Nach den jüngsten deutsch-russischen Absprachen zur Erdgaspipeline drohen US-Regierungskreise mit Sanktionen gegen die beteiligten Energiekonzerne aus der EU. Strafmaßnahmen seien fest geplant und befänden sich aktuell in den letzten Abstimmungen zwischen dem Weißen Haus und den involvierten Ministerien, wurde am Wochenende kurz vor dem Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein Mitarbeiter der Trump-Administration zitiert.

Aus den beteiligten Energiekonzernen wiederum verlautet, man werde sich auch durch US-Sanktionen nicht vom Pipelinebau abbringen lassen. Er gilt als zentrales Element der Berliner Energiestrategie. Darüber hinaus wäre die deutsche Wirtschaft, müsste sie nach ihrer Iran-Expansion auch Nord Stream 2 aufgeben, immer stärker auf den transatlantischen Markt zurückgeworfen – zu Lasten einer eigenständigen deutschen Weltpolitik. Berlin stellt Washington Kompensationen in Aussicht – und nimmt zudem den Bau einer neuen Kaukasuspipeline für turkmenisches Erdgas ins Visier.

Nord Stream 2: Bau hat begonnen

Die Pipeline Nord Stream 2, die im Mittelpunkt der anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen Berlin und Washington steht, ist mittlerweile im Bau. Bereits am 15. Mai begannen Baggerschiffe, für die künftig zu verlegenden Erdgasröhren einen Graben auf dem Meeresboden vor Lubmin in Vorpommern auszuheben. In der Nacht zum 25. Juli starteten die Arbeiten an der Anlandestelle; zunächst wurden verschweißte Rohre durch einen Tunnel aus dem Meer zur Erdgasstation am Festland gezogen. Bis Ende Oktober soll laut aktuellem Plan die Verlegung des Pipelinesegments am Greifswalder Bodden abgeschlossen sein. Die erforderlichen Genehmigungen der Anrainerstaaten sind mit einer einzigen Ausnahme eingetroffen. Nur in Dänemark steht die nötige Zustimmung noch aus, was allerdings als verkraftbar gilt; das Betreiberkonsortium hat inzwischen ein Konzept für eine Alternativroute vorgestellt, die ohne dänische Zustimmung nutzbar wäre und die Kosten nicht übermäßig in die Höhe triebe. Auch die Genehmigung für die Pipeline EUGAL, die das Erdgas von Lubmin aus bis nach Tschechien weiterleiten soll und von einem Unternehmen unter Führung des BASF-Gazprom-Joint Ventures Gascade gebaut wird, macht Fortschritte: Vor einigen Tagen hat das Bundesland Brandenburg seine Zustimmung erteilt. Die noch ausstehende Genehmigung der Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen gilt als Formsache.

Washington macht mobil

Washington macht weiterhin gegen die Pipeline mobil. Im vergangenen Sommer stimmte der US-Kongress einem Gesetzentwurf zu, der es ermöglicht, Sanktionen gegen sämtliche Unternehmen zu verhängen, die sich – in welcher Form auch immer – am Bau und an der Finanzierung von Nord Stream 2 beteiligen.[1] Unmittelbar betroffen wären fünf Energieriesen aus der EU, die gemeinsam die Röhre bauen: die deutsche BASF-Tochterfirma Wintershall, die E.ON-Abspaltung Uniper, die österreichische OMV, die französische Engie und die britisch-niederländische Shell. Sanktionen gegen sie höben den transatlantischen Wirtschaftskrieg auf ein beispielloses Eskalationsniveau. Das Bundeswirtschaftsministerium hat laut eigenen Angaben Ende 2017 eine Zusage der US-Regierung erhalten, die Sanktionen nicht in Gang zu setzen, da Nord Stream 2 lange vor der Verabschiedung des erwähnten US-Gesetzes initiiert und beschlossen worden sei.[2] Allerdings ist vollkommen unklar, ob die Trump-Administration sich daran halten wird. US-Botschafter Richard Grenell hat – in offenem Widerspruch zu Washingtons Zusage gegenüber dem Bundeswirtschaftsministerium – erklärt, alle Firmen, die mit russischen Pipelines zu tun hätten, seien einem ernsten Sanktionsrisiko ausgesetzt. US-Medien berichten nun, laut Angaben von Regierungsmitarbeitern würden Sanktionen gegen Nord Stream 2 in diesen Tagen zwischen dem Weißen Haus und den involvierten Ministerien abschließend abgestimmt. Offen sei nur noch, ob die Maßnahmen sich lediglich gegen die am Bau beteiligten Konzerne richteten oder ob auch die involvierten Kreditgeber einbezogen würden.[3]

(Bild von Samuel Bailey | CC BY 3.0, via wikimedia commons)

Die Basis der Weltpolitik

Der Konflikt um die Pipeline ist am Samstag Gegenstand der Gespräche zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gewesen. Ergebnisse wurden nicht bekannt. Bekannt ist allerdings, dass die an Nord Stream 2 beteiligten Konzerne an ihrem Projekt festhalten wollen: Die fünf involvierten Unternehmen aus der EU sowie Gazprom hätten bereits 5,5 Milliarden Euro in das Vorhaben investiert und würden es auch im Falle von US-Sanktionen nicht einstellen, wurde am Wochenende unter Bezug auf Konzernvertreter berichtet; davon habe man das State Department in Kenntnis gesetzt.[4] Tatsächlich wird die Pipeline von einem breiten Spektrum deutscher Unternehmen und einer Mehrheit der deutschen Politik unterstützt. Sie gewährleistet, dass die Bundesrepublik privilegierten Zugriff auf die größten Erdgasvorräte weltweit erhält; darüber hinaus wird Deutschland mit ihr zum wichtigsten Verteiler russischen Erdgases in Europa – und sichert sich damit einen weiteren Zuwachs an Macht. Umgekehrt wäre ein Verzicht auf die Röhre mit einem massiven Rückschlag der deutschen Wirtschaftsexpansion in Richtung Osten verbunden – parallel zu herben Rückschlägen bei der Expansion nach Iran und damit nach Mittelost. Berlin würde ökonomisch zunehmend auf die Länder des transatlantischen Bündnisses und deren Verbündete zurückgeworfen. Die ökonomische Grundlage für die – lange angestrebte – Bildung von Gegenmacht gegen Washington und für eine eigenständige Weltpolitik geriete in Gefahr.

