„Links“ und „rechts“ werden als politische Kampfvokabeln eingesetzt — aber nur selten richtig verstanden.

Es wäre wichtig, sorgfältig mit diesen traditionellen politischen Zuordnungen umzugehen — vor allem wenn es um die Frage geht, mit welchen Gruppen man politisch kooperieren möchte. Wo hört politische Offenheit auf, und wo beginnt gefährliche „Querfront-Strategie“? Eine eher linke Tour ist es, wenn missliebige Gegner durch die Etikettierung als „rechts“ in der politischen Diskussion diskreditiert werden sollen. Gelegentlich gewinnt man durch inflationären Gebrauch des Begriffs den Eindruck, es liefen in Deutschland mehr Rechte herum als 1940. Andererseits bezeichnet man eine Koalition der Ex-PDS mit Hartz-IV- und Kriegsparteien als „Linksbündnis“. Zeit, mit der babylonischen Sprachverwirrung aufzuräumen.

Darf man mit Rechten zusammen demonstrieren gehen? Vor allem in der abgeebbten Diskussion um die „Montags-Mahnwachen“ wurde diese Frage heiß diskutiert. Leider macht sie keinerlei Sinn, ohne dass zuvor geklärt ist, was man überhaupt unter „rechts“ versteht.

Würde ich zusammen mit Leuten demonstrieren wollen, die eine Hakenkreuzfahne tragen? Nein.
Würde ich mit jemandem demonstrieren, der einen Trachtenjanker trägt? Sicher.

Gerade in meinem Heimatland Bayern hat sich gezeigt, dass Bauern zum Beispiel ausgezeichnete Verbündete sind, wenn es um den Widerstand gegen Gentechnik geht.

Ich war einmal auf einer Veranstaltung der Aktion „UmFairTeilen“ zusammen mit dem Sozialverband VdK und dem Christlichen Arbeitnehmerverband — eher als bieder geltende „Schlachtschiffe“ der sozialen Lobbyarbeit. Ehrlich gesagt ging es mir gut in diesem Kreis von Mitstreitern, war ich doch von anderen Demonstrationen eher Leute mit Lenin-Bildern gewöhnt. Auch Stalin und Mao habe ich schon gesichtet — wohl gemerkt in „meinem“ Lager, dem der „Guten“.

Die Begriffe „links“ und „rechts“ in ihrer politischen Verwendung gehen zurück auf die Sitzordnung innerhalb der französischen Verfassungsgebenden Nationalversammlung von 1789, stehen also in einem Zusammenhang mit der Französischen Revolution.

„Die linke Seite ‚le côté gauche‘ kennzeichnete eine revolutionäre, republikanische Stoßrichtung, während ‚le côté droit‘ mehr zurückhaltende, der Monarchie freundlich gesinnte Vorstellungen vertrat.“ (1).

Im französischen Parlament etablierten sich seit der Julirevolution 1830 die Begriffe endgültig zur Kennzeichnung von „Republikanern“, rechts, und „Monarchisten“, links. Die Frankfurter Nationalversammlung – Paulskirchenparlament, 1848/1849 – übertrug diese Sitzordnung und Begriffsverwendung auch auf deutsche Verhältnisse.

Interessant ist in einem Wikipedia-Artikel die Zuordnung der wichtigsten inhaltlichen Begriffe zu „Rechts“ und „Links“; der jeweils erste Begriff ist „rechts“: Elitär – Egalitär, Konservativ – Progressiv, Nationalistisch – Internationalistisch. Diese Zuordnung entspricht sicher unserer heutigen „intuitiven“ Einschätzung bezüglich Links und Rechts. Vor allem, was das Gleichheitsprinzip anbelangt, dürfte es wenig Zweifel an der Verwendung der Begriffe geben. Was die anderen Polaritäten anbelangt, so sind jedoch mit Blick auf heutige Verhältnisse Zweifel am Platz. Was kann in einer Epoche des politischen Rollbacks progressiv genannt werden: die rückwärtsgewandten „Reformen“ oder eher der Widerstand dagegen? Und hat nicht eine „Mitte-Rechts-Regierung“, Union und FDP, den nationalen Selbstschutz gegen internationale Konzernmacht massiv aufgeweicht?

