Venezuela: Man bekommt Wohnungen zum Baupreis übereignet, finanziert durch eine langfristige Hypothek. Nach 5 Jahren darf man weiterverkaufen, aber nicht über dem Kaufpreis. Könnte man auch in Deutschland so verfahren?

Hunderttausende unterzeichnen Petitionen und zigtausende sind in Berlin auf die Straße gegangen, um gegen die eskalierenden Mietpreise und die Gentrifikation zu protestieren.

Die Forderungen lauten:

  • Wohnraum ist kein Geschäftsmodell, sondern Lebensraum für alle
  • Häuser sollen fürs Wohnen und nicht für den Profit gebaut werden
  • Niemand soll in Notunterkünften, Heimen oder auf der Straße leben müssen
  • Wohnraum, Boden und Natur sind Allgemeingut
  • radikaler Kurswechsel in der Wohnungspolitik und die Enteignung von profitorientierten Wohnungsunternehmen
  • Gemeinwohlorientierte Lösungen der Wohnungsfrage

Schauen wir uns aber nur einmal die Realität am Beispiel der Wohnungspolitik in Venezuela an. Hier wurden Forderungen der Proteste vom vergangenen Wochenende tatsächlich umgesetzt.

Man sollte sich das Beispiel Venezuelas vor Augen führen. Diejenigen, die jetzt richtigerweise Enteignung bzw. Vergesellschaftung fordern werden genauso dämonisiert wie die Regierung Venezuelas. Diese vertritt nämlich die Devise: Jeder hat Recht auf Obdach!

Seit 2011 wurden in Venezuela nach Angaben der Maduro-Regierung 2.5 Millionen neue Wohnungen für die Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Also für schätzungsweise 8 Millionen Menschen. Rein rechnerisch Wohnraum für 25% der Bevölkerung Venezuelas, wenn von 31 Millionen Einwohnern ausgeht.

Die Tagesszeitung Junge Welt berichtete kürzlich darüber, dass Venezuelas Regierung trotz der aktuellen Krise im Land sein Wohnungsbauprogramm fortgesetzt hat. 2,5 Millionen Appartements wurden jetzt fertiggestellt, so viele Wohnungen sind seit dem Beginn des Bauprogramms der venezolanischen Regierung im Jahr 2011 fertiggestellt und den Bewohnern übergeben worden. Sogar in dem durch einen Putschversuch und die Sabotage der Stromversorgung geprägten ersten Quartal 2019 ist die Zahl um rund 100.000 gewachsen.

Die Regierung machte die generelle Wohnungsnot der einkommensschwachen Teile der Bevölkerung zu einem zentralen Thema ihrer Sozialpolitik. Das Programm war danach 2011 von Hugo Chávez aufgelegt worden, um die durch mehrere Naturkatastrophen verschärfte Wohnungsnot zu beheben. Er hatte er im Anfang 2011 angekündigt, bis 2017 zwei Millionen Wohnungen fertigstellen zu wollen. »Es wird keine Familie im Land mehr geben, die nicht ihre eigene und angemessene Wohnung hat«, Zugleich rechnete er mit der Politik seiner Vorgänger ab. Für die Armen seien »Streichholzschachteln« gebaut worden, »aber für die Reichen errichteten sie große Häuser und Gebäude«.

Neue Hochhäuser und ganze Neubausiedlungen prägen inzwischen Caracas und die Umgebung. Bewohner berichten, dass sie im ersten Jahr kostenfrei in ihren neuen Wohnungen bleiben dürfen. Anschließend soll entsprechend ihrer jeweiligen Einkommen eine Miete festgelegt werden. Tatsächlich jedoch scheint dieser zweite Schritt nur selten stattzufinden, so dass die Menschen de facto kostenfrei in ihren Appartements wohnen.

Die Direktorin des Wohn- und Siedlungsprogramms der UN-, zeigte sich im vergangenen Jahr bei einem Treffen mit Venezuelas Vizeaußenminister beeindruckt von den Erfolgen der »Misión Vivienda«. Diese sei ein Modell, das den Völkern der Karibik großen Nutzen bringen könne, erklärte sie.

