Gipfeltreffen erörtert Perspektiven für europäische Militärintervention im Sahel. Dort wächst der Widerstand gegen die Truppen aus der EU.

Auf einem heute zu Ende gehenden Sahel-Gipfel suchen Berlin und Paris nach Perspektiven für die desaströs verlaufende Militärintervention in Mali und dessen Nachbarstaaten. Der dortige Einsatz hatte Anfang 2013 mit dem Ziel begonnen, die Jihadisten, die damals Malis Norden beherrschten, zu besiegen und ihren terroristischen Aktivitäten ein Ende zu setzen. Nach rund acht Jahren vor allem europäischer Operationen im Sahel haben sich jihadistische Milizen zusätzlich in Zentralmali und außerdem in den Nachbarländern Niger sowie Burkina Faso festgesetzt; sie nutzen dabei ältere, sich zuspitzende sozioökonomische Konflikte, um neue Anhänger und Kämpfer zu rekrutieren. Immer wieder kommt es zu Massakern zwischen Milizen verschiedener Sprachgruppen mit Todesopfern in bis zu dreistelliger Zahl. Die Bundeswehr ist mit bis zu 1.500 Soldaten im Rahmen einer UN-Mission und eines EU-Ausbildungseinsatzes zugegen. Während vor Ort zunehmend Proteste gegen die europäische Truppenpräsenz laut werden, schwanken Berlin und Paris zwischen weiterer Militarisierung und ersten Diskussionen über eine Exit-Strategie.

Französische Kampftruppen

Hintergrund des aktuellen Sahel-Gipfeltreffens, das am gestrigen Montag in Tschads Hauptstadt N’Djamena begonnen hat und heute zu Ende gehen soll, ist zunehmende Unruhe – auch, aber nicht nur in Paris – über die Entwicklung der groß angelegten Militärintervention in der Region. Die Hauptrolle im Krieg gegen jihadistische Milizen im Sahel hat weiterhin Frankreich inne, das seine Kampftruppen im Rahmen seiner Opération Barkhane Anfang vergangenen Jahres von 4.500 auf 5.100 Soldaten aufgestockt hat. Im Grundsatz wird es dabei von der Einsatztruppe der „G5 Sahel“-Staaten (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad) unterstützt; allerdings läuft dies bislang noch nicht rund. Paris wünscht schon seit geraumer Zeit seine Truppen im Sahel zu reduzieren – zum einen, um seine Streitkräfte zu entlasten, zum anderen, um Kosten zu sparen: Frankreichs Ausgaben für den Krieg im Sahel wurden von 2018 bis 2020 auf gut eine Milliarde US-Dollar pro Jahr geschätzt.[1] Präsident Emmanuel Macron hat in seiner Neujahrsansprache bekräftigt, eine „Anpassung“ der „militärischen Anstrengungen“ seines Landes anzustreben.[2] Dies ist auch Gegenstand des aktuellen Gipfels, zu dem die Staatschefs der G5 Sahel-Länder nun in N’Djamena zusammengekommen sind; Macron und Deutschlands Außenminister Heiko Maas nehmen per Videoschaltung teil.

Deutsche Militärtrainer

Berlin ist in besonderem Maß involviert, weil sich die seit inzwischen gut acht Jahren andauernde Militärintervention in Mali zum zweiten bedeutenden Schwerpunkt der Bundeswehr neben dem Einsatz in Afghanistan entwickelt hat. Zum einen sind bis zu 1.100 deutsche Soldaten im Rahmen der UN-Mission MINUSMA vor allem in Malis Norden stationiert; MINUSMA hat im Kern die Aufgabe, ihr Einsatzgebiet zu stabilisieren. Punktuell leistet MINUSMA der Opération Barkhane Unterstützung, etwa bei der Logistik; allerdings handelt es sich nicht um einen Kampfeinsatz. Für ihre Operationen stehen den deutschen Soldaten unter anderem Spähpanzer des Typs Fennek und Aufklärungsdrohnen des Typs Heron zur Verfügung. Begleitend hat die Luftwaffe einen Lufttransportstützpunkt in Nigers Hauptstadt Niamey eingerichtet, der deshalb besonders nützlich ist, weil er näher am nordmalischen Kriegsgebiet liegt als Malis Hauptstadt Bamako.[3] Darüber hinaus beteiligt sich die Bundeswehr am EU-Ausbildungseinsatz EUTM Mali; Berlin hat die Obergrenze für das deutsche Kontingent im Frühjahr 2020 von 350 auf 450 Soldaten angehoben, was allerdings bislang nur theoretische Bedeutung hat, da EUTM Mali wegen der Covid-19-Pandemie zur Zeit nur recht eingeschränkt tätig ist. Von den rund 16.000 malischen Soldaten, die EUTM Mali inzwischen ausgebildet hat, sind aktuell weniger als 10.000 einsatzbereit.[4]