Wichtig sind am Begriff „links“, mit dem sich viele von uns sicher zu Recht noch immer identifizieren, vor allem drei Werte, die ihn auch in seinen Ursprüngen konstituieren: Gleichheit, die Abwesenheit angeblicher Rangordnungen, mögen diese nun ständisch, durch Geburt, Rasse, Religion oder Besitz begründet sein. Freiheit von Unterdrückung und Bevormundung durch weltliche und geistliche Obrigkeiten. Menschenrechte, verstanden als Naturrecht, das sich nicht an wechselnden Machtverhältnissen und den sie widerspiegelnden Gesetzen orientiert, sondern dem Menschen „von Natur aus“ zukommt.

Interessanterweise ist der Naturrechtsgedanke älter als die Aufklärung und war in seinen frühen Erscheinungsformen religiös begründet, zum Beispiel als „Gotteskindschaft“. Bekannt ist etwa der Spruch des englischen Priesters und Unterstützers der damaligen Bauernaufstände, John Ball (1335 bis 1381): „Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?“ So naiv der Verweis auf Adam und Eva auch heute wirken mag, der Satz relativierte jegliche ständische Überheblichkeit mit Blick auf einen idealen Ursprungszustand des Menschen, dessen Wesen Gleichheit ist.

Ball zeigt sich somit als Re-Volutionär im eigentlichen Wortsinn, denn die Vorsilbe „Re“ signalisiert – was häufig übersehen wird – ein Zurückgehen zu einem, oft nur idealisierend so vorgestellten, Urzustand. Somit können sich bezüglich der Definition der Begriffe „progressiv“, „reaktionär“, „konservativ“, „revolutionär“ und so weiter zusätzliche Verwirrungen auftun, weil es immer die Frage ist, was jemand erhalten oder umstürzen will, zu welchen Werten er zurück oder fortschreiten will.

Eine Re-Form kann neoliberaler Klassenkampf von oben sein, konservativ der Widerstand dagegen — von Neoliberalen wird das Bewahren sozialer Errungenschaften gern als „Besitzstandsdenken“ diffamiert.

Eine Revolution kann hinter die Blütezeit des Neoliberalismus der 80er und 90er Jahre zurückwollen in die Helmut-Schmidt-Ära. Oder zum Leninismus. Oder zu Adam und Eva. Oder vorwärts zum Noch-nie-Dagewesenen, wobei dann freilich die Vorsilbe „Re“ nicht passen würde.

Wichtig ist aber die Feststellung, dass „Links“ in seinen Anfängen eng mit dem Wertetrio „Gleichheit“, „Freiheit“, „Menschenrechte“ verbunden war — wobei die „Brüderlichkeit“ durchaus eingeschlossen war. So gesehen ist die Vokabel „links“, wie sie von der Partei „Die Linke“ verwendet wird, noch immer als Identifikationsbegriff bestens geeignet.

Der Historiker Holdger Platta nannte in einem Vorgespräch, das wir über diesen Artikel führten, zwei Säulen der linken Weltanschauung: den Kampf gegen Ausbeutung und den Kampf gegen Unmenschlichkeit. Wird der zweite Aspekt fallengelassen, etwa im „roten Terror“ des Ostblock-Kommunismus, so nimmt das betreffende Regime den Begriff „links“ eigentlich zu Unrecht für sich in Anspruch. Zumindest handelt es sich dann um ein halbiertes Linkssein, ähnlich einem Vogel, der mit nur einem Flügel abheben will. Der zweite, der Menschlichkeitsflügel wäre dann ja amputiert.

Es ist also, wenn es um die Bezeichnung einer politischen Richtung als „links“ geht, die Frage, wonach man seine Definition ausrichten möchte. Geht man von den Ursprüngen des Begriffs „links“ und von seiner idealen Gestalt aus, so ist er „makellos“ und steht tatsächlich für eine politische Kraft des Guten. Ein Stalin wäre demgemäß kein Linker und würde sich diese Bezeichnung nur anmaßen. „Rechts“ wären umgekehrt jene Kräfte, die den humanen Fortschritt aufhalten und an Ungleichheit, Ausbeutung, Autoritarismus, Elitenherrschaft, der Verachtung der Menschenrechte festhalten wollen.

