen fällt plötzlich die Geldkassette hinten aus der Automaten-Attrappe. Wird er gleich funktionieren, wenn die Journalist*innen kommen?

10.05 Uhr: Obwohl unsere Versammlung offiziell erst um 11 Uhr beginnt, sind die ersten Medienvertreter*innen schon da. Wo sonst eher Tourist*innen den Reichstag fotografieren, bauen jetzt Kamerateams ihre Stative und Mikrofonangeln auf. Und der Geldautomat? Besteht seine ersten Einsätze für die Kameras mit Bravour. Bei Druck auf den grünen Knopf mit der Beschriftung „Bedingungslos“ wirft er zuverlässig 1.200-Euro-Scheine aus. So hoch ist das monatliche Grundeinkommen, das die Teilnehmer*innen des Pilotprojekts erhalten.

11.00 Uhr: Das Team des Pilotprojekts und die Forscher*innen geben erste Interviews zum Auszahlungsstart. Die ARD, RTL, Bayrischer Rundfunk, Welt, die Presseagentur AFP und viele andere stellen kritische Fragen: Was können Sie mit dem Pilotprojekt herausfinden? Was nicht? Werden Menschen durch das Grundeinkommen aufhören zu arbeiten? Und wie soll das eigentlich finanziert werden?

Dr. Susann Fiedler und Prof. Dr. Jürgen Schupp beantworten alle Fragen im ruhigen Ton wissenschaftlicher Sachlichkeit: Durch das Grundeinkommen verändere sich nicht nur das Einkommen der Teilnehmer*innen, sagt Dr. Susann Fiedler: „Hier verändert sich auch Sicherheit. Ich bin erstmal bedingungslos abgesichert – und das könnte natürlich eine Veränderung meiner Lebenssituation beinhalten.“ Prof. Dr. Jürgen Schupp sagt in ein anderes Mikrofon: „Wir wollen schauen, inwieweit eine solche bedingungslose Zahlung Menschen im Arbeitsleben Raum gibt für eine bessere Arbeit. Treffen sie vielleicht auch mutigere Erwerbsentscheidungen.“

11.45 Uhr: Das Medieninteresse ist so groß, dass zwischendurch die Kassette des Geldautomaten immer wieder leer ist. „Das Geld ist alle!“, ruft Michael Bohmeyer, der Initiator von Mein Grundeinkommen, in Richtung des Teams. Marc aus dem Social Media-Team öffnet die Rückwand des Automaten und legt ein Bündel 1.200-Euro-Scheine nach. Beim Pilotprojekt kann das nicht passieren, weil es dank 185.000 Spender*innen bereits voll finanziert ist.

12.25 Uhr: Das Presseteam hat immer noch alle Hände voll zu tun, alle Sprecher*innen für das Pilotprojekt an die wartenden Medien zu vermitteln. Manche sind nicht vor Ort, sondern warten per Live-Schalte oder am Telefon. Immer wieder werden Gruppenfotos des Projektteams mit dem Geldautomaten verlangt. Aus dem Büro kommen zeitgleich Meldungen über die ersten Medienberichte bei Spiegel Online, Welt, Tagesschau.de oder T-Online.

12.44 Uhr: Langsam wird es ruhiger um den Geldautomaten vor dem Reichstag. Gut so, denn die Stunden in der warmen Mittagssonne auf der schattenlosen Wiese waren anstrengend. Feierabend hat das Team des Pilotprojekts aber noch lange nicht: Wenn sie hier den Geldautomaten wieder abgebaut haben, geht es direkt zurück ins Büro. Viele weitere Interviewtermine warten heute noch auf sie.

Hat sich die Aktion gelohnt? Ja! Denn so plakativ wie ein Geldautomat als Symbol für das Bedingungslose Grundeinkommen auch sein mag, er lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit heute auf die Grundeinkommensforschung. Und die ist wichtiger denn je: „Das Grundeinkommen wird seit Jahrzehnten moralisch und ideologisch debattiert. (…) Wir glauben, dass diese Diskussionen nicht mehr produktiv sind. Wir brauchen jetzt endlich Fakten und Daten, damit die Debatten seriös geführt werden können und nicht auf Annahmen beruhen“, sagt Michael Bohmeyer.

Von Volker Zepperitz für Mein Grundeinkommen