Das trifft auf den Präsidenten der Firma Pfizer zu: Kaum zu glauben, doch er hat es geschafft. Am 9. November erklärt Albert Bourla gegenüber der Washington Post, dass der mit der deutschen BioNTech zusammen entwickelte Impfstoff während der Phase 3 der Forschung zu 90 % vor der Infektion schützt.

Dies ist ein äußerst riskantes Vorgehen im Endspurt zur Zulassung, denn noch steht der Nachweis aus, dass der Impfstoff auch sicher (ohne erhebliche Nebenwirkungen) ist und dauerhaften Schutz bietet (unter Garantie höchster Produktionsstandards). Eins ist sicher, diese Ankündigung hat zum gewünschten Erfolg geführt und in der direkten Folge zu einer positiven Reaktion der Börse: Innerhalb weniger Stunden stieg der Aktienwert der Pfizer um einige Punkte und verdrängte, zumindest vorübergehend, die Hauptkonkurrenten auf dem Zieleinlauf, namentlich die amerikanische Moderna und das britisch-schwedische Konsortium der Astra-Zeneca von der Universität Oxford.

Am selben Tag der Ankündigung verkaufte der Präsident der Pfizer 62 % (132.508) der von ihm von seinem Unternehmen gehaltenen Aktien zu einem Durchschnittspreis von 41,94 Dollar pro Aktie mit einem persönlichen Gewinn von 5,6 Millionen Dollar.

Was bei dem Skandal am deutlichsten ins Auge springt, ist nicht nur der Verkauf der Aktien Pfizers durch den Präsidenten der Firma. Es handelt sich dabei um übliche Praktiken der Finanzspekulationen. Nach Aussage von Beobachter*innen könnte der Verkauf auch auf eine gewisse Unsicherheit und Zweifel des Präsidenten an der Erfolgsträchtigkeit des Unternehmens bei der Produktion des Impfstoffs gegen Covid-19 gegenüber der starken Konkurrenz zurückzuführen sein. In der Tat teilte die Konkurrentin Moderna am 18. November mit, dass ihr Impfstoff einen Wirkungsgrad von 94 % habe. Dabei nannte AstraZeneca einige bedeutende Vorteile, die ihr Impfstoff gegenüber dem Produkt von Pfizer biete. Aus unerklärlichen Gründen wurden übrigens von den starken Kräften des Nordens bisher russische und chinesische Impfstoffe vorläufig außen vor gehalten.

Abgesehen von dieser Tatsache bleibt die grundsätzliche Frage, wie es überhaupt möglich ist, dass, angesichts des großen menschlichen und sozialen Leidens durch die Pandemie von hunderten Millionen Menschen auf der Welt und der verheerenden Folgen für die Arbeitswelt, die Wirtschaft und das Zusammenleben, unsere Gesellschaften so passiv bleiben und das Verhalten des Präsidenten der Pfizer und anderer pharmazeutischer Unternehmen, die nur ihr Profit interessiert, einfach hinnehmen, als wäre das ganz normal. Wie kann es sein, dass – angesichts der unheiligen Konkurrenz zwischen den multinationalen Unternehmen, die sich im Bereich der „nationalen Gesundheitssicherheit“ etabliert haben – die Öffentlichkeit nach wie vor privates Business und eine technokratische Markteroberung mit Milliarden von Euro stützt, anstatt eine weltweite Abstimmung der Gesundheitspolitik untereinander zu verlangen, nach objektiven Kriterien und im Hinblick auf gemeinsame Programme und Handlungen im Interesse aller? Weil die Regierungen uns weiterhin, offensichtlich zu Unrecht, glauben machen, dass die multinationalen privaten Unternehmen Quellen der Hoffnung und Rettung seien für die Gesundheit der Weltbevölkerung.

Angesichts der Dringlichkeit, Umweltschäden einzudämmen und den Klimawandel zu stoppen, um dem universellen Recht auf Leben und für das Leben wieder Wert beizumessen, müssten die Regierungen die volle Verantwortung und effektive Kontrolle dafür übernehmen, dass die Erde allen Bewohner*innen gehört, anstatt sie wie in den letzten 40 Jahren privaten Interessen des Handels, der Industrie und der Finanzwirtschaft zu überlassen. Gesundheit ist ein öffentliches Interesse, eine „res publica“. Die Regierungen dürfen nicht weiter Erfüllungsgehilfen der Multinationalen sein. Sie müssen aufhören, den Unternehmen Milliarden Euro zuzuschießen, für die Entwicklung und die Produktion von Impfstoffen und anderen lebenswichtigen Arzneien, um diese dann wieder teuer einzukaufen von den gleichen Unternehmen, die sie vorher über zahlreiche Kanäle finanziert haben, nicht zuletzt durch massive Steuervergünstigungen und zahlreiche finanzielle Anreize.

Das menschliche und soziale „kollektive“ Drama, das durch das Verhalten von Pfizer und anderen in Zusammenwirkung mit den Behörden offensichtlich geworden ist, besteht darin, dass es eine opportunistische Allianz zwischen Regierungen und Multinationalen gibt, die in einem entscheidenden Punkt zusammenarbeiten. Es ist nicht zu übersehen, dass die Gesundheitspolitik Ungerechtigkeit und fehlende Gleichberechtigung befördert, weil nicht alle den gleichen Zugang zum Impfstoff und zu den Therapien gegen Covid-19 haben werden. Auf der einen Seite sind das die reichen Länder und Bevölkerungsgruppen: Diese müssen öffentliche und private Gelder zur Sicherung ihrer Gesundheit ausgeben und zwar zu „Marktpreisen“, also jenen Preisen, die von den großen Unternehmen im Norden verlangt werden. Auf der anderen Seite die Politik für die ärmeren Länder und Bevölkerungsgruppen: Sie bleiben strukturell abhängig von der Wirtschaft der reichen Länder. Sie setzen auf einen Geist der Entwicklungshilfe und Nächstenliebe, um die notwendigen Mittel aufzubringen (siehe die Rolle der Impfallianzen GAVI und CEPI), um einen erschwinglichen Zugang (immer im Interesse der Unternehmen) zu Therapien zu gewährleisten, die aber im Vergleich zu der Anwendung in reichen Ländern längere Zeiträume, Verzögerungen und territoriale Beschränkungen aufweisen: Die Reichen bekommen das, was ihnen zusteht und was sie sich leisten können. Die Armen bekommen, was übrig bleibt und so viel, wie die Reichen glauben, sich leisten zu können zu geben.

Dürfen wir darauf hoffen, dass die Sondersitzung der UNO-Generalversammlung zur Covid-19-Pandemie einen neuen Weg beschreitet und neue Horizonte öffnet, einschließlich eines globalen Pakts für Gesundheit, der als globales öffentliches Gut und Dienst verstanden wird, frei von den Zwängen privater Aneignung und rein merkantiler Logik? Die acht Milliarden Einwohner der Erde erwarten von den herrschenden Klassen keinen Pragmatismus, sondern Mut und Gerechtigkeit.

Übersetzung aus dem Italienischen von Heidi Meinzolt und die Lektorierung von Jeannette Carolin Corell, beide vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!