Die Polizei sagt, dass Klimagruppen wie Extinction Rebellion eine „Bedrohung“ darstellen. Dasselbe hätten sie über die Suffragetten und Martin Luther King gesagt.

Es ist kein „Fehler“ oder ein „Versehen“, wie die Polizei jetzt behauptet. Es ist ein Muster. Zuerst enthüllt der Guardian, dass die Antiterrorismus-Polizei in Südost-England Extinction Rebellions (XR) und Youth Climate Strikes als Form des „ideologischen Extremismus“ aufgelistet hat. Dann haben Lehrer und Beamte im gesamten Land berichtet, dass sie in einem Briefing des Anti-Radikalisierungs-Präventionsprogramms aufgefordert worden, nach Personen Ausschau zu halten, welche offen Unterstützung für XR oder Greenpeace zeigen würden.

Anschließend fand der Guardian ein Handbuch der Antiterrorismus-Polizei mit Zeichen und Symbolen, welche von mehreren Gruppen genutzt werden. Neben Terroristen und gewalttätigen extremistischen Organisationen, führt das Handbuch ebenfalls Greenpeace, XR, PETA, CND, die Sozialistische Partei, Stop the War und andere friedliche, grüne und linke Organisationen auf. Außerdem hat die Zeitung auch herausgefunden, dass die Londoner Polizei in ihrer Beurteilung der Terrorismusbekämpfung XR als eine „Hauptbedrohung“ eingestuft hat.

Im Vereinigten Königreich gibt es eine lange Geschichte von Versuchen friedliche Proteste mit Extremismus und Terrorismus zu verbinden. Beispielsweise  wurde 2008  von dem Verband Association of Chief Police Officers (ACPO) eine Liste „einheimischer Extremisten“ erstellt. Unter diesen war Dr. Peter Harbour, ein Physiker und Hochschullehrer im Ruhestand, welcher die Todsünde begann, gegen den Versuch des Energiekonzerns Npower (damals RWE Npower), einen schönen lokalen See zu entwässern und mit pulverisierter Flugasche zu füllen, zu demonstrieren und Petitionen dagegen zu verfassen. Ebenfalls versuchte ACPO Friedensaktivisten, Greenpeace und das Klima-Camp das gleiche zuzuschreiben.

Die Polizei hat die etablierte Macht immer vor denen geschützt, die sie herausfordern und das unabhängig von der Art der Herausforderung. Hinzukommt, dass sie lange versucht haben friedliche Meinungsverschiedenheiten zu kriminalisieren. Ein Teil der Ursache dafür ist ideologisch: antiliberale und undemokratische Haltungen kennzeichnen die Polizeiarbeit in diesem Land. Ein weiterer Teil davon ist der Aufbau eines Imperiums: wenn die Polizeieinheiten die Regierung und die Medien von unmittelbarer Bedrohung, welche nur sie eindämmen können, überzeugen kann, dann können sie für mehr Finanzmittel plädieren.

Jedoch gibt es einen zusätzlichen Grund, welcher wohl noch gefährlicher ist: die Verbindung von staatlicher und korporativer Macht. Auf der ganzen Welt versuchen Unternehmenslobbyisten ihre Gegner als Extremisten und Terroristen zu brandmarken, wofür manche Regierungen und Polizeikräfte ein offenes Ohr haben. Ein neulich veröffentlichter Artikel in The Intercept versucht herauszufinden, warum das US-Justizministerium und das FBI sich viel mehr angestrengt hatten, um mythische „Ökoterroristen“ zu jagen, als echtem rechtsextremen Terrorismus nachzugehen. Ein ehemaliger Beamter erklärte: „Es gibt kaum Unternehmen, die sich melden und sagen: „Ich wünschte, ihr würdet etwas gegen diese Rechtsextremisten tun“. Ganz im Gegenteil, gibt es einen ständigen Druck der Unternehmen, dass etwas gegen die Umwelt- und Tierrechtsaktivisten „getan“ werden muss.

Wir spüren diesen Druck im Vereinigten Königreich. Im Juli hat die Lobbyistengruppe Policy Exchange einen Bericht veröffentlicht, dass XR von gefährlichen „Extremisten“ angeführt wird. Policy Exchange ist eine undurchsichtige Organisation, welche sich weigert ihre Geldgeber preiszugeben. Jedoch hat eine Nachforschung des Vice Magazine ergeben, dass sie finanzielle Unterstützung von dem Energieunternehmen Drax, dem Handelsverband Energy UK, sowie von den Gasunternehmen E.ON und Cadent bekommen.

