Gewinnen fühlt sich gut an – so gut sogar, dass wir in dem Moment leicht vergessen, wie schlecht sich Verlieren anfühlt.

Verlieren ist besonders schmerzhaft in Konflikten, in denen wir voll dabei, in denen wir mittendrin „im Spiel“ sind. Um die Metapher zu erweitern: Verlieren bedeutet in gewissem Sinne, die eigene Schutzhülle zu verlieren – den unmittelbarsten und intimsten Schutz gegen die Welt. Verlieren offenbart unsere Verletzlichkeit und kann dazu führen, dass wir uns gedemütigt und beschämt fühlen.

Das Prinzip „Erzeuge keine Verlegenheit“ – sich niemals auf einen Mechanismus zu berufen, der die Würde des anderen gefährdet, und niemals eine Beeinträchtigung der eigenen in Kauf zu nehmen – ist ein zentrales Element der prinzipiellen Gewaltfreiheit und steht in direktem Zusammenhang mit dem eben beschriebenen fragilen Zustand des Verlierers.

Prinzipielle Gewaltfreiheit fordert uns auf, die Würde aller Menschen zu respektieren, auch derjenigen, mit denen wir zutiefst uneins sind. Es ist dieser Respekt vor der Würde aller und die unerschütterliche Verpflichtung, diese Würde niemals zu gefährden, die eine Neuausrichtung der traditionellen Vorstellung von Streit/ Kampf/ Konflikt erfordert.

Prinzipielle Gewaltfreiheit lehnt die Idee des Nullsummenspiels ab. Praktizierende der prinzipiellen Gewaltfreiheit zielen nicht darauf ab, per se zu „gewinnen“, sondern sie bemühen sich, Wahrheit zu finden, die nicht das Eigentum nur einer Partei in einem Konflikt ist. Das liegt daran, dass ein Konflikt, wie Professor Michael Nagler erklärt, nicht als ein Machtkampf ausgelegt werden muss. Er kann stattdessen zu einem Gespräch werden, zu einem gemeinsamen Versuch, der Wahrheit näher zu kommen, wie belastend sie auch sein mag. Und Wahrheit ist, wie Liebe und Frieden, im Grunde genommen im Überfluss vorhanden; jeder kann, sollte und hat in der Tat bereits Anteil an ihr.

Sich an das Prinzip „Erzeuge keine Verlegenheit“ zu halten, ist nicht nur insofern gut, als es vermeintlichen Gegnern erlaubt, eine breitere Perspektive zu gewinnen (was ihnen hoffentlich ermöglicht, besser zu verstehen und sich einander anzunähern), sondern es ist auch effektiv. Ein Gegner, der in Verlegenheit gebracht wird, ist oft verwirrt und abgelenkt und sicherlich nicht in der Lage, zuzuhören oder gar seine eigene Position klar zu artikulieren. Andererseits kann ein Gesprächspartner uns helfen, mehr Klarheit und größeres Verständnis zu finden – und mehr noch, er kann uns von destruktiven Machtkämpfen befreien, die darauf abzielen, Gewinner und Verlierer zu etablieren. Wenn wir mit Respekt widersprechen und argumentieren können, erkennen wir die Würde des anderen an und sind dadurch in der Lage, neue Räume für Kompromisse und Wachstum zu schaffen.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige! 

Der Originalartikel kann hier besucht werden