Regierungs-Think-Tank dringt auf Beschaffung von Kampfdrohnen, prognostiziert für künftige Drohnenkriege „enormen Verlust an Mensch und Material“.

Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) erhöht den Druck zur Beschaffung von Kampfdrohnen. Solle die Bundeswehr „eine einsatzfähige Streitkraft bleiben“, die „auch gegen einen gut gerüsteten konventionellen Gegner bestehen“ könne, dann sei die Beschaffung von Kampfdrohnen „aus militärischer Perspektive … unabdingbar“, heißt es in einem aktuellen Arbeitspapier der BAKS. Der Autor des Papiers schließt dies aus einer Analyse des jüngsten Krieges um Bergkarabach, der laut Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer „der erste echte Drohnenkrieg der Geschichte“ war. Geführt wurde er maßgeblich mit türkischen Kampfdrohnen, deren Entwicklung und Produktion auch auf deutschen Exporten und deutschem Know-how beruhen. Das BAKS-Papier räumt nicht zuletzt mit der gern genutzten Propagandabehauptung auf, Kampfdrohnen dienten dem Schutz deutscher Soldaten; wie das Papier zeigt, beinhalten moderne Drohnenkriege einen „enormen Verlust an Mensch und Verschleiß an Material“ und fordern daher einen satten „Aufwuchs an Mensch und Material“: „Ein Schlüsselwort … ist Redundanz.“

Drohnenmacht Türkei

Die Drohnenkriege der Türkei, die auch im Krieg um Bergkarabach mit der Unterstützung für Aserbaidschan die zentrale Rolle spielte, gründen darauf, dass Ankara in den vergangenen Jahren eine eigene Produktion hocheffizienter Drohnen aufgebaut hat – mit deutscher Hilfe. Anlass war, dass Ankara US-amerikanische und israelische Kampfdrohnen zu beschaffen versucht hatte, dabei aber auf Widerstände stieß und schließlich beschloss, sich an der Herstellung im eigenen Land zu versuchen. Die Anfänge reichen inzwischen mehr als ein Jahrzehnt zurück.[1] Sie führten zum Erfolg; die beiden wohl bekanntesten türkischen Drohnentypen sind dabei die Bayraktar TB2 von Baykar Technologies sowie die TAI Anka-Serie von Turkish Aerospace Industries. In den Jahren von 2009 bis 2018 – also in dem Zeitraum, in dem die türkischen Drohnen entwickelt und gebaut wurden – hat die Bundesregierung die Ausfuhr von Gütern, die „zur Verwendung oder zum Einbau in militärische Drohnen“ [2] bestimmt waren, im Wert von 12,8 Millionen Euro in die Türkei genehmigt. Medienrecherchen haben gezeigt, dass zu den Gütern, die im erwähnten Zeitraum aus Deutschland in die Türkei geliefert wurden, Gefechtsköpfe der Firma TDW im bayerischen Schrobenhausen gehörten, die das türkische Unternehmen Roketsan erwarb. Roketsan produziert Raketen sowie Munition, die von türkischen Kampfdrohnen genutzt werden. Den Recherchen zufolge steckt in den Roketsan-Raketen zumindest deutsches Know-how.[3]

Der erste echte Drohnenkrieg

Ihre Drohnen setzt die Türkei schon seit Jahren systematisch in ihren Kriegen ein. Dies war etwa 2019 in Libyen der Fall, wo Ankara die sogenannte Einheitsregierung in Tripolis und ihre Milizen unterstützt – nicht zuletzt mit Drohnen. Mit Blick darauf, dass auch die ostlibysche Kriegsfraktion um den Warlord Khalifa Haftar sogenannte UAV (Unmanned Aerial Vehicles) zur Verfügung hat, urteilte der damalige UN-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salamé, schon im September 2019, das Land sei „wahrscheinlich der größte Drohnenkriegsschauplatz der Welt“.[4] In der Fachwelt einiges Aufsehen erregte die „Operation Spring Shield“, in der von Ende Februar bis Anfang März 2020 die türkischen Streitkräfte in der Region um das nordsyrische Idlib syrischen Truppen schwerste Schäden zufügten – vorwiegend mit Drohnen: Es handelte sich um die erste umfassende Drohnenoffensive gegen reguläre Streitkräfte überhaupt.[5] Drohnen kamen bald darauf in Libyen bei der großen Offensive zum Einsatz, in der die „Einheitsregierung“ die Haftar-Milizen von der libyschen Hauptstadt zurückschlug. Kriegsentscheidende Bedeutung hatten türkische – und israelische – Drohnen dann schließlich im Krieg um Bergkarabach vom 27. September bis zum 10. November 2020. Dort sei, urteilte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer – wie auch mehrere Experten zuvor -, „der erste echte Drohnenkrieg der Geschichte ausgetragen worden“.[6]