Milizen und Massaker

Die Bilanz der Militärintervention, die mit ihren drei großen Säulen (Opération Barkhane, MINUSMA, EUTM Mali) aktuell ins neunte Jahr geht, ist desaströs. Es ist nicht gelungen, Malis Norden wirksam zu stabilisieren. Stattdessen haben sich jihadistische Milizen inzwischen auch im Zentrum des Landes festgesetzt, wo sie – teilweise aus ökologischen Gründen eskalierende – sozioökonomische Konflikte nutzen, um Anhänger und Kämpfer zu rekrutieren (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Längst haben die bewaffneten Konflikte auch Malis Nachbarstaaten Niger und Burkina Faso erreicht [6]; zuletzt brachten am 2. Januar 2021 Milizionäre mehr als 100 Einwohner zweier Dörfer in der Region Tillabéri im Südosten Nigers um. Zu den Milizen, die im Sahel operieren, gehören die mit Al Qaida verbundene Jamaat Nusrat al Islam wal Muslimin (JNIM) sowie ein regionaler Ableger des IS, gegen die schwerpunktmäßig Angriffe der Opération Barkhane geführt werden. Wie die International Crisis Group in einer aktuellen Untersuchung berichtet, kommt konfliktverschärfend hinzu, dass sich die Streitkräfte der Sahel-Staaten bei ihren Operationen vor Ort nicht selten auf lokale Milizen stützen, die wiederum ihrer eigenen Agenda folgen. Dies spitzt die Konflikte, nicht zuletzt solche zwischen verschiedenen Sprachgruppen, weiter zu.[7]

„Marionette der Neokolonialisten“

Zusätzlich wächst im Sahel der Unmut über die westliche Truppenpräsenz. Kommt es bereits seit Jahren immer wieder zu heftigen Protesten in Malis Norden gegen MINUSMA [8], so haben diese inzwischen längst auch das Zentrum des Landes erreicht. Als im vergangenen Jahr Demonstranten gegen Malis damalige Regierung unter Präsident Ibrahim Boubacar Keïta auf die Straße gingen, attackierten sie diese nicht nur wegen ihrer Korruption, sondern auch als „Marionette eines neokolonialen Frankreich“, dessen Militäroperationen im Land sie aufs Schärfste anprangerten.[9] Dabei werden, wenngleich in etwas geringerem Maß, immer wieder auch Proteste gegen Truppen anderer europäischer Staaten laut; die International Crisis Group beschreibt die Stimmung als „weitverbreitete Feindseligkeit gegenüber der westlichen Intervention im Sahel“. Dies beschränkt sich nicht auf Mali. Als im Frühjahr 2020 in Niger Demonstranten gegen die dortige Regierung unter Präsident Mahamadou Issoufou auf die Straße gingen, die sie schwerer Korruption bezichtigten, protestierten sie auch gegen deren internationale Verbündete. Zu diesen gehört nicht zuletzt die Bundesregierung, die mit Issoufou unter anderem bei der Flüchtlingsabwehr kooperiert [10]; zuletzt telefonierte Kanzlerin Angela Merkel am 2. Februar mit ihm, um die Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Niger zu erörtern [11].

Schlimmer denn je

Auf dem aktuellen Sahel-Gipfeltreffen steht das weitere militärische Vorgehen zur Debatte. Paris will, nicht zuletzt mit Blick auf den dramatischen Absturz seiner Wirtschaft infolge der Covid-19-Pandemie, seine Kosten deutlich senken und fordert auch deshalb weiterhin Unterstützung durch andere Staaten ein. Zuletzt hat es eine neue Task Force gegründet („Task Force Takuba“), an der sich Sondereinheiten anderer EU-Mitglieder beteiligen und deren Aufgabe insbesondere darin besteht, Spezialkräfte der Sahel-Staaten zu trainieren und sie in Einsätze zu begleiten. Damit soll die Opération Barkhane entlastet werden. Allerdings läuft das Vorhaben relativ schleppend an: Zusätzlich zu 115 französischen sind bislang lediglich 30 estnische und 30 tschechische Elitesoldaten im Takuba-Rahmen im Einsatz; erst Anfang Februar hat die Entsendung von bis zu 150 schwedischen Militärs begonnen.[12] Die Bundeswehr beteiligt sich nicht – eine Fortsetzung ihres traditionellen Kurses, in Afrika nach Möglichkeit nicht unter französischer Führung und allenfalls parallel zu französischen Einsätzen zu intervenieren. Unklar ist freilich die langfristige Perspektive. Mittlerweile werden erste Debatten über eine „Exit-Strategie“ geführt.[13] Käme es zum Abzug der Streitkräfte aus der EU – auch der Bundeswehr -, dann hätten diese nur eines erreicht: Die Sahel-Staaten befinden sich in einem schlimmeren Zustand denn je zuvor.

 

[1] International Crisis Group: A Course Correction for the Sahel Stabilisation Strategy. Africa Report No 299. 1 February 2021.

[2] Johannes Leithäuser, Michaela Wiegel: Mühsamer Kampf gegen den Terror. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.02.2021.

[3] S. dazu Mehr Militär für den Sahel (I).

[4] Johannes Leithäuser, Michaela Wiegel: Mühsamer Kampf gegen den Terror. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.02.2021.

[5] S. dazu Die Menschenrechtslehrer und Ethno-Massaker im Sahel.

[6] S. dazu Mehr Militär für den Sahel (II).

[7] International Crisis Group: A Course Correction for the Sahel Stabilisation Strategy. Africa Report No 299. 1 February 2021.

[8] S. dazu Wie in Afghanistan (II).

[9] International Crisis Group: A Course Correction for the Sahel Stabilisation Strategy. Africa Report No 299. 1 February 2021.

[10] S. dazu Europas Wüstengrenze (II) und In die Rebellion getrieben.

[11] Bundeskanzlerin Merkel telefoniert mit dem nigrischen Präsidenten Issoufou. bundesregierung.de 02.02.2021.

[12] Les soldats suédois rejoignent la force européenne Takuba au Mali. france24.com 05.02.2021.

[13] Le débat – Opération Barkhane: vers un désengagement français? france24.com 15.02.2021

Der Originalartikel kann hier besucht werden