Definiert man den Begriff „links“ dagegen über eine antikapitalistische Wirtschaftsideologie und über seine Verwendung durch die betreffenden politischen Kräfte in der Praxis, so kann er auch Unmenschlichkeit beinhalten, wären Stalin und Mielke mit im Boot.

Sicher ist, dass die Begriffe „links“ und „rechts“ starken historischen Veränderungen unterliegen. Eine republikanische Gesinnung, getragen von der Bourgeoisie, konnte zur Zeit der Französischen Revolution als „links“ gelten. Mit der Etablierung des Bürgertums als staatstragender Schicht und der Entstehung einer Arbeiterklasse während der Industrialisierung rückte ersteres quasi nach „rechts“, wurde von sozialistischen Revolutionären wie Lenin als die Ausbeuterklasse schlechthin angesehen, die es zu entmachten galt.

Im Sinne der Marxschen Dialektik — also These, Antithese und Synthese — kann sich eine zuvor fortschrittliche Kraft in Folge eines historischen Prozesses in eine konservative beziehungsweise rückschrittliche verwandeln. Entscheidend dafür ist immer der Faktor „Macht“, der für die Klasse, die sie errungen hat, mit dem Wunsch nach Privilegienerhalt, also mit dem „Treten nach unten“, verbunden sein. „Links“ kann somit über einen längeren Entwicklungszeitraum nach „rechts“ rücken.

Das Bürgertum akzeptierte 1914 noch überall weitgehend die Monarchie, den Kaiser oder Zaren, wenn auch ergänzt durch demokratische Strukturen. Das Frauenwahlrecht gab es damals in Deutschland und Österreich noch nicht. Heute werden schon Kräfte als „rechts“ bezeichnet, für die eine demokratische Verfassung selbstverständlich ist, wie etwa die Unionsparteien — auch wenn sich die Demokratie leider schleichend in eine Fassadendemokratie gewandelt hat.

Links und Rechts: Die Zuordnung von politischen Phänomenen zu den Begriffen ist derart schwierig, dass ich mich immer ein wenig wundere, wenn mit Begriffen wie „rechts“ aus der Hüfte geschossen wird — wohlgemerkt in einem Tonfall unerschütterlicher Selbstgewissheit.

Behauptet wird ein Kontinuum zwischen zwei Polen, innerhalb dessen sich politische Weltanschauungen klar positionieren lassen.

Ist das so? Auch auf die Gefahr hin, dass sich manche provoziert fühlen werden, behaupte ich, dass „Rechts“ und „Links“ als Begriffe zur Beschreibung politischer Inhalte nur noch teilweise tauglich sind. In manchen Fällen trüben sie die klare Wahrnehmung eines Phänomens. Ich sage gleich vorab, was ich mit dieser Debatte nicht bewirken möchte:

  • Ich möchte nicht leugnen, dass es „Rechts“ und „Links“ in Reinform auch heutzutage noch gibt. So sind Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, überhaupt die Behauptung einer natürlichen Rangordnung zwischen Menschengruppen, „rechts“; das Eintreten für Arbeitnehmerrechte ungeachtet der Herkunft, Religion oder Volkszugehörigkeit ist dagegen „links“.
  • Das Rechts-Links-Schema zumindest in Teilbereichen zu relativieren, bedeutet für mich nicht, dass ich mich mit eindeutig rechtem Gedankengut verbrüdern will. Ich nenne ein Beispiel aus persönlicher Erfahrung: Eine ältere Dame, für die ich vor Jahren einen privaten Lektorats-Auftrag erledigte, überraschte mich beim Kaffee mit der Aussage: „Sie haben ja eigentlich noch zu wenige Juden vergast“. Ich bin abgereist, mit dieser Dame war keine Zusammenarbeit mehr möglich. Wie hätte ein Kompromiss auch aussehen sollen? Hätten wir darüber streiten sollen, welche Anzahl an Getöteten noch hinnehmbar gewesen wäre, um uns dann irgendwo in der Mitte zu einigen? Skepsis gegenüber der universellen Gültigkeit des Links-Rechts-Schemas ist nicht gleichzusetzen mit Kumpanei mit der Unmenschlichkeit.