Doch auch heute noch ziehen sich Armensiedlungen an den Berghängen um die Metropole Caracas hoch, leben viele Menschen unter ärmlichen Verhältnissen. Ein Grund dafür ist, dass der Bedarf an Wohnraum in den vergangenen acht Jahren seit dem Start des Programms weiter zugenommen hat – die Bevölkerung Venezuelas ist allein in diesem Zeitraum um rund drei Millionen Menschen angewachsen. Die Gesamtbevölkerung beträgt 31 Millionen Einwohner.

Es gibt auch gewisse Probleme mit der Infrastruktur, die bei der Planung der Baumaßnahmen übersehen wurden. So sind die Strom- und Wasserleitungen oft nicht dafür ausgelegt, dass plötzlich Hunderte weitere Einwohner angeschlossen werden. Die Folgen sind auch in normalen Zeiten Stromausfälle und Störungen bei der Trinkwasserversorgung.

Ziel bleibt, insgesamt fünf Millionen Wohnungen fertigzustellen.

Mit dem 2011 lancierten Programm stellt die Regierung günstigen Wohnraum für Personen und Familien zur Verfügung, die einen entsprechenden Bedarf nachweisen können. “Die Misión Vivienda“ stellt die besten Grundstücke, die Finanzierung und Materialien bereit, schafft Dienstleistungen und Wohnraum sowie Kreditbedingungen, damit Familien sich eine Wohnung leisten können“, sagte Maduro.

In Venezuela werden mit diesem Programm vor allem die für Südamerika typischen Slumgebiete schrittweise beseitigt, die sich wie ein Gürtel um die Millionenstädte ziehen.

Im Jahr 2018 läuft außerdem ein neuer Plan zur Erneuerung von Dächern bei sehr einfachen Häusern an. Renovierungsmaßnahmen in Sozialsiedlungen älteren Datums sind ebenfalls vorgesehen. Außerdem sollen Asbestmaterialien in Gebäuden ersetzt werden, um weitere Gesundheitsschäden der Bevölkerung zu vermeiden.

Geplant ist auch, in verschiedenen Regionen die Trinkwasserversorgung zu erneuern bzw. zu erweitern. Investitionen im Straßennetz und bei der Stromversorgung sind ebenfalls für 2018 vorgesehen.

Das Nationale Institut für Landvergabe hat in diesem Jahr auch über 1000 Besitztitel für Landparzellen vergeben. Damit sind insgesamt fast 1 Million Besitztitel erteilt worden. Die neu gewählten Bürgermeister des Landes haben einen gemeinsamen Koordinierungsplan erstellt, um die Ressourcen optimal verwenden zu können. Laut bisherigem Gesetz müssen die Unterklassenhaushalte die bezogenen staatlich errichteten Wohnungen, die im Vergleich zur vorherigen Situation beträchtlichen Komfort aufweisen, in an ihre Einkommen angepassten Raten abzahlen, was sehr lange Abzahlungsfristen beinhalten kann. Den Preis bestimmen die Baukosten.

Es handelt sich also nicht um einen spekulativen Marktpreis, und auch die Wohnlage hat keinen Einfluss – viele Sozialwohnungen wurden in enteigneten Mittelschichtsquartieren errichtet. Bei Bezug der Wohnungen erhalten die Leute eine Zuweisungsbescheinigung und sind damit vor Rauswurf geschützt. In den ersten 5 Jahren dürfen sie ihre Wohnung verkaufen, sofern diese abbezahlt ist, aber der Staat hat ein Vorkaufsrecht. Danach dürfen die Haushalte, die im Übrigen innerhalb der Familien vererbbaren Wohnungen frei verkaufen, aber nur zu ihrem ursprünglichen Erstehungswert.

