Menschenrechte und Flüchtlingsschutz dürfen keine leeren Worte bleiben!

Anlässlich des Beginns der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli fordert PRO ASYL einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der europäischen Flüchtlingspolitik. Die Einhaltung von Menschenrechten und der Schutz von Flüchtlingen dürfen keine leeren Worte bleiben, sondern müssen umgesetzt werden. Die Ratspräsidentschaft Deutschlands folgt auf Kroatien, das während der ersten Jahreshälfte die Ratspräsidentschaft innehatte.

»Menschenrechte sind in diesem Jahr an den europäischen Außengrenzen zum reinen Lippenbekenntnis verkommen«, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Im zentralen Mittelmeer verweigern die Seenotleitstellen Italiens und Maltas ihre Pflicht zur Seenotrettung und lassen stattdessen Schutzsuchende in die Haftlager Libyens zurückschleppen. In der ersten Jahreshälfte 2020 wurde ein weiterer Tiefpunkt in der europäischen Asylpolitik erreicht: An der griechisch-türkischen Grenze wurde mit Waffengewalt gegen schutzsuchende Menschen vorgegangen, wobei mindestens zwei Schutzsuchende starben. Griechenland setzte zeitweise das Asylrecht aus.  Berichte über gewaltsame »Push-Backs« von Griechenland in die Türkei oder von Kroatien nach Bosnien-Herzegowina häufen sich.

Das griechische Flüchtlingslager Moria ist zum Sinnbild der gescheiterten EU-Politik geworden.15.552 Menschen leben dort unter schlimmsten Bedingungen (Stand: Ende Juni 2020). Trotzdem schlägt u.a. die Bundesregierung in ihrem Konzeptpapier vom 4. Februar 2020 eine Vorprüfung aller Asylanträge unter »freiheitsbeschränkenden Maßnahmen« an den europäischen Außengrenzen vor. Erneut soll ein am Reißbrett entworfener Plan durchgesetzt werden, der angesichts der Realität vor Ort zu katastrophalen Unterbringungsbedingungen und unfairen Verfahren führen wird. Das gleiche ist beim EU-Türkei-Deal geschehen, der anscheinend als Blaupause für die europäische Asylrechtsreform dienen soll. Ein breites Bündnis von 22 zivilgesellschaftlichen Organisationen hat bereits im März die Vorschläge der Bundesregierung kritisiert und die damit verbundene massive Ausweitung von Verfahren an den Außengrenzen abgelehnt.

Eine Komponente der EU-Türkei-Erklärung ist, dass alle Asylsuchenden, die auf den griechischen Inseln ankommen, in die Türkei zurückgeschoben werden sollen, da diese ein »sicherer Drittstaat« für sie sei. Die Asylanträge sollen deswegen als »unzulässig« abgelehnt werden. Auch die Bundesregierung sieht in ihrem Konzeptpapier eine Vorprüfung vor, in der die Zulässigkeit geprüft werden soll. De facto bedeutet dies, dass weiterhin auf Partner wie die Türkei in der Flüchtlingspolitik gesetzt wird. Die Türkei ist weder für eigene Staatsbürger*innen noch für Schutzsuchende aus anderen Ländern sicher. Asylsuchende aus der Türkei stellen aufgrund von u.a. staatlicher Verfolgung in Deutschland in diesem Jahr die viertgrößte Gruppe der Asylsuchenden. Syrer*innen erhalten in der Türkei nur einen temporären Schutz, der jederzeit widerrufen werden kann. Es gibt eine Vielzahl an dokumentierten Abschiebungen syrischer Flüchtlinge nach Syrien. Auch für Schutzsuchende aus anderen Ländern wie aus Afghanistan gibt es keinen tatsächlichen Schutz in der Türkei, sie müssen teils Jahre auf eine Registrierung warten und sind währenddessen de facto rechtlos und von Abschiebung bedroht.

»Mit einer Vorprüfung, in der die Zulässigkeit des Asylantrags geprüft wird, treibt die  Bundesregierung die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes  auf außereuropäische Staaten wie die Türkei voran. Dort bekommen die Menschen aber keinen Schutz! Die Bundesregierung und die EU-Kommission müssen dringend von diesen Überlegungen Abstand nehmen. Deutschland muss während seiner Ratspräsidentschaft endlich die Weichen für eine menschenrechtsbasierte Flüchtlingspolitik stellen«, so Burkhardt.

Eine ausführliche Analyse der Vorschläge aus dem Bundesinnenministerium, u.a. zu Zulässigkeitsverfahren und dem Konzept des »sicheren Drittstaats«, finden Sie hier.

Der Originalartikel kann hier besucht werden