Lieferausfälle

Berlin und Brüssel haben Washington mittlerweile Zugeständnisse angeboten, die darauf gründen, dass Deutschland und die EU in der Tat auf neue Erdgasquellen angewiesen sind. Ursache ist zum einen, dass die Niederlande, die im Jahr 2015 noch mehr als 37 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases stellten, in naher Zukunft als Lieferant vollständig ausfallen werden: Die exzessive Ausbeutung des Slochteren-Feldes bei Groningen, eines der größten Gasfelder der Welt, hat die Zahl und die Stärke der Erdbeben in der Region so sehr ansteigen lassen, dass Den Haag unlängst die vollständige Einstellung der dortigen Förderung bis spätestens 2030 beschlossen hat.[5] Hinzu kommt, dass auch die Erdgasausbeutung in der Nordsee klar im Rückgang begriffen ist. Damit sind Ersatzlieferanten gefragt.

Schwache Zugeständnisse

Entsprechend kündigt die Bundesregierung an, weiterhin russisches Erdgas nicht nur durch die Ostsee, sondern auch in Zukunft durch ukrainische Leitungen beziehen zu wollen. Damit soll das Argument der US-Administration, der Westen dürfe die Ukraine im Machtkampf gegen Moskau nicht schwächen, entkräftet werden. Zwar gehen Experten davon aus, dass die ukrainische Röhre wegen der Lieferausfälle in Europa ohnehin noch einige Jahre weiterbetrieben werden muss; für ihre dauerhafte Nutzung gibt es jedoch keine Gewähr. Davon abgesehen hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kürzlich nach seinem Gespräch mit US-Präsident Donald Trump erklärt, die EU werde mehr US-Flüssiggas einführen als bisher. Prinzipiell wäre dies, entsprechenden Bedarf vorausgesetzt, jederzeit möglich: Die Flüssiggasterminals in der EU sind lediglich zu 27 Prozent ausgelastet; Aufstocken wäre kein Problem. Allerdings weisen Branchenkreise darauf hin, dass die EU-Kommission nicht als Abnehmer auftritt und die Käufer günstigeren Preisen den Vorzug geben. US-Flüssiggas aber ist deutlich teurer als russisches Pipelinegas: Es kostet im Durchschnitt rund 7 US-Dollar pro Million Btu (British thermal unit), während Gas aus Russland heute zwischen 4,5 und 5,5 US-Dollar pro Million Btu liegt.[6] US-Absatzerfolge in Europa sind also weiterhin höchst ungewiss.

„Nabucco“-Neuauflage?

Unabhängig vom deutsch-US-amerikanischen Streit um Nord Stream 2 nimmt Berlin erneut den Bau einer Pipeline durch den Südkaukasus zur Einfuhr turkmenischen Erdgases an Russland vorbei in die EU in den Blick. Den Plan hatten deutsch-europäische Energiekonzerne bereits vor Jahren energisch verfolgt; das Projekt, das unter der Bezeichnung „Nabucco“ firmierte (german-foreign-policy.com berichtete [7]), scheiterte letzten Endes daran, dass nicht genügend Quellen erschlossen werden konnten – unter anderem, weil der Bezug turkmenischen Erdgases durch das Kaspische Meer wegen völkerrechtlicher Unklarheiten nicht sicherzustellen war. Dieses Hindernis dürfte nun ausgeräumt sein: Vor einigen Tagen haben die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres eine Einigung über dessen völkerrechtlichen Status erzielt, die den Bau neuer Unterseepipelines weithin ins Belieben der jeweils interessierten Länder stellt.[8] Wenngleich Experten sich skeptisch äußern, wäre damit eine neue Erdgasröhre, die turkmenisches Erdgas durch das Kaspische Meer und den Südkaukasus nach Europa führt, zumindest denkbar. Kanzlerin Merkel wird Ende dieser Woche die drei südkaukasischen Staaten besuchen; dabei stehen auch Verhandlungen über eine etwaige neue Pipeline in Richtung EU auf dem Programm. Dabei stünde turkmenisches Erdgas nicht nur zu russischen Lieferungen in Konkurrenz, sondern auch zu Flüssiggas aus den USA.

Beitrag mit freundlicher Genehmigung von GERMAN-FOREIGN-POLICY.com übernommen.

[1] S. dazu Drei Fronten (II).
[2] Nord Stream 2 kann Sanktionen standhalten. n-tv.de 01.07.2018.
[3], [4] Bojan Pancevski, Emre Peker: U.S. Opposition to Pipeline Hangs Over Meeting Between Putin and Merkel. wsj.com 18.08.2018.
[5] Guido van Eijck: Raus aus dem Erdgas, egal zu welchem Preis. zeit.de 07.05.2018.
[6] Sarah McFarlane, Bojan Pancevski, Georgi Kantchev: Trump Wants Europe to Buy U.S. Gas – but Russia Is in His Way. wsj.com 26.07.2018.
[7] S. dazu Das letzte Kapitel.
[8] Reinhard Lauterbach: Den Westen draußen halten. junge Welt 15.08.2018.