Der Fall Babtschenko zeigt: Die Toleranz gegenüber Propaganda ist gewachsen.

John le Carré oder Frederick Forsyth hätten ihre wahre Freude daran gehabt. Da wird ein dem Heimatregime gegenüber kritischer Journalist in einer lupenreinen Nachbardemokratie angeblich im Auftrag seines Landes dahin gemeuchelt und die Nachricht erschüttert die Welt, spontane Traueraktionen finden statt, Staatsoberhäupter kondolieren, ohne zu vergessen, die Tat auf das Schärfste zu verurteilen, und am Tag drauf erscheint der Besagte quicklebendig auf einer vom Geheimdienst einberufenen Pressekonferenz seines Asyllandes und erklärt dem staunenden Publikum, der Mord sei inszeniert gewesen, um den geplanten Mord zu verhindern. [1] [2]

So erzählt in einem Roman, erschiene die Story doch etwas zu frivol, als sei sie aus der Feder eines Meisters. Es sei denn, es käme eine Erklärung nach, die den ganzen Wahnsinn erhellte. Le Carré oder Forsyth wäre bestimmt etwas eingefallen, um auf dem Feld der Fiktion für Furore zu sorgen. Was die politische Realität anbetrifft, scheinen wir es mit einer Verrohung zu tun zu haben, die in hohem Maße besorgniserregend ist.

Der Fall Babtschenko ist nun die dritte chevalereske Episode in kurzer Zeit, die belegt, dass wir in eine Epoche eingetreten sind, in der Psychopathen die Regie übernommen haben. [3]

Der Fall Skripal in London, der Giftgasangriff im syrischen Douma und nun der ermordete Journalist in Kiew, in allen drei Fällen liegen keine hinreichenden Beweise für das Behauptete vor, nur eines ist sicher: Es wird eine Propaganda gegen Russland aufgebaut, die keiner Beweise mehr bedarf und die sich in wilden Spekulationen ergießen darf.

Das Fatale an der ganzen Angelegenheit ist nur, dass diejenigen, die für diese Schauergeschichten verantwortlich sind, anscheinend aus dem gleichen Holz geschnitten sind wie diejenigen, die damit angeklagt werden sollen. Dass der russische Staat nicht diejenigen, die gegen ihn operieren, mit Glacéhandschuhen anfasst, ist sicherlich kein Geheimnis. Dass diejenigen, die sich ausgeben als Vertreter einer überlegenen Wertegemeinschaft sich in den gleichen Arsenalen bedienen, ist neu.

Und die Nonchalance, mit der die neueste Eskapade in den hiesigen Medien kommentiert wird, deutet darauf hin, dass die Toleranz gegenüber der abgeschmacktesten Propaganda gewachsen ist. Wir leben bereits im Reich des Bösen.

Immer wieder tauchen Stimmen auf, die davor warnen, trotz aller Gegensätze dürfe keine unüberwindbare Verwerfung mit Russland entstehen. Aber wie, so stellt sich die Frage, soll das verhindert werden, wenn toleriert wird, dass der Geheimdienst einer befreundeten Gurkendemokratie ohne ernsthafte Sanktionen ein Stück aufführt, wie das des Journalisten (?) Babtschenko.

Wenn derartige Laiendarsteller aus der Spionagekolportage noch Journalisten genannt werden, die die Opposition in Russland repräsentieren, dann stellt sich doch tatsächlich die Frage, was dort als seriöse Opposition bezeichnet wird? Sind das Hasardeure wie Babtschenko? Oder existieren vielleicht noch andere, die hier nicht erwähnt werden, weil sie nicht dazu beitragen, Russland zu dämonisieren?

Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass die Inszenierung einer anti-russischen Propaganda weiterhin in der besagten Form eskaliert, solange nicht hier, in der etablierten Meinungsindustrie, irgendwann der Gedanke aufkommt, dass der verbale Irrationalismus sehr schnell zu kriegerischem Irrationalismus ausarten kann.

Reden wir nicht von Werten. Maß und Verstand, Grundlagen einer jeden Zivilisation, verlieren in unseren eigenen Reihen immer mehr an Bedeutung. Da braucht sich niemand mehr über irgendwen zu erheben. Ob die Talsohle erreicht ist, kann bezweifelt werden.

[1 ] John le Carré ist ein englischer Schriftsteller und ehemaliger Mitarbeiter des britischen Geheimdienst. Bekannt wurde er in den 1960er Jahren als Autor von Spionageromanen. Die meisten Handlungen waren im Kalten Krieg angesiedelt und drehten sich um die Figur des Geheimagenten George Smiley. Berühmt ist sein Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (The Spy Who Came In From The Cold). Der Roman wurde 1965 verfilmt. Richard Burton übernahm die Hauptrolle.
[2] Frederick Forsyth ist ein britischer Schriftsteller. Nach eigenen Angaben war er ab Ende der 1960er rund 20 Jahre lang als Agent des britischen Nachrichtendienstes MI6 tätig war. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen „Der Schakal“ (The Day of the Jackal, 1971), „Die Akte Odessa“ (The Odessa File, 1972) und „Die Hunde des Krieges“ (The Dogs of War, 1974). Forsyth wurde als Autor mehrfach ausgezeichnet. Für „There Are No Snakes in Ireland“ (dt.: In Irland gibt es keine Schlangen.) bekam er 1983 den Edgar Allan Poe Award in der Kategorie Beste Kurzgeschichte.
[3] Arkadi Arkadjewitsch Babtschenko (Jahrgang 1977) ist ein russischer Journalist, Kriegsreporter und Buchautor. Am 29. Mai 2018 meldeten zahlreiche Medien, dass Babtschenko in der Ukraine ermordet worden sei. Man berief sich auf Angaben der Polizei von Kiew. Babtschenko sei demnach von seiner Frau mit Schussverletzungen aufgefunden worden. Das war eine Falschinformation. Der ukrainische Geheimdienst SBU teilte am 30. Mai mit, die Ermodung von Babtschenko sei vom SBU vorgetäuscht worden, um Anschlagspläne des russischen Geheimdienstes zu enttarnen.


Über den Autor: Gerhard Mersmann studierte Politologie und Literaturwissenschaften, war als Personalentwickler tätig und als Leiter von Changeprozessen in der Kommunalverwaltung. Außerdem als Regierungsberater in Indonesien nach dem Sturz von Haji Mohamed Suharto. Gerhard Mersmann ist Geschäftsführer eines Studieninstituts und Blogger. Auf Form7 schreibt er pointiert über das politische und gesellschaftliche Geschehen und wirft einen kritischen Blick auf das Handeln der Akteure. Sein Beitrag erschien erstmals auf seinem Blog.


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