Kampf- und Kamikazedrohnen

Mögliche Schlussfolgerungen aus dem Krieg um Bergkarabach für die Bundeswehr sucht eine Analyse zu ziehen, die die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) kürzlich veröffentlicht hat. Wie der Autor konstatiert, hat in dem Krieg das von der Türkei unterstützte Aserbaidschan „in einer systematischen Luftkampagne eine Reihe von Aufklärungs- und Kampfdrohnen sowie sogenannte Loitering Munition ein[gesetzt]“; bei „Loitering Munition“ handelt es sich um kleinere Flugkörper, die, wie die BAKS erläutert, „zunächst längere Zeit in einem Kampfgebiet kreisen können“, um sich zum geeigneten Zeitpunkt auf ein Ziel zu stürzen („Kamikazedrohnen“).[7] Voraussetzung für Aserbaidschans Luftkampagne sei „überlegene taktische Gefechtsfeldaufklärung“ gewesen, „vor allem im elektromagnetischen Spektrum“, heißt es weiter bei der BAKS; so hätten „zum Beispiel unverschlüsselte elektronische Signaturen der Mobiltelefone von Soldaten durch Aufklärungsdrohnen erfasst“ werden können, um die Truppen zu lokalisieren und sie umgehend mit Kampfdrohnen oder mit Artillerie zu attackieren. Die herkömmlichen Flugabwehrsysteme, die Armenien genutzt habe, seien gegen all dies beinahe „wirkungslos“ gewesen; unverzichtbar seien ein „gestaffelte[s] und vernetzte[s] Luftverteidigungssystem inklusive Langstrecken-Ziel-und-Suchradar“ sowie diverse elektronische Kampfmittel, „zum Beispiel Störsender“.

Drohnenabwehr

Mit Blick auf die Bundeswehr müsse man konstatieren, heißt es in der BAKS-Analyse, dass „die Beschaffung von Aufklärungs- und Kampfdrohnen aus militärischer Perspektive … unabdingbar“ sei, solle die Truppe „eine einsatzfähige Streitkraft bleiben, die im Ernstfall auch gegen einen gut gerüsteten konventionellen Gegner bestehen kann“.[8] Gleichzeitig habe Armeniens Niederlage aber auch „die fatalen Konsequenzen fehlender Fähigkeiten im Bereich der Drohnenabwehr“ gezeigt. Deshalb müsse nicht nur der Erwerb von Drohnen aller Art – Kampfdrohnen inklusive -, sondern auch „die Wiedereinführung der 2012 abgeschafften Heeresflugabwehr“ in den Blick genommen werden. Zwar verfüge die Bundeswehr „in einstelliger Zahl über das Nahbereichs-Flugabwehrsystem MANTIS“, das „auch zur Drohnenabwehr eingesetzt werden“ könne; doch sei MANTIS lediglich „stationär“, „nicht mobil“. Das Flugabwehrsystem Ozelot wiederum, mit dem die Flugabwehrraketengruppe 61 ausgerüstet sei, sei zwar mobil, könne jedoch nach aktuellem Stand „gegen kleinere Drohnenziele“ nichts ausrichten. Es gebe Handlungsbedarf.

„Schlüsselwort Redundanz“

Die BAKS-Analyse zeigt nicht zuletzt, dass die gern genutzte Propagandabehauptung, es müssten Kampfdrohnen angeschafft werden, um die eigenen Soldaten zu schützen, nichts mit dem realen modernen Drohnenkrieg zu tun hat. Dieser beinhaltet vielmehr, konstatiert der BAKS-Autor, einen „enormen Verlust an Mensch und Verschleiß an Material“.[9] So verloren im Bergkarabach-Krieg die armenischen Streitkräfte vorwiegend durch aserbaidschanische Drohnenangriffe nicht nur über 130 Kampfpanzer, 70 Schützenpanzer, 60 weitere gepanzerte Fahrzeuge sowie mehr als 50 Flugabwehrsysteme; vor allem waren auf beiden Seiten „jeweils über 3.000 Gefallene zu beklagen“ – in einem lediglich 44 Tage währenden Krieg zwischen Streitkräften relativ kleiner Staaten. Man müsse daraus klar schließen, „dass zukünftige Streitkräftestrukturen mit großer Wahrscheinlichkeit fähig sein“ müssten, gewaltige „Ausfälle zu absorbieren und gleichzeitig einsatzfähig zu bleiben“, prognostiziert die BAKS: „Ein Schlüsselwort hierfür ist Redundanz.“ Erforderlich sei daher ein satter „Aufwuchs an Mensch und Material“, der, „solange eine Wiedereinführung der Wehrpflicht weitgehend unrealistisch scheint“, wohl durch „eine verstärkte Aufwertung von Reserveverbänden“ zu leisten sei – „zumindest … bis halbautonome und autonome Systeme menschliche Funktionen … ablösen können“. Gleichzeitig müssten „mehr und günstigere ‚abnutzbare‘ Waffensysteme und Plattformen“ beschafft werden, etwa „ungemannte Land-, See- und Luftfahrzeuge“: „eine strukturelle Herausforderung für die deutsche Rüstungsindustrie“.

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