Kein Entgegenkommen ist dort angezeigt, wo rechte Gruppen Feindschaft gegen eine ganze Kultur oder eine Religion — heute meist den Islam — verbreiten, ohne den Einzelmenschen zu beachten und ohne zwischen humanen und inhumanen Spielarten dieser Kultur zu unterscheiden. Kein Entgegenkommen auch dort, wo ohne Rücksicht auf die oft entsetzlichen und berührenden persönlichen Schicksale behauptet wird, es kämen „zu viele“ Flüchtlinge ins Land. Dies impliziert ja, dass man Migranten, ohne die Folgen in den Blick zu nehmen, einfach wieder über die Landesgrenzen dorthin zurücktreiben müsste, wo sie herkommen.

Ich bin nicht bereit, jeden „einzugemeinden“, der von sich behauptet: „Was schert mich Rechts und Links, wir sind doch alle für den Frieden!“

Dies vorausgeschickt, meine ich aber, dass es Weltanschauungen gibt, die

  1. sowohl rechts als auch links sind
  2. weder rechts noch links sind
  3. naturgemäß eher links sind, von den Linken aber nicht als zu ihnen gehörig anerkannt werden.

Wichtig ist zunächst, sich klar zu machen, welche sehr unterschiedlichen politischen Strömungen als „rechts“ beziehungsweise „links“ bezeichnet werden. Was „rechts“ betrifft, so sind es in er Gegenwart mindestens deren drei:

  1. Rechtsradikalismus mit meist rassistischem und ausländerfeindlichem Einschlag. Nazis und Neonazis gehören klar in diese Kategorie, aber auch „mildere“ Formen von Patriotismus, Autoritarismus und Xenophobie.
  2. Konservativismus mit Einstellungen wie Recht-und-Ordnung-Mentalität, Traditionalismus, Heimatliebe und Misstrauen gegenüber allem Ungewohnten. Der Begriff ist heute besonders schillernd. Bezeichnete er vor 100 Jahren noch ein unangenehm reaktionäres Weltbild, basierend zum Beispiel auf Kaisertreue, Militarismus und Junker-Arroganz, so kann „konservativ“ heute auch berechtigten Widerstand signalisieren: gegen die fortwährende, profitgetriebene Zerstörung eines lieb gewonnenen Lebensumfelds.
  3. Neoliberalismus: Parteinahme für die Umverteilungsgewinner, Arbeitgeberfreundlichkeit und Betonung der unternehmerischen Eigenverantwortung, die Ideologie einer Welt als Ware. Alle vier „Altparteien“ — Union, FDP, SPD und Grüne — gehören, mit nur geringfügig verschiedenen Schattierungen, hierher. Besonders die beiden letztgenannten Parteien würden sich aber gegen die Bezeichnung „rechts“ vehement zur Wehr setzen, obwohl sie einer globalen Ungleichheit den Boden bereiten, die von Jean Ziegler zu Recht als „neuer Feudalismus“ gebrandmarkt wurde. Ungleichheit wird in diesem Milieu überwiegend durch einen idealisierten Leistungsbegriff legitimiert. Jeder ist eigenverantwortlich „seines Glückes Schmied“, wobei der Kapitalismus diesen Grundsatz durch die Möglichkeit leistungsloser Einkünfte aus Bodenrenten, Mieten und Zinsen sowie der Vererbung von Reichtum wiederum selbst ad absurdum führt.

Wir haben also ein sehr unübersichtliches und heterogenes Feld vor uns. Konservativismus und Neoliberalismus geben sich gern gesetzestreu und systemkonform, während Rechtsradikalismus den „Mut“ zur Illegalität und einen Nonkonformismus der Unmenschlichkeit betont. Als „rechts“ bezeichnet werden gleichermaßen CDU und NPD, technokratischer Internationalismus und rückschrittlicher, fremdenfeindlicher Nationalismus – eine Gleichsetzung, über die sich Unionsanhänger nicht ohne Grund beschweren. Ein mögliches CDU/AfD-Bündnis würde „Rechtsbündnis“ genannt werden.

