Ein schöner Traum von sozialem Frieden und ein Leben ohne Gewalt lässt die Menschen seit über 500 Jahren hoffen. Thomas Morus hatte seine schönen Visionen mit dem Buch „Utopia“ im Jahr 1516 der Öffentlichkeit vorgestellt. Veranlassung und Hintergrund des Buches war die missliche Lebenssituation der Untertanen des englischen Königs Heinrich VIII. Als Lordkanzler kannte Morus die Notlage des Volkes und die Verschwendungssucht der Oberen des Landes.

Den geographischen Ort Utopia beschrieb der portugiesische Seemann Rafael Hythlodeus als eine große Insel eines Flusssystems (Rio Paranà?) in Südamerika mit 54 Ortschaften. Der Portugiese war mit Morus bekannt und hatte Amerigo Vespucci auf dessen 4. Erkundungsreise zur Neuen Welt in Richtung Amerika begleitet. (Utopia, Reclamverlag, Leipzig, Ausgabe 513).

Der Traum hat vielleicht noch ältere Wurzeln bis hin zu den Anfangszeiten der christlichen Religionsgründung mit urkommunistischen Verhältnissen. In Gesprächen mit lateinamerikanischen Priestern meinte Fidel Castro 1977, das Marx die Seiten des Alten Testaments durchaus hätte mit unterschrieben können.

In Lateinamerika beherrscht seit den 1970-ziger Jahren der „Washingtoner Konsens“ in der Wirtschafts-Politik der Mehrheit der Länder. Der Konsens wurde von der Chicagoer Schule als Variante des globalen Marktfundamentalismus für die Länder des amerikanischen Kontinents entwickelt und unter Pinochet in Chile ausprobiert. Ziele des Konsenses war es dem Kapital einen möglichst freien Bewegungsraum ohne staatliche Begrenzungen zu verschaffen. Vor allem, um den Rückfluss der Kredite aus den damals hochverschuldeten Länder Lateinamerikas auf die Konten der Kreditgeber aus den USA zu sichern. Weitere Empfehlungen aus Chicago: Steuerliche Entlastungen des Kapitals, weniger Steuergelder für soziale Zwecke ausgeben, staatliche Unternehmen privatisieren. Dem Kapital sollten neue Geschäftsfelder aus dem Verkauf der Staatsbetriebe ermöglicht werden.

Das politische Kernziel des Konsenses bestand in der Zurückdrängung der Anfänge sozialer und sozialistischer Alternativen, die sich in dieser Zeit entwickelt haben, z.B. in Allendes Chile, Nikaragua, Peru, Guatemala, El Salvador, Uruguay, Haiti, Jamaika, Panama und auch Kuba mit seiner fortschrittlichen Sozialpolitik im Bildungs- und Gesundheitswesen, der Vermeidung von Arbeitslosigkeit, war schon seit Jahren ein Dorn im Auge der USA. Es wurde mit harten Sanktionen und Ausgrenzungen vom Weltmarkt bis zur Gegenwart beharrlich bekämpft.

Trotz vieler wirtschaftlicher und politischer Bremsmanöver, schafften es die humanen Politiker des ALBA-Verbundes mit der Unterstützung der Bevölkerung die Millenniumsziele der UNO zur Senkung der Armut, zur Teilnahme am Bildungs- und Gesundheitssystem u.v.m. zu erfüllen. Fortschritte sind von dem Gini-Koeffizient deutlich ablesbar. Die von Raffael Correa angeregten Beobachtungsstellen zum Verhalten der transnationalen Konzerne tragen zur Aufklärung bei. Der Kampf gegen das Übel der Korruption brachte erst geringe Fortschritte. Das Netzwerk der konservativen Kräfte im Justizwesen verhindert schärfere Gesetze und eine deutlichere Verurteilung der Vergehen.

Der gesellschaftliche Fortschritt verläuft nicht linear. Er braucht Zeiten, die in Generationen gemessen werden müssen. Er hat nach Hegel den Charakter von Prozessen und verläuft je nach Stand der Widersprüche und Stärke als Aktion und Gegenreaktion. Das ist gegenwärtig in Venezuela, Brasilien, Argentinien, Nikaragua u.a. Länder erkennbar. Die Gegenreaktion der westlichen Industrieländer unternimmt zurzeit Anstrengungen, um den Fortschrittsprozess aufzuhalten. Militärische Drohgebärden gegen Venezuela beunruhigen die Menschengemeinschaft und die erneuten wirtschaftlichen Strafmaßnahmen in der Form von Sanktionen nicht minder.

Rechte Kräfte Europas beteiligen sich an den Gegenreaktionen. Ersichtlich an Ehrungen venezolanischer Oppositionspolitiker am 25.10. 2017 mit dem Sacharow-Preis.

Der neoliberale Konsens hat sich inzwischen auch in Europa verfestigt. Die deutschen Vorstandsetagen des Finanzkapitals haben die Empfehlungen aus Chicago gern angenommen. Einige Resultate für Deutschland: Im Europaranking ist der Durchschnittslohn deutlich gesunken. Die Arbeitswelt erhielt neue Begriffe, z.B. Hartz IV, Minijobber, Aufstocker, Leiharbeiter. Neu im Sprachgebrauch kamen die Worte Alters- und Kinderarmut.

Das Konzept des ehemaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble gegenüber Griechenland stimmt mit dem Konsens in mehreren Punkten überein: Ein Schuldenmoratorium wird strikt abgelehnt. Neukredite sind an die Rückzahlung der Altkredite einschließlich Zinsen an die Geberbanken aus New York, Frankfurt/M., London gebunden. Staatsausgaben für Altersrenten, für Bildungs- und Gesundheitszwecke sind einzuschränken.

Die für die Bevölkerung und für den Mittelstand negativen Veränderungen der neoliberalen Konsenspolitik haben ihre Ursachen in einer veränderten Verteilungsstruktur. Öffentliche oder breite wissenschaftliche Debatten wurden und werden dazu kaum geführt, schon gar nicht, wenn um Arbeitsinhalte für eine neue Regierungskoalition gerungen wird.

Thomas Morus benannte den egoistischen Gebrauch des Eigentums für die Daseinsführsorge als Grundübel einer Gesellschaft. Etwa 150 Jahre später verurteilte J. J. Rousseau denjenigen für schuldbeladen, der als Erster ein Stück Land umzäunte und erklärte „dieses Stück Land gehört mir“ und der Leute fand, „die einfältig genug waren ihm zu glauben“. Als eine fundamentale Weisheit gilt seine Feststellung: “Die Früchte der Erde gehören allen, doch die Erde selbst niemanden“. (J.J.R., “Gesellschaftsvertrag“, Reclam Leipzig, Ausgabe 699).

Titelholzschnitt von Thomas Morus‘ „Utopia“