Präsident Maduro, betont, diese seien „ein grundlegendes Instrument“, das gestärkt werden müsse. „Der Schlüssel zu allem ist die Organisation und das Bewusstsein der Bevölkerung“. Die Wohnungspolitik müsse eng mit der Organisierung in den kommunalen Räten verbunden werden. „Komitees für städtischen Boden“ (Comités de Tierra Urbana) entstanden vor etwa 15 Jahren, um die Bewohner von Siedlungen an den Rändern von Großstädten, die bereits seit den 1950er-Jahren aus Landflucht und Armut entstanden sind, zu organisieren. In den letzten Jahren hatten zudem Wohnungslose staatlich enteignete Spekulationsgrundstücke besetzt.

Mietenwahnsinn in Deutschland stoppen am Beispiel von Venezuelas Wohnungsbauprogramm

„Gran Misión Vivienda“ Wohnbauprogramm in Venezuela. (Bild: minci.gob.ve)

Die Vergabe städtischer Landtitel soll für die Bewohner Rechtssicherheit schaffen. Die sozialistische Regierung in Venezuela verfolgt eine städtische Wohnungspolitik, die von Vertreibungen und vom Abriss wilder Ansiedlungen absieht. Stattdessen sollen ihre Infrastruktur an das allgemeine Versorgungsnetz angeschlossen und Mittel zur Eigenhilfe bei Instandsetzungen und Bausicherheit zur Verfügung gestellt werden. Sehr interessant ist auch der technische Hintergrund des Wohnungsprogramms. Dieses wird maßgeblich auch durch ein iranisches Unternehmen betrieben.

Die iranische Baufirma Kayson war viele Jahre nur in Teheran tätig. Seine Projekte waren oft sehr großflächig und infrastrukturell, darunter auch Arbeiten wie am Internationalen Flughafen in Teheran, die Gas Pipelines und die ersten U-Bahn-Tunnel in Teheran. Im Jahr 2006 kam es zu einer Verschiebung des Arbeitsbereichs des Unternehmens, auch eine Reihe von Verträgen über die Lieferung von über 20.000 Wohneinheiten in sieben Provinzen Venezuelas in Form von kleinen Townships getragen vom Projekt Gran Misión Vivienda Venezuela , dem oben beschriebenen von Hugo Chavez ins Leben gerufenen nationalen Wohnbauprogramms. Dann kamen weitere Großprojekte im Irak und in Iran.

Das Unternehmen Kaysons hat ein „wegweisendes“ Konstruktionssystem erfunden, das Techniken der Vorfertigung und des Beton-Gusses beinhaltet. Komplexe Stahlschalungen werden im Iran entworfen und hergestellt und dann wird vor Ort der Beton in die Schalungen gegossen

Mit nur wenigen Schalungen wurde eine große Anzahl von Modulen hergestellt, die in verschiedenen Konfigurationen wiederholt und neu angeordnet werden konnten. So wurden 16.080 Wohneinheiten des Kayson-Gehäuses in Teheran mit insgesamt 16 Wandschalungen produziert.

Die Technik erlaubt wenig Abwechslung, und die Gebäude scheinen von außen identisch zu sein. Sie werden in parallelen Reihen eng aneinander angelegt. Jedes Gebäude hat fünf Stockwerke und der identischen Anordnung der Fassadenöffnungen.

Auf Kosten bestimmter Konstruktionsbeschränkungen erlaubt die Technologie von Kayson eine Rekordgeschwindigkeit bei der Konstruktion. Diese Geschwindigkeit wird durch eine bestimmte Arbeitsorganisation möglich. Die Schalungen dieser Elemente werden in der Fabrik erstellt. Sowohl das kreative Design der Häuser als auch die wissenschaftliche Rationalisierung ihrer Bauelemente und die robotergestützte Herstellung der Schalungen finden in Teheran statt. Eine besondere Arbeitsteilung erhöht die Konstruktionsgeschwindigkeit auf 600 Einheiten pro Monat und eine Wohneinheit pro Stunde

Zigtausende haben in Berlin und in anderen Städten an der Demo „Mietenwahnsinn stoppen“ teilgenommen – Venezuela: Man bekommt die Wohnungen zum Baupreis übereignet, finanziert durch eine langfristige Hypothek. Nach 5 Jahren darf man weiterverkaufen, aber nicht über dem Kaufpreis. So könnte man beispielsweise auch in Deutschland verfahren.