Als „links“ können mindestens drei Gruppen bezeichnet werden:

  1. Gemäßigt Neoliberale, dies betrifft vor allem SPD und Grüne. Wohlgemerkt: Sie werden als links bezeichnet – ob sie es sind, ist eine ganz andere Fragen. Gerade die SPD hat sich durch ihren dreifachen Verrat am Antinationalismus, Antimilitarismus und Antikapitalismus in der Ära Friedrich Eberts nicht nur von den Wurzeln des „Linksseins“ abgeschnitten, sondern auch von sämtlichen Verzweigungen.
  2. Die Partei „Die Linke“, die den Kapitalismus kritisiert und ihn spürbar umgestalten will, jedoch im Wesentlichen sozialdemokratisch (im traditionellen Sinn) argumentiert.
  3. Kommunisten, die den Kapitalismus von Grund auf abschaffen wollen. Kein Privateigentum an Boden, Gemeingütern und Produktionsmitteln – solche Forderungen sind heute nicht gerade gängig in der politischen Diskussion. Hilfreich war die Tabuisierung kommunistischer Ideen während des Kalten Kriegs und der Wende-Euphorie nicht. „Roter Terror“, Gulag, Geheimpolizei, Mauer und Schießbefehl gehören entgegen dem Klischee nicht zum Wesen des Kommunismus; dass sie über lange Wegstrecken in der Geschichte seine Begleiter waren, ist allerdings nicht gerade ermutigend.

Was bedeutet also „links“ in unserer Zeit? Ein „Linksbündnis“ in der Realpolitik wäre ein Bündnis zwischen Stützen des Neoliberalismus und seinen gemäßigten Kritikern (den heutigen „Linken“). Auch hier also ein reichlich heterogenes Feld. Verwirrung über die Begriffe ist zunächst einmal der Beginn eines notwendigen Klärungsprozesses. Wenn wir von „Rechts“ und „Links“ sprechen, ist es also entscheidend wichtig, deutlich zu machen, welches Rechts und Links wir eigentlich meinen.

Das Reden von „Rechts und Links“ erschafft die Illusion einer Bipolarität auf nur einer Koordinatenachse, auf der sich alle konkreten Weltanschauungen verorten lassen. Es gibt aber unzählige Gegensatzpaare, unzählige „Skalen“, auf denen man politische Aussagen einordnen kann. Man denke etwa an die Pole „Freiheit“ und „Autoritarismus“.

Hier gibt es mitunter eine echte „Querfront“ zwischen rechter und linker Staatsgläubigkeit, gegen die sich Libertäre zur Wehr setzen. Oder man denke an das Gegensatzpaar „Atheismus“ und „religiöser Fundamentalismus“. Hier können CSU und Salafisten nahe beieinander sein in ihrer Forderung nach einem strafbewehrten Gotteslästerungsparagrafen. Atheistische Linke können dagegen zusammen mit toleranten Anhängern einer freiheitlich-mystischen Spiritualität dagegenhalten.

Neoliberale sehen sich selbst im Übrigen gern als eine Kraft der Mitte zwischen den Extremen des Rechts- und Linksextremismus. Der Kapitalismus ist jedoch keine „gemäßigte“ Ideologie, sondern lediglich diejenige Form des Extremismus, die derzeit an der Macht ist.

Da er die kulturelle Hegemonie errungen hat, vermag er die meisten Bürger auch dazu zu überreden, in ihm das „Normale“ zu sehen. Wer wirklich an Humanität, Freiheit und Gerechtigkeit interessiert ist, wird im aktuellen politischen Spannungsfeld gegen mindestens vier extremistische Gegner kämpfen müssen: Faschisten, Linksautoritäre, Turbokapitalisten und religiöse Fundamentalisten.