Einer von den beiden Autoren des Policy Exchange Berichtes heißt Richard Walton und ist ein ehemaliger Polizeikommandant. In einem Bericht der Independent Police Complaints Comission (IPOC) hieß es, Walton hätte sich für Fehlverhalten verantworten müssen, wenn er nicht in den Ruhestand gegangen wäre. Der Fall betraf Vorwürfe über seine Rolle bei der Bespitzelung der Familie des ermordeten schwarzen Teenagers Stephen Lawrence während verdeckter Polizeiermittlung. Laut einem der involvierten Polizeibeamten, war der Grund für die Bespitzelung „Falschinformationen“ und „Schmutz“ über die Familie zu sammeln, sowie ihre Kampagne für Gerechtigkeit gleich zu Beginn zu stoppen.

Die Innenministerin Priti Patel hat die Aufnahme von XR auf die Polizeiliste der extremistischen Ideologien verteidigt. Jedoch scheinen mir, Leute wie Patel und Walton eine viel größere Bedrohung für die Nation, den Staat und unser Gemeinwohl darzustellen, als jeder grüne Aktivist. Bevor Patel eine Abgeordnete wurde, arbeitete sie für die Firma Weber Shandwick als eine Lobbyistin für British American Tobacco (BAT). Einer ihrer Aufgaben war es, einen Wahlkampf gegen die EU-Richtlinie zur Eindämmung des Tabakkonsums zu betreiben, dessen Zweck es war, die öffentliche Gesundheit zu schützen. In einer BAT-Mitteilung wurde darüber geklagt, dass das Weber Shandwick-Team „sich bei der Arbeit für BAT nicht wirklich wohl oder glücklich fühlt“. Jedoch stellten sie mit Genugtuung fest, dass zwei ihrer Mitglieder „ganz entspannt mit uns zusammenarbeiten“. Eine von ihnen war Patel.

In ihrer früheren Rolle als Staatssekretärin für internationale Entwicklung hielt Patel nicht genehmigte und geheim gehaltene Treffen mit israelischen Beamten ab. Daraufhin sprach sie die Möglichkeit an, dass ihre Abteilung britische Hilfsgelder durch die israelische Armee auf den besetzen Golanhöhen kanalisieren könnte. Nachdem sie gegenüber der Premierministerin Theresa May nicht offen über weitere geheime Treffen gesprochen hatte, würde sie zum Rücktritt gezwungen. Allerdings wurde sie von Boris Johnson in eine weitaus mächtigere Rolle wiedereingesetzt,.

Unsere Regierung trägt dazu bei, uns auf eine Katastrophe in einem Ausmaß zuzusteuern, wie es die Menschheit noch nie zuvor erlebt hat: der Zusammenbruch unserer lebenserhaltenden Systeme. Sie tut es zur Unterstützung bestimmter Ideologien – Konsumverhalten, Neoliberalismus, Kapitalismus – und im Namen von mächtigen Industrien. Das versteht man anscheinend unter der Definition von Mäßigung. Sich zu bemühen diese Katastrophe aufzuhalten ist Extremismus. Wenn du dich um andere Menschen scherst, kommst du auf die Liste. Wenn du dich einen Dreck um die Menschheit und das restliche Leben auf der Erde scheren würdest, werden dich die Polizei und die Regierung in Ruhe lassen. Du könntest sogar in ein hohes Amt berufen werden.

Es ist schwer, sich einen erfolgreichen Wahlkampf für Demokratie, Gerechtigkeit oder Menschenrechte vorzustellen, welcher von den Polizeikräften und der Regierung nicht als extremistische Ideologie eingestuft werden würde. Ohne Extremisten wie Emmeline Pankhurst, die behauptete, dass „das Argument der zerbrochenen Fensterscheibe das wertvollste Argument in der modernen Politik ist.“, wäre Patel keine Abgeordnete. Nur Männer mit bestimmtem Eigentum würden zur Wahl zugelassen werden. Ebenfalls gäbe es keinen Zugang zur Justiz, keine Rechte für Arbeiter, keine Verteidigung gegen Hunger und Elend, sowie keine Wochenenden.

In seinem Brief aus dem Gefängnis von Birmingham stellte Martin Luther King Jr., der Verleumdungen ausgesetzt war, die denen sehr ähnlich sind, die sich jetzt gegen den XR und andere Umweltgruppen richten, fest:

„Die Frage ist nicht ob wir Extremisten sein werden, sondern was für Extremisten wir sein werden. Werden wir Extremisten voll von Hass oder Liebe sein? Werden wir Extremisten für die Bewahrung von Ungerechtigkeit oder für die Ausweitung der Gerechtigkeit sein?“

Gute Bürger können den Tod des lebenden Planeten nicht sanftmütig hinnehmen. Wenn der Versuch, das Leben auf der Erde zu verteidigen, uns als Extremisten definiert, haben wir keine andere Wahl, als uns dieses Label zu Eigen zu machen.

George Monbiot ist ein Kolumnist der Guadian. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und übersetzt von Maria Kaschner vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!