Diese Überlegungen sind wichtig, wenn es beispielsweise um gemeinsames Demonstrieren oder um Aktionsbündnisse geht. Wichtig vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der etikettierende Begriff „rechts“ häufig undifferenziert verwendet wird, um Andersdenkenden in der Debatte einen rhetorischen Vernichtungsschlag zu versetzen. Ich bin durchaus für eine wehrhafte Humanität, die inakzeptable rechte Weltanschauungen klar benennt. Allerdings kommt es entscheidend darauf an, welches „rechts“ ich meine. Damit sind wir wieder am Beginn dieser Debatte: Was ist rechts, was links?

Jutta Ditfurth postete auf ihrer Facebook-Seite folgende interessante und schlüssige Definition:

„Links sein heißt auf der Seite der Ausgebeuteten, Gedemütigten und Versklavten zu stehen und Werte wie soziale Gleichheit als Grundlage wirklicher Freiheit zu verteidigen. Diese Position radikaler Humanität schließt jede Form der Entwertung von Menschen aus. Rechts zu sein, bedeutet sich auf die Seite der Inhumanität zu stellen, und z.B. Hierarchien und Herrschaftssysteme nur anzugreifen, um sie durch solche zu ersetzen, von denen man selbst einen Vorteil hat. Rechts zu sein, bedeutet Menschen und Menschengruppen zu entwerten (Rassismus, Antisemitismus, Sexismus usw.).“

Diese Unterscheidung Ditfurths leuchtet auf den ersten Blick ein. Zutreffend ist sie vor allem wenn man „links“ von seinen ideellen Wurzeln her – quasi als von der Realität ungetrübte Maximalforderung – definiert. Wenn „Links“ an der Macht war, hat es schwer gegen ursprüngliche Grundsätze verstoßen – vor allem indem Menschen unter „linken“ Regimen drangsaliert und gedemütigt wurden. Richtig ist die Unterscheidung Ditfurths auch, wenn man Rechts nicht mit „gemütlichem“ Wertkonservativismus, sondern mit dem gefährlichen Wahn faschistischer und anderer stark hierarchisierender Ideologien gleichsetzt.

Problematisch wird es jedoch, wenn Ditfurth schlussfolgert: „Wer behauptet, wie das die Neue Rechte tut, es gebe weder links noch rechts, verschleiert nur dass er rechts steht!“ Natürlich: wenn glühende Rechte behaupten, es gebe weder links noch rechts, ist das Verschleierungstaktik; für Menschen, die sich mit gutem Grund weder dem einen noch dem anderen Lager zurechnen, ist Ditfurths Satz jedoch diskriminierend. Er bedeutet nichts anderes als „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“.

Um hier einen Politiker zu zitieren, der normalerweise links eingeordnet wird: Íñigo Errejón vom spanischen Bündnis Podemos hält Links und Rechts, wie in der „taz“ zu lesen war, für überholte Kategorien. Denn „ob Mitte-Links oder Mitte-Rechts, die Politik ist die gleiche: Austerität, Sozialkürzungen“. Damit behauptet Errejón nicht, es sei egal, ob in Spanien Neofaschisten an die Macht kämen. Er konstatiert nur, dass sich die Unterschiede zwischen Links und Rechts nahe der Mitte schon jetzt eingeebnet haben.

Wichtig für künftige Diskussionen wird also sein, zwar nicht gänzlich auf die Begriffe „links“ und „rechts“ zu verzichten, sie jedoch sorgfältig und geschichtsbewusst anzuwenden und im Zweifelsfall einfach zu definieren, was man im konkreten Fall darunter versteht.

Dieser Beitrag von Roland Rottenfußer erschien bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse unter CC BY 4.0.


Roland Rottenfußer, Jahrgang 1963, war nach dem Germanistikstudium als Buchlektor und Journalist für verschiedene Verlage tätig. Von 2001 bis 2005 Redakteur beim spirituellen Magazin connection, später für den Zeitpunkt“. Aktuell arbeitet er als Lektor, Buch-Werbetexter und Autorenscout für den Goldmann Verlag. Seit 2006 ist er Chefredakteur von Hinter den Schlagzeilen.